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Wofür wollen wir kämpfen?

Vorschläge für Traditionslinien einer europäischen Armee
EU-Armee
Wofür sollten die Soldaten einer zukünftigen europäischen Armee kämpfen? © CC BY-NC-ND 2.0 Flickr.com/ European Parliament

Das deutsche Verteidigungsministerium sucht nach einer geeigneten Tradition für die Bundeswehr, deren Soldaten wünschen sich Orientierung und Identität. Doch angesichts immer stärkerer europäischer Zusammenarbeit und einer wachsenden Zahl gemeinsamer Einsätze sollte man die Suche nach Tradition gleich auf europäischer Ebene fortsetzen. Denn wofür sollten die Soldaten einer zukünftigen europäischen Armee kämpfen?

Die Bundeswehr ist auf Sinnsuche. Mit einem „Tagesbefehl“ hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen angekündigt, den seit 1982 gültigen Traditionserlass der Bundeswehr zu überarbeiten. Ihr Ziel ist es, die bundeswehreigene Geschichte stärker in den Vordergrund zu rücken. Einen über fünfunddreißig Jahre alten Erlass zu überarbeiten, ist einleuchtend: Schließlich kann dieser entscheidende Entwicklungen wie das Ende des Kalten Krieges und die Armee der Einheit, die Aussetzung der Wehrpflicht oder die späteren Auslandseinsätze und Kampfhandlungen nicht antizipieren.

Die Überarbeitung des Traditionserlasses kann aber auch zum Anlass genommen werden, bereits bekannte Entwicklungen stärker zu betonen. Der alte Traditionserlass erwähnt zwar, dass es für die Traditionsbildung in den Streitkräften von Bedeutung ist, dass die Bundeswehr „in ein Bündnis von Staaten integriert ist, die sich zur Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts bekennen.“ Weiter in die Tiefe geht er aber nicht. Dabei ist die Bundeswehr seit ihrer Gründung wie keine andere Armee in Bündnisstrukturen eingebettet.

Sicherheitspolitische Debatten auf deutscher und europäischer Ebene

In diesen Tagen bestimmen Themen wie  Innere Führung und Tradition die deutsche sicherheitspolitische Debatte. Auf der europäischen Ebene ist der „Megatrend“ jedoch die Entwicklung einer europäischen Verteidigungsunion mit dem möglichen Fernziel einer europäischen Armee. Dieser Trend wird befeuert durch eine Zunahme sicherheitspolitischer Krisen und der Forderung nach steigenden Militärausgaben angesichts der bislang eher knappen Verteidigungshaushalte der Europäer. Folglich dominieren Schlagwörter wie „Effizienzsteigerungen, Kostenersparnisse und Größenvorteile“ die bisherige Debatte.

Soldaten

Soldaten müssen die Werte und Normen leben, die sie im im Ernstfall mit ihrem Leben zu verteidigen haben

© iStock.com/mayo5

Mindestens genauso wichtig wäre allerdings eine Reflexion darüber, auf welchen Werten und auf welcher Tradition eine europäische Verteidigungsunion aufgebaut werden könnte. Schließlich braucht es europäische Staatsbürger in Uniform, die die Werte und Normen leben, die sie im Ernstfall mit ihrem Leben verteidigen müssen. Für kaum eine andere Berufsgruppe hat Tradition eine solche Bedeutung wie für Soldaten. Gleichzeitig spielt in den meisten europäischen Ländern das jeweilige Militär selbst eine wichtige Rolle für die Traditionsbildung und gilt häufig als nationales Symbol. Nicht zuletzt sind unterschiedliche strategische Kulturen auch auf unterschiedliche nationale Traditionen im Umgang mit den Streitkräften zurückzuführen. Hier könnte ein entscheidendes Hemmnis in der Verteidigungsintegration liegen, das bislang kaum beachtet wird.

Die deutsche Debatte über Streitkräftetraditionen sollte folglich auch im größeren Kontext auf europäischer Ebene geführt werden. Schließlich ist die Verteidigungsfähigkeit ein Kernbereich nationaler Souveränität. Noch viel stärker als die Währungsunion würde eine Verteidigungsunion die europäische Integration insgesamt befördern und europäische Gesellschaften bewegen.

Eine europäische Armee braucht eine europäische Tradition

Nun steht die Suche nach Traditionen für ein europäisches Militär vor einer Vielzahl an Herausforderungen. Dies beginnt damit, dass im Bewusstsein vieler Europäer nationale Traditionen eine größere Rolle spielen dürften als europäische Traditionen. An dieser Stelle lohnt es, sich den Ausgangspunkt des europäischen Einigungsprozesses vor Augen zu führen. Dieser bestand vor dem Hintergrund zweier Weltkriege in dem festen Willen, kriegerische Auseinandersetzungen auf dem europäischen Kontinent für alle Zeiten zu verhindern. Schon die Montanunion wurde gegründet, um nationale Rüstungsindustrien voneinander abhängig zu machen. Auch waren in den fünfziger Jahren die Planungen für eine europäische Armee weiter fortgeschritten als zu jedem späteren Zeitpunkt. Die fundamentale Ablehnung totalitärer Regime blieb zudem bis zum Ende des Kalten Krieges ein wesentliches Element europäischer Wehrhaftigkeit. Nicht umsonst gilt die Europäische Union als das vielleicht größte Friedensprojekt in der Geschichte der Menschheit. Mittlerweile haben europäische Soldaten gemeinsam in einer Vielzahl von Einsätzen auch außerhalb Europas einen Beitrag für Frieden und Stabilität geleistet.

Christian Weber

Dr. Christian Weber

© Christian Weber

Diese Erfahrungen könnten den Grundstein für eine europäische Streitkräftetradition legen. Dazu sollten sie stärker in der europäischen Öffentlichkeit diskutiert und wahrgenommen werden. Dies gilt für den sicherheitspolitischen Diskurs allgemein. Die wachsende Bedeutung der Bündnisverteidigung zeigt auch, dass Frieden und Sicherheit keine Selbstverständlichkeiten sind, sondern immer wieder aufs Neue errungen werden müssen. Die Soldatinnen und Soldaten, die dies leisten sollen, brauchen hierfür nicht nur die technischen und strukturelle Voraussetzungen. Sie brauchen vor allem eine Legitimation. Dies beginnt bereits mit der Frage, worauf die Angehörigen einer Verteidigungsunion ihren Eid leisten sollen, wenn sie ihren Dienst antreten.

Eine künftige Europäische Verteidigungsunion kann und darf kein rein technisches Gebilde sein. Sie bedarf einer demokratischen Legitimation, die militärisches Handeln begründet. Tradition spielt hierbei eine zentrale Rolle. Es wird Zeit, dass die Suche nach Traditionen nicht mehr rein national, sondern europäisch beantwortet wird. Schließlich lässt sich die Frage nach dem „Wohin?“ nur beantworten, wenn man das „Woher?“ kennt.

Dr. Christian Weber ist ehemaliger Zeitsoldat und arbeitet als politischer Referent für den Deutschen Bundeswehrverband e.V.