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Neuausrichtung deutscher Sicherheitspolitik

Letzte Woche zog die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags, Dr. Eva Högl, nun ihr Resumée nach einem Jahr Zeitenwende in der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, insbesondere in Bezug auf die Neuausrichtung der Aufgaben der Bundeswehr und die Folgen für Personal, Material und Logistik. Kaltstartfähigkeit, Zeitenwende und Abschreckung – mit diesen Stichworten leitet sie den 64ten Wehrbericht ein. In Reaktion auf den russischen Angriffskrieg hat auch die Bundeswehr ihren Beitrag zur Stärkung der NATO-Ostflanke stark erhöht, beispielsweise durch die Verstärkung ihrer Truppenpräsenz in Litauen, der Entsendung weiterer Eurofighter für Air Policing in Estland und Rumänien und der Bereitstellung des bodengestützten Flugabwehrraketensystems Patriots in der Slowakei. Daneben unterstützt Deutschland die Ukraine unter anderem durch die Abgabe militärischen Geräts und Materials. Dass die Bundeswehr jahrzehntelang unterfinanziert und mangelhaft ausgestattet ist, war lange vor dem Angriffskrieg Russlands bekannt. Durch die neue Sicherheitslage in Europa und die Anforderungen an die Bundeswehr sind die Mängel in Infrastruktur und Ausstattung nun massiv in den Vordergrund gerückt. In dem Zusammenhang bewertet Högl die 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr als einen wichtigen Schritt. Sie betont gleichzeitig, dass nach Einschätzung von Expertinnen und Experten mindestens das dreifache davon nötig wäre, um sämtliche Fehlbestände auszugleichen.

Liberale Demokratien müssen wehrfähig sein

Neben der langfristigen stetigen Erhöhung des Verteidigungshaushalts auch zur Erreichung des NATO-2%-Ziels und der damit verbundenen dringenden Erneuerung des Beschaffungswesens bedarf es nach dem Bericht der Wehrbeauftragten vor allem eines großen Investments in die Nachwuchsgewinnung der Bundeswehr.

Eins ist klar: die Notwendigkeit der von Bundeskanzler Scholz proklamierten Zeitenwende deutscher Sicherheitspolitik ist am sichtbarsten im Umgang mit und der Ausstattung der Bundeswehr, von Individualbekleidung über Übungsgeräte, Munition und Waffensysteme bis zur Infrastruktur. Weniger sichtbar, aber unabdingbar ist die Notwendigkeit zu einem neuen Aufbruch im deutschen Verteidigungs-mindset: Der Haltung zur sicherheitspolitischen Bildung und der gesellschaftlichen Resilienz gegenüber externen Bedrohungen.

Vor allem braucht es ein deutsches und europäisches (Selbst-)Verständnis von Abschreckung und Verteidigung. Insbesondere für die Länder, die sich bis dahin der sicherheitspolitischen Realität in Europa verschlossen haben, hat 2022 eindrucksvoll gezeigt: Liberale Demokratien müssen wehrfähig sein. Abschreckung, insbesondere nukleare Abschreckung, kann und muss ihren Beitrag zur Sicherheit in Europa leisten. Allerdings werden ihre (Erfolgs-)Geschichte und ihre Funktion oft stark unterschätzt. Abschreckung muss nicht, wie oft angenommen, in einem Wettrüsten enden, sondern kann ein Konzept sein, mit dem demokratische Staaten sich selbst und die Werte, für die sie stehen, wirksam verteidigen. Wenn der Krieg gegen die Ukraine eines offen zu Tage hat treten lassen, dann dieses: Die demokratische Definition und Realität von Freiheit und Teilhabe in einer prosperierenden Gesellschaft sind nicht selbstverständlich und müssen verteidigt werden.

Lesen Sie mehr dazu, über konventionelle Abschreckung, nukleare Abschreckung und Resilienz, in unserer neuen Publikation Defending Freedom – Investing in Deterrence.

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