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Zeitgeschichte
50 Jahre Moskauer Vertrag

Unterzeichnung des Moskauer Vertrages
Unterzeichnung des Moskauer Vertrages ( v. l. Willy Brandt, Alexei Kossygin und Walter Scheel) © Archiv des Liberalismus

Obwohl Liberale grundsätzlich keine Sympathien für Kommunisten haben, sind sie doch häufig zugleich Realpolitiker, die Gespräche und Verhandlungen mit kommunistischen Regimen nicht pauschal verwerfen. Im Gegenteil: Liberale Außenpolitiker waren mehrfach an deutsch-sowjetischen Übereinkünften federführend beteiligt, so die Außenminister Rathenau und Stresemann mit den Verträgen von Rapallo 1922 und Berlin 1926.

Weit schwieriger war das deutsch-sowjetische Verhältnis nach dem Zweiten Weltkrieg im Zeichen von Kaltem Krieg und Ost-Welt-Konflikt. Vorausschauenden Liberalen war bald klar, dass der „Schlüssel zur Wiedervereinigung“ in Moskau lag. Aber wie konnte man an diesen gelangen, nachdem sich westliche Roll-Back-Strategien als unwirksam erwiesen hatten und halb Europa samt einem großen Teil von Deutschland im sowjetischen Machtbereich verblieben war?

Nicht nur bei Liberalen setzte in den 1960er Jahren ein Umdenken ein: Eine mögliche Wiedervereinigung der Deutschen wäre allenfalls mit Zustimmung aller Nachbarstaaten in Ost und West und der Supermächte möglich. Diese Maxime bestimmte die Außenpolitik der 1969 angetretenen sozial-liberalen Koalition, in der die FDP erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik das Auswärtige Amt übernahm.

Und der neue Außenminister Walter Scheel war willens, sich in die schnell anlaufenden Verhandlungen mit Moskau maßgeblich einzuschalten. Die Ausgangslage war sehr gegensätzlich, da die Sowjet-Union keinerlei Interesse an einer Veränderung des Status quo haben konnte, die Bundesregierung aber auf die Wiedervereinigung schon durch das Grundgesetz festgelegt war und zugleich auch auf Verbesserungen der innerdeutschen Situation abzielte.

Die Verhandlungen insbesondere mit dem sowjetischen Außenminister Gromyko, der nicht zu Unrecht international den Ruf des „Mr. Njet“ hatte, waren entsprechend schwierig. Der am 12. August 1970 im Kreml von den jeweiligen Regierungschefs und Außenministern unterzeichnete Vertrag trug schließlich beiden Seiten Rechnung, obwohl sich auf den ersten Blick die Sowjet-Union vollständig durchgesetzt zu haben schien, was dann zu harten innenpolitischen Kontroversen in Bonn führte.

Denn beide Seiten bekannten sich nicht nur zum Gewaltverzicht, sondern auch zur „territorialen Integrität aller Staaten in Europa in ihren heutigen Grenzen“, womit die Bundesregierung faktisch den Verlust der 1945 verlorenen deutschen Ostgebiete anerkannte.

Aber es waren gerade die von Walter Scheel durchgesetzten Details, die sich langfristig als höchst wirksam erwiesen: So sollten die Grenzen dem Wortlaut nach „unverletzlich“, aber eben nicht wie von sowjetischer Seite ursprünglich gewünscht „unveränderbar“ sein. Was damit gegebenenfalls bezweckt war, machte Scheel dadurch deutlich, dass er bei der Unterzeichnung dem sowjetischen Amtskollegen einen sogenannten „Brief zur Deutschen Einheit“ übergab, den dieser stillschweigend annahm. Damit war gewissermaßen die dort bekundete Absicht der Bundesregierung, „auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt“, Teil des Moskauer Vertrags.

Während diese Dimension in ihrer Bedeutung erst viele Jahre später erkennbar wurde, entfaltete ein anderes inoffizielles Junktim schon bald Wirkung: Die bundesrepublikanische Seite hatte klargemacht, dass eine Verabschiedung des Vertrags nur nach einer Neuregelung des prekären Status von West-Berlin, der wiederholt zu schweren internationalen Krisen geführt hatte, möglich sei. In der Tat kamen bald Vier-Mächte-Verhandlungen zustande, die die Bindungen der Teilstadt an die Bundesrepublik festigten.

Andererseits war mit dem Moskauer Vertrag der Weg frei für bilaterale Verhandlungen mit den anderen unmittelbaren Nachbarstaaten im Osten inklusive der DDR, die innerhalb weniger Jahre erfolgreich abgeschlossen wurden. Und er eröffnete die Tür für kollektive Abmachungen über die Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa im Rahmen der KSZE, aus der dann eine neue Freiheit für die große Mehrheit der Europäer hervorging. Sowohl in kurz- wie in langfristiger Perspektive war also der Moskauer Vertrag eine „Sternstunde der Diplomatie“, an der liberale Politiker nicht nur entscheidend mitgewirkt hatten, sondern in der sich liberale Konzepte auch in jeder Hinsicht schließlich durchsetzten.