Taiwan
Wie Havels Erbe die Beziehungen Tschechiens zur Insel bis heute prägt
Kaum ein Land hat Taiwan so viel Anerkennung gewährt wie Tschechien. Andere Länder beginnen dem Beispiel zu folgen. Das ist auch ein Teil des Erbes von Václav Havel und scheint von Politik und Gesellschaft gleichermaßen getragen zu sein.
“Ich bin ein Taiwaner!“: Mit diesen – auch noch in Mandarin gesprochenen – Worten hatte Miloš Vystrčil im August 2020 in Taipei die Herzen der Zuhörerinnen und Zuhörer gewonnen. Das hätte der tschechische Senatspräsident aber vielleicht auch ohne diesen kennedyesken Ausspruch geschafft. Denn allein die Tatsache, dass solch ein hoher ausländischer Gast dem isolierten Taiwan überhaupt einen offiziellen Besuch abstattete, sorgte für Aufsehen. Dass die Volksrepublik China den Besuch in der „abtrünnigen Republik“ heftig verurteilte, war zu erwarten – und so kam es dann auch. Aber das scheint nicht mehr so abschreckend zu sein wie früher.
Aus Tschechien kamen schon zuvor immer wieder für die Volksrepublik schmerzhafte Nadelpiekser, etwa als die Stadt Prag eine Partnerschaft mit Taipei schloss, woraufhin Shanghai seine wütend kündigte. Ernstere Sorgen dürfte der Regierung in Peking aber machen, dass nach Tschechien immer mehr Staaten in Mitteleuropa immer freundlichere Beziehungen zu Taiwan entwickeln.
Im November 2021 eröffnete in Litauens Hauptstadt das Taiwanische Vertretungsbüro. Schon davor hatte das Verteidigungsministerium des Landes den Bürgern abgeraten, chinesische Handys zu kaufen. Dann trat man auch noch aus dem sog. 17+1-Format aus, ein Wirtschaftsforum, mit dem die Volksrepublik die ost- und mitteleuropäischen Staaten wirtschaftlich und politisch an sich binden wollte. Nicht einmal harte Wirtschaftssanktionen haben bisher Litauen von seiner Fast-Anerkennung Taiwans abgebracht. Ähnlich verhält es sich mit der Slowakei. Anfang Dezember besuchte eine offizielle Delegation mit Vertretern aus Politik und Wirtschaft unter der Leitung von Vize-Wirtschaftsminister Karol Galek Taiwan, um dort neun Memoranda zur Kooperation in Sachen Forschung und Wirtschaft zu unterzeichnen. Wütende Reaktionen aus Peking konnten nichts mehr ändern. Und kürzlich kündigte die slowenische Regierung sehr zum Verdruss der Volksrepublik an, dass Taiwan ein Handelsbüro in der Hauptstadt Ljubljana eröffnen werde.
Historische Reflexe
Die aktuelle Lage erklärt nicht völlig, warum Tschechien in diesem Maße ein Vorreiter werden konnte, der möglicherweise die Geostrategie der Volksrepublik in Mitteleuropa zum Entgleisen bringt. Kommentatoren führen bisweilen an, die Tschechen würden bei Taiwan daran erinnert, dass auch sie 1938 von der westlichen Wertegemeinschaft, in deren Schutz sie sich wähnten, im Stich gelassen wurden, als die Großmächte im Münchner Abkommen Hitler das Sudetenland überließen. Im Jahr darauf war die ganze Tschechoslowakei von der Landkarte verschwunden. Solche historischen Reflexe existieren, erklären aber nicht alles.
Tatsächlich hat sich die China- und Taiwan-Politik recht systematisch seit der Samtenen Revolution von 1989 entwickelt – ist also nicht nur als Ausdruck einer aktuellen Stimmungslage. Treibende Kraft war dabei der ehemalige Dissident und spätere Präsident Václav Havel, der auf eine stark werteorientierte Außenpolitik drängte, die vor allem sehr China-kritisch war. Das zeigte sich schon ab 1990 unter anderem in zahlreichen Staatsempfängen für den Dalai Lama.
1995 wurde der taiwanische Ministerpräsident Lien Chan bei einem offiziellen Besuch trotz heftiger Drohungen seitens Peking von Präsident Havel empfangen. Am nächsten Tag traf er sich auch mit Ministerpräsiden Václav Klaus, was dazu führte, das eine chinesische Delegation ihren Besuch in Prag abbrach und etliche Kooperationsabkommen ununterzeichnet blieben.1995 nutzte Havel bei einer Grundsatzrede vor der Vollversammlung anlässlich des 50. Jubiläums der UNO die Gelegenheit, die langfristige Anerkennung und Aufnahme Taiwans in die Vereinten Nationen zu fordern.
Die China-kritische Linie – inklusive etlicher offizieller Besuche taiwanischer Delegationen sowie des Dalai Lamas – hatte auch weitgehend Bestand, nachdem 2003 Václav Klaus Nachfolger von Václav Havel geworden war. Alt-Präsident Havel ruhte nicht, sondern organisierte ein immer dichteres, zivilgesellschaftliches und kulturelles Netzwerk, um seine China-kritische Linie zu verfestigen. Immer wieder gab es Kulturaustausch mit Taiwan, etwa eine große Ausstellung im Prager Nationalmuseum mit raren Stücken aus dem taiwanischen Nationalmuseum 2005. Ein Netzwerk von Menschenrechtsforen, allen voran das Forum 2000, aber auch die Dagmar und Václav Havel Stiftung und die Václav Havel Bibliothek wurden von ihm ins Leben gerufen und dienten als Plattform für hochrangige tibetische und taiwanische Politiker, die so wiederum ihre Kontakte zu tschechischen Regierungsmitgliedern ausbauen konnten.
Der Dank Taiwans war Havel gewiss. Kein anderer Staat hatte sich so sehr für die Interessen des Landes eingesetzt wie Tschechien. Als Havel 2004 selbst nach Taiwan kam, verlieh Präsident Chen Shui-Bian Havel den Orden des Strahlenden Sterns (Erster Klasse).
Fast ein Rückschlag
Das Erbe Havels hat sich als äußerst stabil erwiesen. Unter der letzten sozialdemokratisch geführten Regierung Sobotka (2013-17) versuchten Teile der Partei, angefeuert von Tschechiens äußerst Putin- und Chinafreundlichen Präsidenten Miloš Zeman, einen Kurswechsel zu initiieren. Im Zuge des 17+1-Formats sollten Investitionen aus China angelockt werden. 2016 stand der Dalai Lama, der zum Forum 2000 gekommen war, zum ersten Mal vor geschlossenen Türen. Der Präsident empfing ihn nicht und Ministerpräsident Sobotka untersagte sogar allen Regierungsmitgliedern, sich mit dem Dalai Lama zu treffen. Darüber setzte sich nur der christdemokratische Kulturminister Daniel Herman hinweg.
Zivilgesellschaft, Politik und öffentliche Meinung erwiesen sich jedoch als äußerst resistent gegen die Pro-China-Politik des Präsidenten und seiner Anhänger. Heftige Widerstände kamen aus der Zweiten Kammer, dem Senat. Fast alle mit Menschenrechten und Sicherheitspolitik befassen NGOs lancierten eine recht wirksame Kampagne. Die Partnerschaft Prags mit Taipei gehörte dazu und wurde als Signal empfunden.
Letztlich scheiterte die geostrategische Kampagne Chinas um politischen Einfluss in Ost- und Mitteleuropa zuerst in Tschechien. Und die tschechisch-taiwanischen Beziehungen sind, wie der Besuch Vystrčils im August 2020 in Taipei zeigte, besser denn je. Zwar stellt formell keine tschechische Regierung – auch nicht die gerade gewählte – die Ein-China-Politik grundsätzlich in Frage. Aber die stetige Ausweitung der Spielräume, die Taiwan zurzeit erfährt, wird in keiner Weise behindert und kann sich schrittweise weiterentwickeln. Der neue Außenminister Lipavský betone in einem Interview im November 2021, dass er in Taiwan einen zukunftsträchtigen Partner sehe.
Dass dies jetzt auch immer mehr außerhalb Tschechiens geschieht, ist angesichts der allgemeinen geostrategischen Lage und der unmittelbaren Bedrohung Taiwans hilfreich. Tschechien gelang das hauptsächlich, weil es eine langfristige strategische Grundausrichtung in der Taiwan-Politik gab - eine gute Lehre auch für andere Länder.
* Detmar Doering ist seit 2017 Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit für Mitteleuropa und Baltische Staaten in der Goldenen Stadt Prag.
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