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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Lohnentwicklung
Lohnpause beendet

Der demografische Wandel schlägt zu. Ein neuer Trend setzt ein.
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Die Babyboomer verlassen den Arbeitsmarkt – Jahr für Jahr, Schritt für Schritt. Jene Generation von Menschen in Deutschland, die in den 1 1/2 Jahrzehnten von 1955 bis 1970 geboren wurde. Sie geht in den zwanziger und dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts in den Ruhestand. Der Höhepunkt dieser riesigen Welle der Verrentung wird etwa um 2030 erreicht, weil der geburtenstärkste aller Jahrgänge (1964) dann die Schwelle zum Ausscheiden überschreitet.

Also: Es stehen uns zwei Jahrzehnte der Schrumpfung des Potenzials an Erwerbspersonen bevor, in den nächsten Jahren sogar mit zunehmender Geschwindigkeit. Das bedeutet: Arbeitskraft wird knapp. Erste Folgen werden bei der Lohnentwicklung sichtbar: Nach einer Corona-Pause 2020 infolge eines vorübergehenden Anstiegs der Kurzarbeit klettern die Bruttolöhne derzeit steil nach oben - im zweiten Quartal des Jahres mit satten 5,5 Prozent Steigerung gegenüber dem Vorjahresniveau. Das deutet bei einer Inflationsrate von rund 2,5 Prozent auf einen Reallohnzuwachs im Jahr 2021 um drei Prozentpunkte hin, eine kraftvolle Erhöhung trotz der Spätfolgen der Pandemie.

Das wird erst der Beginn des Aufwärtstrends sein. Denn überall werden offene Stellen annonciert, und zwar nicht nur für Hochqualifizierte, sondern auch für Aushilfskräfte. Zudem werden händeringend Lehrlinge gesucht. Und bei körperlich schweren Jobs etwa auf Baustellen nähert sich der Anteil der Ausländer wahrscheinlich schon der 100-Prozent-Marke.

Entwicklung der Reallöhne/Nominallöhne in Deutschland vom 2. Quartal 2017 bis zum 2. Quartal 2021
Nach einer Corona-Pause 2020 infolge eines vorübergehenden Anstiegs der Kurzarbeit, klettern die Bruttolöhne derzeit steil nach oben. © Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

All dies hat eine positive und eine negative Seite. Positiv daran ist, dass der seit Jahrzehnten geträumte Traum der Vollbeschäftigung Realität wird. Arbeitnehmer werden sich ihre Tätigkeit aussuchen können; Arbeitgeber werden zunehmend attraktive Konditionen bieten müssen, um überhaupt noch jemanden zu finden. Die Zeit der prekären Jobs, der schlecht bezahlten Schinderei und der befristeten Verträge, wird bald zu Ende gehen. Die Verhältnisse werden an die sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts erinnern, als die Integration von Arbeitskräften mühelos gelang und es gar keiner großen staatlichen Arbeitsmarktpolitik bedurfte.

Die negative Kehrseite heißt allerdings: zu wenig Fachkräfte für die erforderliche Digitalisierung und den industriellen Strukturwandel zu klimafreundlichen Produkten und Prozessen; eine Wachstumsschwäche, wenn das Tempo des technischen Fortschritts nicht ausreicht, die Lücke an Arbeitskräften durch Investitionen und Zuwanderung sowie Forschung und Entwicklung zu schließen; und sogar – die Horrorvision der frühen siebziger Jahre nach dem damaligen industriellen Boom - eine Lohn-Preisspirale, wenn die Geldpolitik dem Lohndruck nachgibt, um den Unternehmen Spielräume zur Kostenüberwälzung zu gewähren.

Also: Gutes und Schlechtes. Das sind einerseits große Chancen, andererseits auch gewaltige Risiken. Beides braucht kluge politische Begleitung – nach der bevorstehenden Bundestagswahl, egal wer die künftige Regierung stellt. Es geht um das, was früher „Angebotspolitik“ hieß, also um das Schaffen marktwirtschaftlicher Rahmenbedingungen, die das Wachstum des Produktionspotenzials nicht behindern, sondern fördern.