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Ehrung
Freundschaft in der Politik

Im Gespräch mit Prof. Dr. Helmut Haussmann
Helmut Haussmann und Wolfgang Gerhardt, 1999 auf dem Europatag der FDP in Frankfurt/Main

Helmut Haussmann und Wolfgang Gerhardt, 1999 auf dem Europatag der FDP in Frankfurt/Main

© (c) dpa - Fotoreport

Zum Einstieg eine relativ direkte Frage: Gibt es so etwas wie Freundschaft in der Politik?

Prof. Dr. Helmut Haussmann: Das ist meines Erachtens die absolute Ausnahme. Es hängt einmal objektiv damit zusammen, dass Politiker meist Konkurrenten werden oder Konkurrenten sind. Das waren Wolfgang Gerhardt und ich im weitesten Sinne auch, aber beherrschend war immer die persönliche Anerkennung, die gegenseitige Unterstützung. Sehr wahrscheinlich verdanke ich Wolfgang Gerhardt auch meinen Aufstieg als Generalsekretär damals. Und das blieb über alle Zeiten hinweg. Aber ich könnte wahrscheinlich außer Wolfgang Gerhardt kaum noch jemanden nennen, mit dem ich eine echte persönliche Freundschaft habe, bei aller Wertschätzung für andere liberale oder andere Persönlichkeiten.

Seit wann kennen Sie Wolfgang Gerhardt? Wie ist es dazu gekommen? Das war wahrscheinlich die Politik?

Prof. Dr. Helmut Haussmann: Ja. Schon in früheren Wahlkämpfen, als ich im Bundestag war und Wolfgang Gerhardt in Hessen eine große Rolle gespielt hat, wurde ich auf ihn aufmerksam und umgekehrt. Schon bei ersten Treffen auf Parteitagen entstand gleich eine andere, persönliche, positive Chemie zwischen uns beiden, und das ist immer wichtig. Bei vielen langweiligen Parteitagen zieht man sich immer mal gerne zurück mit jemandem zum Gespräch, das ist dann auch immer ein guter Beweis.


Ich kannte zwar Wolfgang Gerhardt, aber richtig intensiv wurde die Bekanntschaft schließlich in der damaligen schwierigen Lage des FDP-Koalitionswechsels 1982, dem Verlust von Liberalen, die die FDP verlassen haben, dann dem Wiederaufbau der FDP, ich als Generalsekretär, Wolfgang Gerhardt als führende liberale Persönlichkeit. Oder bei der Zusammenarbeit beim liberalen Manifest von 1985. Und dadurch wurde das immer und immer intensiver. Darüber hinaus gab es ja auch eine enge historische Freundschaft oder Interessenidentität zwischen den hessischen und den baden-württembergischen Liberalen.

Schon bei ersten Treffen auf Parteitagen entstand gleich eine andere, persönliche, positive Chemie zwischen uns beiden, und das ist immer wichtig

Helmut Haussmann
Prof. Dr. Helmut Haussmann

Immer wenn Wolfgang Gerhardt in der FDP die nächste Stufe nahm, war Helmut Haussmann schon da. Zum Beispiel im FDP-Bundesvorstand, im FDP-Präsidium, in der Bundestagsfraktion, im Fraktionsvorstand, in der Stiftung – überall kam Wolfgang Gerhardt hin und traf Helmut Haussmann.


Prof. Dr. Helmut Haussmann: Ja, das ist richtig. Ich habe es am Anfang schon erwähnt: Das geschah auch nie in Gegenkandidaturen; wobei, auch das hätten wir persönlich bewältigt, wenn es so gewesen wäre. Aber wir haben ja die verschiedenen Landesverbände repräsentiert, und Wolfgang Gerhardt ist eben mehr der Wissenschaftsmann, der Bildungsmann. Ich war und bin mehr der Wirtschaftswissenschaftler, mehr der Gesellschaftspolitiker, Richtung Dahrendorf. Aber man sieht auch: Die geistige Verwandtschaft zu Dahrendorf hat uns sehr verbunden, wir waren damals auch bei der Trauerfeier zusammen in Hamburg. Es gibt Ereignisse, wo man dann doch den politischen Freund auch noch ganz anders kennen lernt.

Und es gab wirklich auch Niederlagen von uns beiden, wo wir uns sehr nahe kamen in der Verarbeitung. Natürlich hat sich das dann auch ausgeweitet auf die Familien. Auch unsere Frauen hatten von Anfang an ein sehr gutes Verhältnis, nicht ein instrumentelles, als Frauen von Politikern, sondern in Wertschätzung, was Stil angeht, was Hobbys angeht, was auch Weltanschauungen angeht, die Beurteilung anderer Persönlichkeiten. Es gab immer wieder auch Möglichkeiten, die Töchter von Wolfgang Gerhardt kennen zu lernen oder auch ein bisschen zu Coachen, da wo es gewünscht wurde

Da sieht man dann dieses Netzwerk, das über die reine Parteimitgliedschaft hinausgeht und wo aus der Bekanntschaft eine echte Freundschaft entsteht.

Es ist also dann doch wie in einem Beethoven-Zitat, wo es heißt: „Wahre Freundschaft kann nur beruhen auf der Verbindung ähnlicher Naturen“? Ist das in Ihrem Fall vielleicht auch so eine Art Geheimnis hinter dieser langen Verbindung?


Prof. Dr. Helmut Haussmann: Da haben Sie absolut Recht! Das zeigt sich auch immer wieder, wenn es bei größeren Gesellschaften die Notwendigkeit gab, dass ich über Wolfgang Gerhardt einige Worte sagen sollte, durfte, und Wolfgang Gerhardt über mich. Ich erinnere mich da an einen runden Geburtstag in der Parlamentarischen Gesellschaft, wo ich Menschen mitbrachte aus meiner Heimat, die noch nie mit Politik oder mit Partei zu tun hatten, die aus völlig anderen Berufen stammten, und denen wurde dann sofort klar: Da besteht doch eine sehr persönliche Beziehung, vor allem auch intellektueller und kultureller Art. Es ist ja auch diese Bodenständigkeit von Wolfgang Gerhardt, der immer wieder rekurriert auf seine Herkunft aus dem ländlichen Bereich, mein Wahlkreis ist auf der schwäbischen Alb, es gibt die gemeinsame Ansprache von der ländlichen Bevölkerung. Vor allem dann auch das Gedenken an Dahrendorf, das Weiterdenken von Grundgedanken von Dahrendorf, über die Ligaturen und Lebenschancen, das hat uns auch intellektuell sehr
zusammengeführt.

Es ist ja auch diese Bodenständigkeit von Wolfgang Gerhardt, der immer wieder rekurriert auf seine Herkunft aus dem ländlichen Bereich, mein Wahlkreis ist auf der schwäbischen Alb, es gibt die gemeinsame Ansprache von der ländlichen Bevölkerung.

Helmut Haussmann
Prof. Dr. Helmut Haussmann

Gibt es Situationen, wo sie beide beieinander stehen, zurückschauen und sagen: Mensch was haben wir schon alles zusammen erlebt! Oder ist Politik eher ein nüchternes Geschäft?

Prof. Dr. Helmut Haussmann: Wir sind nun beide Persönlichkeiten, die außer der Politik und der Parteipolitik auch immer viele zusätzliche Interessen hatten. So das wirkliche Lesen und Durchdringen von Büchern. Gegenseitige Buchempfehlungen; der Abgleich: Was war wichtig bei der Lektüre? So etwas hat uns auch davor bewahrt, bei Niederlagen an uns zu zweifeln. Das waren nicht immer persönliche Wahlniederlagen, aber doch Richtungswechsel in der FDP: weniger intellektueller oder kultureller Liberalismus, sondern eher Machtpolitik in der FDP als Partei. Das hat uns aber nicht verbittert. Ich glaube, am Ende des Tages kommt es eben Wolfgang Gerhardt und mir sehr darauf an, in diesem politischen Minenfeld zu überleben als Persönlichkeit, mit anderen Ideen, mit anderen Lebensstilen und auch mit Gedanken, persönlicher aber auch beruflicher Art, ein Leben nach der Politik in Würde zu führen und zu vermeiden, als ehemaliger Politiker zynisch zu werden.

Was bleibt von Wolfgang Gerhardt in der Politik, hat er Spuren hinterlassen, welche sind das?

Prof. Dr. Helmut Haussmann: Zunächst einmal war es seine souveräne, freie Entscheidung, das von ihm wirklich optimal ausgeübte Amt des Stiftungsvorstands nicht fortzuführen, sondern aufgrund eines anderen Lebensentwurfs einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen. Bleiben wird auf jeden Fall eine starke kulturelle und intellektuelle Prägung durch Wolfgang Gerhardt nicht nur in Deutschland, sondern auch international. Immer bleiben wird auch diese bewährte persönliche, wertvolle menschliche Beziehung. Leider ist er meinem Rat nie gefolgt, sich zusätzlich zur Politik, so wie ich, in die Hochschullehre einzubringen, wozu er optimal geeignet wäre. Das empfehle ich meinem Freund: in Form von Vorträgen oder Lehraufträgen tätig zu werden. Wir haben berufliche Projekte in Planung, und es bleibt zum Glück jetzt mehr Zeit auch zur Fortführung der persönlichen Freundschaft.