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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Je suis Karl
Sanft, sensibel, smart – und gefährlich

Der Film „Je suis Karl“ zeichnet ein neues Bild des Rechtsextremismus. Es überzeugt.
Luna Wedler (Maxi) und Jannis Niewöhner (Karl) - die Hauptdarsteller des Films "Je suis Karl".
Luna Wedler (Maxi) und Jannis Niewöhner (Karl) - die Hauptdarsteller des Films "Je suis Karl". © Copyright Pandora Film | Foto: Sammy Hart

Bomberjacken und Springerstiefel, Aufmärsche und Befehlsgebrüll, tumbe Sprüche und martialische Symbole – all dies sucht man vergebens in dem rechtsextremen Milieu, in das der neue Film „Je suis Karl“ einführt. Es geht eher subtil zu, mit Charme und menschlicher Wärme. Jedenfalls bis kurz vor Schluss.

Die einfache Handlung ist schnell erzählt. Die Berliner Schülerin Maxi (Luna Wedler), die Heldin des Films, verliert bei einem – vermeintlich islamistischen – Bombenanschlag ihre Mutter und ihre Geschwister; ihr Vater und sie selbst überleben. Verzweifelt irrt sie umher und fühlt sich von jungen Männern mit muslimischem Aussehen bedrängt. Bei dem ersten Besuch des zerbombten Zuhauses wird Maxi von Journalisten verfolgt - da taucht Karl (Jannis Niewöhner) auf und nimmt sich ihrer an. Er gewinnt ihr Vertrauen, nicht zuletzt durch sein sanftes und sensibles Auftreten. Maxi und Karl kommen sich näher, sie verliebt sich in ihn und reist mit ihm nach Prag und später Straßburg. In Prag findet die „Summer Academy“ der „Re/Generation Europe“ statt, einer Art Bootcamp rechtsradikaler junger Leute aus mehreren Ländern Europas. Karl ist einer der Führungsfiguren von „Re/Generation Europe“ und hält eine charismatische Rede, die alte Nazi-Sprüche verwirft und ein modernes smartes Auftreten beschwört, inhaltlich aber der identitären Ideologie des Rechtsradikalismus voll verbunden bleibt. Maxi wird herzlich aufgenommen und entwickelt auch für „Re/Generation Europe“ Sympathien. In Straßburg ergreift Maxi selbst das Wort: Sie erzählt vor großem Publikum in bewegenden Worten ihre Geschichte und wird dafür gefeiert, auch von Odile, der wortgewaltigen Führerin vor Ort.

Maxi ist also angekommen: mitten im Rechtsradikalismus. Hineingezogen wurde sie nicht durch Jacken und Stiefel, Aufmärsche und Gebrüll, Sprüche und Symbole, sondern durch die Anziehungskraft des modernen Charmes der Bewegung. Der wird im Film durchaus meisterhaft inszeniert: mit wohlklingender Rap-Musik und polyglottem europäischem Sprachengewirr, mit ausgelassenen Jubelszenen, mit Küssen und Umarmungen, und mit feiernden jungen Menschen, unter ihnen auffallend viele junge Frauen, die den beiden Treffen in Prag und Straßburg ein weiblich-kommunikatives Gepräge geben, fernab von verbiesterter männlich dominierter Rechthaberei. Bei Betrachtung der Bilder und Szenen versteht man jeden jungen Menschen, der für sich denkt: Da will ich doch mitmachen.

 

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Der Trailer zum Film "Je suis Karl" © Pandora Filmverleih

Genau hier liegt das Ziel des Filmes, wie der Regisseur Christian Schwochow und der Drehbuchautor Thomas Wendrich bei der ersten Aufführung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in einem Vorfilm betonen. Er zeigt eindrucksvoll und schonungslos die Verführung durch ein neues rechtsradikales Milieu, das sich viel mehr der Methoden von modernen Sekten als der Nationalsozialisten oder Faschisten bedient. Die ästhetische und emotionale Attraktivität der Szenerie mag dabei beklemmend und beunruhigend sein, aber im Wesentlichen ist sie realistisch – bis auf die ein oder andere plakative Überzeichnung, wie sie cineastisch durchaus des Öfteren vorkommt. Gerade in dieser Attraktivität liegt ja die größte Gefahr des Rechtsradikalismus als Massenbewegung. Ihr muss man sich stellen, auch wenn es weh tut. Nur dann hat man eine Chance, ihn auch wirksam zu bekämpfen.

Das Treffen in Straßburg – und damit auch der Film – enden in einer infernalischen Katastrophe. Nach einem perfiden Plan lässt sich Karl von einem Kameraden umbringen, um damit dem brutalen terroristischen Chaos (und damit einer Revolution?) den Weg zu bahnen. Über der Szenerie bricht ein veritabler Krieg aus. „Re/Generation Europe“, die rechtsradikale Bewegung mit der charmanten Fassade, hinterlässt nichts als Mord und Totschlag. Maxi verlässt mit ihrem Vater, der ihr nach Straßburg gefolgt ist, durch die Kanalisation das Bild.

Fazit: ein sehenswerter Film. Vielleicht an manchen Stellen allzu stark ausgemalt, aber glasklar und präzise in der Botschaft: Dieser neue Rechtsradikalismus ist eine gewaltige Gefahr für unsere Gesellschaft, psychologisch und politisch. Das klassische Bild des glatzköpfigen Rechtsradikalen in Springerstiefeln hat sich weiterentwickelt, die neue Rechte ist moderner und versteckt ihre Botschaften in neuen Zeichen und junger Musik.

Es braucht die Leidenschaft aller Demokraten der Mitte, dagegen zu kämpfen.  

Je Suis Karl ist in mehreren Kategorien des Deutschen Filmpreises 2021 nominiert sowie für den Filmkunstpreis und den Rheingold-Publikumspreis des Festival des deutschen Films. Auf dem Filmkunstfest Mecklenburg-Vorpommern wurde Luna Wedler mit dem Nachwuchspreis für die Beste darstellerische Leistung  ausgezeichnet. Mehr zu dem Film finden Sie hier.