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Eine Wahl, die keine war

OSZE-Wahlbeobachter stellten schwerwiegende Unregelmäßigkeiten bei den Präsidentschaftswahlen in Aserbaidschan fest
Präsident Alijew
Präsident Alijew feiert sich und seinen wenig überraschenden Wahlsieg © CC BY 4.0/ en.president.az

Die nüchternen Zahlen zu Beginn: Bei den Präsidentschaftswahlen am 11. April 2018 wurde Amtsinhaber Ilham Alijew mit etwa 86 Prozent der abgegeben Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 74 Prozent zum vierten Mal im Amt bestätigt. Diesmal für sieben Jahre nach zwei umstrittenen Verfassungsreformen 2009 und 2016. In der ersten garantierte er sich die Möglichkeit, beliebig oft kandidieren zu können, in der zweiten erhöhte er die Amtszeit um zwei Jahre und gönnte sich auch noch eine Reihe zusätzlicher Machtbefugnisse. Unter anderem die Ernennung per Dekret seines Ersten Stellvertreters. Seit Februar 2017: Seine Gattin Mehriban Alijewa. Wahlberechtigt waren 5,2 Millionen Aserbaidschaner.

Es waren vorgezogene Präsidentschaftswahlen zur vierten Amtszeit im Reiche des Ilham Alijew. Ursprünglich im Herbst geplant, vom Präsidenten aber wegen nebulösen „Terminschwierigkeiten“ nun auf den April vorverlegt. Zu wenig Zeit für oppositionelle Kandidaten sich vorzubereiten, auf einen sicher ohnehin chancenlosen Wettstreit mit dem Amtsinhaber und all seinen Wahlmechanismen. Folgerichtig riefen die wichtigsten Oppositionsparteien zum Wahlboykott auf. Auch die Partnerpartei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Musavat, deren Vorsitzender Arif Hajili auf einer Pressekonferenz nach der Wahl sagte: „Wir erkennen die Wahlergebnisse nicht an und fordern eine transparente Wahl". Den sieben Mitbewerbern von Alijew kam eine eher symbolische Bedeutung zu, die Medienberichten zufolge in der Groteske mündete, dass ein „Gegenkandidat“ dazu aufrief, doch dem Amtsinhaber die Stimme zu geben.

Die letzten Stimmen waren noch nicht ausgezählt, da bedankte sich dann auch Ilham Alijew bei seinen „lieben Landsleuten“: „Die Aserbaidschaner haben mir bei den Präsidentschaftswahlen erneut großes Vertrauen geschenkt. Ich möchte meinen lieben Menschen für dieses Vertrauen, für diese großartige Unterstützung meinen Dank aussprechen. Ich habe immer die Unterstützung der Menschen in Aserbaidschan gespürt. Diese Unterstützung gibt mir Kraft. Diese Unterstützung ist die wichtigste Voraussetzung für unsere Entwicklung. Die Einheit von Volk und Regierung bildet den Kern unserer Entwicklung in Aserbaidschan. Bei dieser Wahl stimmten die Aserbaidschaner für Stabilität, Sicherheit, Entwicklung, Wohlstand und schätzten sehr, was in den vergangenen 15 Jahren getan wurde. Diesen Erfolg haben wir gemeinsam mit Ihnen erreicht“, so Alijew – und fährt fort: „Wir haben einen anständigen Weg eingeschlagen, einen Weg der Triumphe und des Erfolgs. Ich bin zuversichtlich, dass wir uns immer auf dem Weg des Erfolgs bewegen werden. Auf dem Weg zu neuen Erfolgen!“

Die schöne, heile Welt des Ilham Alijew

Schöne, heile Welt, wobei „der anständige Weg“, der von Ilham Alijew eingeschlagen wurde, an dieser Stelle bereits mehrfach von der Stiftung für die Freiheit im Südkaukasus in ein realistisches Licht gerückt wurde. Und auch die OSZE-Beobachter scheinen die Wahlen in einem anderen Land beobachtet zu haben, als sich die Führungsclique in Baku die internationale Sicht auf ihr Land vorstellt und regelmäßig mit perfekt inszenierten internationalen Großereignissen das ramponierte Image mit großem finanziellen Einsatz aufzuhübschen versucht.

Wahlurnen

Nach offizielle Angaben lockte es 74% der Aserbaidschaner an die Wahlurnen

© OSCE Parliamentary Assembly

Die Wahlbeobachtungsmission war offiziell von der Regierung Aserbaidschans eingeladen worden. Mehr als 300 Langzeit- und Kurzzeitbeobachter waren im ganzen Land unterwegs. Sie hatten die Aufgaben, die Einhaltung der OSZE- und anderer internationaler Verpflichtungen sowie die Standards für demokratische Wahlen und die nationalen Rechtsvorschriften zu prüfen. Gleichzeitig überwachten die Beobachter die Kandidatenregistrierung, die Wahlkampfaktivitäten, die Arbeit der Wahlkommission und der zuständigen Regierungsstellen, die Wahlgesetzgebung und deren Umsetzung, das Medienumfeld und die Beilegung von Wahlstreitigkeiten.

Das Urteil der Beobachter in einer ersten Stellungnahme am 12. April auf einer Pressekonferenz war vernichtend:  Schwerwiegende Unregelmäßigkeiten und auch von Wahlmanipulation war die Rede.

Eklat auf OSZE-Pressekonferenz

Es war nicht ganz einfach die Pressekonferenz der OSZE-Wahlbeobachter am Tag nach den Wahlen aus der Ferne zu verfolgen. Auf der Webseite der Organisation als Live-Übertragung angekündigt, gab es zunächst Tonprobleme, als Nilza de Sena (Spezial-Koordinatorin und Leiterin der Kurzzeit-OSZE-Beobachter-Mission), Viorel Riceard Bardea (Leiter der Beobachtermission der Parlamentarische Versammlung des Europarates - PAZE) und  Corien Jonker (Leiterin der OSZE/ODIHR-Beobachter-Mission) auf dem Podium Platz nahmen.

Die ersten Einschätzungen über Wahlverstöße von Nilza de Sena schienen nicht allen im Raum zu gefallen und wurden von lautstarken Zwischenrufen aserbaidschanischer Teilnehmer unterbrochen. „Das ist falsch“ und „Hören Sie auf zu lügen“ sollen nach Medienberichten einige regierungsnahe Pressevertreter gerufen haben. Es kam zu tumultartigen Szenen – die Wahlberichterstatter verließen den Raum und die Pressekonferenz und auch die Live-Übertragung wurden für knapp 20 Minuten unterbrochen, bevor sie dann ohne weitere Zwischenfälle fortgesetzt werden konnte.

Die Beobachter kamen zu der Schlussfolgerung, dass es schwerwiegende Unregelmäßigkeiten und Wahlverstöße gegeben hätte – Beobachter seien bei ihrer Tätigkeit behindert worden, Urnen seien mit Wahlzetteln aufgefüllt worden. Die Wahlen hätten innerhalb eines restriktiven politischen Umfelds stattgefunden, in dem Grundrechte und die Freiheit eingeschränkt seien, die Voraussetzung für echte demokratische Wahlen seien. Vor diesem Hintergrund und mangels Pluralismus, auch in den Medien, fehlte der Wahl ein echter Wettbewerb. „Wir müssen bedenken, dass in einem politischen Umfeld, in dem demokratische Prinzipien kompromittiert sind und die Rechtsstaatlichkeit nicht eingehalten wird, keine fairen und freien Wahlen möglich sind", so die knallharte Einschätzung von Viorel Riceard Badea.

Nilza de Sena verwies auf den abschließenden Bericht, der in etwa zwei Monaten vorgelegt wird: „Ich ermutige die Behörden, die Empfehlungen von ODHIR in ihrem Abschlussbericht zu beachten. Wir werden bereit sein, in diesem Prozess zu helfen, wenn Aserbaidschan dies fordert, und unseren Dialog über die zukünftige Entwicklung der Demokratie des Landes fortsetzen." Unterdessen hat das Außenministerium Aserbaidschans den OSZE-Bericht als unfair und nicht objektiv bezeichnet. Zwischen Eigen- und Außenwahrnehmung liegen in Aserbaidschan nicht erst seit diesen Wahlen Welten.

Peter-Andreas Bochmann ist Projektleiter der Stiftung für die Freiheit für den Südkaukasus.