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Die Coronakrise ist ein „Stresstest“ für die Grundrechte und die Verfassung

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger über die Grundpfeiler der freiheitlichen Rechtsordnung in Krisenzeiten
Ein Frau hält ein Smartphone in der Hand.
© gettyimages.de/Maskot

Die durch das Coronavirus verursachte Krankheit Covid-19 ist die größte Herausforderung für Politik und Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten. Keine ernst zu nehmende Stimme bestreitet das. Zugleich ist der Umgang mit dem Virus ein Stresstest für unsere Grundrechte und unsere Verfassung. Mit dem Lockdown erleben wir gerade den größten kollektiven Grundrechtseingriff in der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Den Liberalen wird in diesen Wochen immer wieder vorgeworfen, dass sie mit ihrem Appell zum Schutz der Freiheit einer effektiven Krisenbewältigung entgegenstünden. Das ist mitnichten der Fall.

Sie machen sich vielmehr dafür stark, dass die Grundpfeiler unserer freiheitlichen Rechtsordnung standfest bleiben und dass unter gleich wirksamen Mitteln der Krisenbewältigung das mildeste zur Anwendung gelangt. Das ist nicht nur politisch klug. Es ist auch verfassungsrechtlich geboten.

Deswegen ist es richtig, dass die Opposition aus Freien Demokraten und Grünen im Deutschen Bundestag darauf gedrungen hat, dass das Parlament – und nicht die Regierung – die sogenannte „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ feststellt, die dem Bundesgesundheitsminister weitreichende Kompetenzen eröffnet.

Denn ein tragender Grundpfeiler unserer Verfassungsordnung liegt darin, dass die wesentlichen Entscheidungen von der Legislative selbst getroffen werden. Als Lehre aus „Weimar“ setzt das Grundgesetz mit seinem Artikel 80 einer Ermächtigung der Exekutive durch das Parlament Grenzen. Auf die Begrenzung der neuen Machtfülle von Gesundheitsminister Spahn hätte sogar noch stärker gepocht werden müssen.

Kontaktsperre zielgenauer als Ausgangsbeschränkungen

Den deutschlandweit zuerst von Ministerpräsident Söder in Bayern verhängten Ausgangsbeschränkungen setzt die konservativ-liberale Regierung in Nordrhein-Westfalen die grundrechtsschonendere Alternative der Kontaktverbote entgegen.

Sie sind einerseits zielgenauer als die pauschalen Ausgangsbeschränkungen, weil sie mit der Unterbindung des menschlichen Kontakts direkt am Infektionsrisiko ansetzen. Für die Bürger sind sie andererseits milder, weil von ihnen nicht generell verlangt wird, zu Hause zu bleiben. Das Verlassen der eigenen Wohnung wird nicht begründungspflichtig.

Aus demselben Bestreben lehnen Liberale das Tracking von Covid-19-Infizierten und ihren Kontaktpersonen anhand von Funkzellendaten der Mobilfunkanbieter ab.

Dieser Vorschlag Spahns taugte schon praktisch nicht, weil eine Funkzelle mit ihrer Größe von mindestens mehreren tausend Quadratmetern keine Aussage über den direkten Kontakt zwischen Menschen und damit über das Infektionsrisiko offenbaren kann. Verfassungsrechtlich gesprochen war der Vorschlag deswegen schon ungeeignet und damit unverhältnismäßig. 

Vielversprechender und zugleich grundrechtsschonender wäre hierfür die Nutzung der Bluetooth-Technologie. Sie ist zwar schon etwas in die Jahre gekommen, könnte aber aufgrund ihrer Funktionsweise – Datenübertragung zwischen Geräten über kurze Distanz per Funk – die technische Basis für eine freiwillig genutzte Smartphone-Applikation bilden. Es geht also: Grundrechte sind auch in Krisenzeiten mit dem Schutz der Bürger in Einklang zu bringen. 

Nicht akzeptabel ist dagegen eine unzureichende Intensivgesundheitsversorgung, die Ärzte in das Dilemma der Abwägung stürzen würde: Welcher Patient kann beatmet werden und wem müssen wir die notwendige Behandlung versagen?

 

Dieser Artikel erschien am 31. März im Handelsblatt und ist hier zu finden.

Ralf Fücks im Gespräch mit der ehe­ma­li­gen Jus­tiz­mi­nis­te­rin Sabine Leu­theus­ser-Schnar­ren­ber­ger: Wie können libe­rale Demo­kra­tien auch in Zeiten der Covid-19-Pan­de­mie ihre Grund­werte bewah­ren und zugleich effek­tiv handeln?

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