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Menschenrechte
Medien, Zivilgesellschaft und Staat in Putins Russland

Eine Einordnung der Verhaftung des russischen Investigativjournalisten Iwan Golunow

Am heutigen Dienstag seufzen in Russland und vielen anderen Ländern Menschen auf, nachdem der investigative Journalist Iwan Golunow von allen Anschuldigungen des vorgeblichen Drogenbesitzes der Ermittlungsbehörden freigesprochen wurde.

Am vergangenen Donnerstag war er auf dem Weg zu einem Arbeitstreffen mit anderen Journalisten von Polizisten in Zivil im Zentrum von Moskau verhaftet worden, was erst am Freitag bekannt worden war. Die von Journalisten gründlich recherchierten Vorgänge um seine Verhaftung deuteten darauf hin, dass die Ermittler ihm Drogen untergejubelt hatten, ihn geschlagen und weitere Rechte verletzt hatten. Über das Wochenende hatte sich eine Solidarisierungswelle in russischen Sozialnetzwerken verbreitet und Menschen auf die Straße gebracht. Freiheit.org hat mit Julius von Freytag-Loringhoven, seit 2012 Leiter des Stiftungsbüros in Moskau, über eine Einordung der Geschehnisse von heute und vom Wochenende gesprochen. 

Wem ist die Freilassung Iwan Golunow zu verdanken?

Positiv gesagt hat der öffentliche Druck auf Sozialnetzwerken und auf der Straße seine Wirkung gezeigt. Dass sogar Vertreter von sonst sehr angepassten Staatsmedien ihm über das Wochenende ihre Solidarität bekundeten, hängt aber auch damit zusammen, dass das Unrecht so himmelschreiend war, dass es schwer war dazu nichts zu sagen. Er wurde mitten im bunten Zentrum von Moskau verhaftet aus dem Menschenrechtsverstöße im Lande immer so fern scheinen, seiner Rechte entzogen, geschlagen und auf infame Weise Drogen untergeschmuggelt. Der Aufschrei war riesig, aber ich hätte nicht gedacht, dass das Schuldeingeständnis so schnell kommen würde. Denn heute Nachmittag wurden nicht nur die Vorwürfe zurückgezogen, sondern auch Führungskräfte der Ermittlungsbehörden in Moskau entlassen. Das war somit ein guter Tag für die Pressefreiheit und Demokratie in sonst leider weiter unheimlichen Zeiten.

Ist seine Freilassung auch ein Sieg des Rechtsstaats?

Das kann man auch bei aller Freude über die Entscheidung leider nicht behaupten. Wer Russland kennt, weiß, dass die Freilassung eine politische Entscheidung war und keine Entscheidung unabhängiger Institutionen. Das vom russischen Präsidenten Wladimir Putin postulierte System der „Vertikale der Macht“ priorisiert Loyalität nach oben bis zu Putin vor allem anderen. Bei fehlenden horizontalen „Checks and Ballances“, also fehlender Unabhängigkeit der Gerichte, Unterdrückung der Opposition, weitestgehender Kontrolle der Medien, grassiert im Land Korruption und Machtmissbrauch. Die Entlassung heute ist aber ebenso dieser Vertikalen zu verdanken, die sich dem öffentlichen Druck beugend im Sinne der Verteidigung entschieden hat. Wer über konkrete Fälle recherchiert, wie Iwan Golunow, begibt sich auf gefährliches Terrain. Ohne die vielen Menschen, die seit Samstag Schlange standen um nacheinander vor dem Gericht zu demonstrieren – man darf seit einer Einschränkung des Demonstrationsgesetzes seit 2013 nur einzeln unangemeldet demonstrieren – wäre Golunow wahrscheinlich in Untersuchungshaft geblieben. 

Was für Folgen wird die Geschichte nach sich ziehen?

Die Entscheidung mit den Entlassungen in den russischen Ermittlungsbehörden, die heute Nachmittag verkündet wurde, soll glaube ich weitere Flurschäden vermeiden. Die Herrschenden in Moskau waren sicher auch von den Ausmaßen der Solidarisierungen überrascht. Die Organisatoren von Solidarisierungsmärschen in Moskau und anderen Städten haben bereits verlauten lassen, trotz der Entscheidung auf die Straße zu gehen, weil der Fall eben kein Einzelfall ist (Link: https://www.freiheit.org/gefaehrliche-skandale). Wir werden sehen, ob das eine breitere Wirkung zugunsten anderer politischer Gefangener, Menschenrechtler und Journalisten entfaltet, die Behörden in die Quere gekommen sind. Dass die von Golunow davor untersuchte Korruption in der Stadtführung selbst zum tieferen Untersuchungsfeld wird, bleibt im gleichen Zusammenhang leider unwahrscheinlich. Und leider zeigt die Erfahrung der Demonstrationen der letzten Jahre auch, dass der Staat selten nur einsichtig einlenkt, sondern auch regelmäßig den repressiven Druck erhöht.

 

 

Julius von Freytag-Loringhoven ist Leiter des Moskauer Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung.