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Woche des Widerstands
Helden? Verräter? Vorbilder?

Liberale Anmerkungen zum Widerstand. Anlass: 75 Jahre Attentat auf Hitler und "Unternehmen Walküre" am 20. Juli 1944
Stauffenberg

Claus Schenk Graf von Stauffenberg

© picture alliance / AP Photo

In diesen Tagen ist es genau 75 Jahre her, dass Claus Schenk Graf von Stauffenberg auf Hitler ein Attentat verübte und das Unternehmen Walküre anlief. Es scheiterte. Grund genug, für die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit das Thema aufzugreifen - in einer Reihe von Veranstaltungen deutschlandweit: in Schwerin, Stuttgart, Leipzig, Magdeburg und München, alles Städte, die Bezug zu großen Persönlichkeiten des Widerstands haben.

Die Ereignisse des 20. Juli 1944 sind gründlich recherchiert, vielfach erzählt und sorgfältig analysiert worden - erst jüngst u. a. in zwei bemerkenswerten Publikationen: Linda von Keyserlingk-Rehbein belegte 2018 in ihrem Buch "Nur eine 'ganz kleine Clique' " im überzeugenden Detail, wie ungeheuer weit das Netzwerk der Verschwörung gespannt war; und Winfried Heinemann beschrieb erst jüngst in seinem 2019 erschienenen Werk "Unternehmen 'Walküre'" als erster systematisch die gesamte Militärgeschichte des Staatsstreiches.

Gleichwohl bleiben ethische Grundfragen, die diskutiert werden müssen - aus liberaler und demokratischer Sicht. Dies gilt umso mehr, als sich rechtspopulistische Kräfte der AfD eifrig bemühen, das Erbe des 20. Juli 1944 für sich zu reklamieren: eine perverse Usurpation, der in aller Deutlichkeit entgegengetreten werden muss - intellektuell, moralisch und politisch. Dazu unser Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Paqué.

Helden? 

Es liegt nahe, die Verschwörer des 20. Juli als Helden zu verehren. Sie riskierten ihr Leben, und die meisten verloren es - erschossen nach der Tat, gehängt nach entwürdigenden Schauprozessen oder durch faktisch erzwungenen Freitod. Sie ahnten dies im Voraus, aber sie handelten trotzdem - am Ende tatsächlich, um wenigstens die Ehre Deutschlands zu retten, nach all dem Morden und den Verbrechen, die Krieg und Konzentrationslager über die Menschheit gebracht hatten - in deutschem Namen. Sie hinterließen Familien und Kinder, die teils in Sippenhaft leiden mussten. Und die Ehepartner wussten es oder ahnten es zumindest, soweit sie nicht eingeweiht waren. Ein grausames Schicksal mit großem moralischen Antrieb, auch wenn immer wieder - wie jüngst in der neuen Stauffenberg-Biografie von Thomas Karlauf - krampfhaft versucht wird, die Ethik des Verhaltens mit Blick auf die Sozialisation des Betroffenen in Zweifel zu ziehen, was allerdings im Kern scheitert.

Gleichwohl schreckt man zurück, von "Helden" zu sprechen. Die Gründe liegen auf der Hand: Viele der Verschwörer, auch die führenden Persönlichkeiten des militärischen Widerstands, waren selbst in den Kriegsjahren mindestens Mitwisser geworden von den Gräueltaten der Nazis - sei es wie Henning von Tresckow in der Heeresgruppe Mitte an der Ostfront, in deren Hinterland die Waffen-SS den Partisanenkampf vor allem gegen Juden mit größter Brutalität führte, sei es wie Schwerin von Schwanenfeld und andere als direkte oder indirekte Zeugen von Massenerschießungen. Sie waren über Jahre in schwerster Gewissensnot und entschieden sich erst relativ spät zur Tat, als klar wurde, dass der Krieg verloren ging.

All dies ist längst bestens belegt. Genauso wie die Tatsache, dass die allermeisten der Verschwörer keineswegs der Weimarer Republik und Demokratie nachtrauerten, sondern für den parlamentarischen Parteienstaat nur wenig mehr als Verachtung übrighatten. Einige hingen dem kaiserlichen oder altpreußischen Obrigkeitsstaat nach wie Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg oder auch der avisierte Reichskanzler und ehemalige Oberbürgermeister von Leipzig Carl Goerdeler. Andere hatten eine neue elitäre, korporative Ständegesellschaft im Blick, die bestenfalls romantisch verklärt, aber auf keinen Fall zukunftsweisend war - ganz abgesehen von weit verbreitetem Antisemitismus und antiwestlicher Aversion gegen die Aufklärung. Nur wenige wie die Vertreter des Kreisauer Kreises um James Graf von Moltke hatten Konzepte für das europäische Zusammenleben, wie sie tatsächlich später ansatzweise realisiert wurden. Es ist kein Zufall, dass all diese Ideen in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Krieg kaum Spuren hinterließen, nachdem die westlichen Alliierten nach der bedingungslosen Kapitulation das Heft in die Hand genommen hatten und fortan die Richtung der Entwicklung bestimmten.

Dieser Widerstand war getrieben vom Gewissen des Einzelnen, weit weg von einer nationalistischen oder gar völkischen Motivation. Gerade darin liegt seine Größe.

Paqué
Karl-Heinz Paqué

Verräter?

Statt Helden also reaktionäre Verräter, die der tragisch gescheiterten Weimarer Republik im Nachhinein in den Rücken fielen? Auch dies wäre natürlich in Anbetracht der Verbrechen der Nazis ein völlig verfehltes Urteil. Dazu hat Stauffenberg im Grund in einem berühmten Satz das Nötige gesagt: "Derjenige allerdings, der etwas zu tun wagt, muss sich bewusst sein, dass er wohl als Verräter in die deutsche Geschichte eingehen wird. Unterlässt er jedoch die Tat, dann wäre er ein Verräter an seinem eigenen Gewissen."

Damit meinte Stauffenberg: Die Verbrechen der Nazis waren so immens, dass sie nur mit der Tötung Hitlers zu beantworten waren, wenn man seinem Gewissen folgt. Nach heutigen moralischen Maßstäben hatte er ohne Zweifel Recht - und eben dies lässt uns seine Tatbereitschaft mit ehrendem Gedenken und Respekt in Erinnerung rufen. Dies war in den fünfziger Jahren noch ganz anders, als das Ausscheren aus der militärischen Disziplin im soldatischen Milieu als Verbrechen galt. Erst Bundespräsident Theodor Heuss leitete 1959 einen Wandel ein: hin zur Priorität des Gewissens jedes Einzelnen in humanitären Extremlagen, wie sie nun einmal im nationalsozialistischen Angriffskrieg und bei der Vernichtung des europäischen Judentums herrschten.

Von Verrat also keine Spur? So ist es, jedenfalls beim 20. Juli 1944. Allerdings gebietet es die demokratische Redlichkeit, zur Vorsicht zu mahnen. Auch das Attentat auf Hitler samt der Operation Walküre war nun mal ein Staatsstreich - und als solcher potenziell gegen eine "Ordnung" gerichtet, die von den Militärs seinerzeit aus besten ethischen Gründen abgelehnt wurde. Aber wie sieht es aus, wenn diese "Ordnung" verfassungsgemäß, rechtsstaatlich und demokratisch legitimiert ist? Darf etwa eine Gruppe von Militärs in der Bundesrepublik Deutschland den Umsturz planen, als Staat im Staate. wenn sie Rechte verletzt sehen? Und welche Rechte genau? Und wo genau liegt die Grenze, bei dem das Gewissen über die Ordnung - so korrumpiert sie sein mag – obsiegen darf? Eines erscheint sicher: Der demokratische Verfassungs- und Rechtsstaat muss dafür die Latte sehr hoch legen, sonst wird die freiheitlich demokratische Grundordnung zum Spielball des Militärs. Es ist ein Glück, dass sich seit Bestehen der Bundesrepublik diese Frage nie mehr praktisch gestellt hat, eben weil die Bonner und Berliner Republik – anders als die von Weimar – so erfolgreich war und ist. Gleichwohl darf man das grundsätzliche Dilemma niemals aus dem Blick verlieren.

Vorbilder?

Wenn schon nicht Helden und schon gar keine Verräter, so doch wenigstens Vorbilder? Ja und nein. Ganz eindeutig "Ja", was den Mut zur Tat betrifft - und das Zahlen des Preises, der da lautete: das eigene Leben. Henning von Tresckow hat es nach dem gescheiterten Attentat kurz vor seinem Freitod gegenüber dem Freund Fabian von Schlabrendorff laut dessen späterer Niederschrift so formuliert: "Der sittliche Wert eines Menschen beginnt erst dort, wo er bereit ist, für seine Überzeugung sein Leben hinzugeben." Das ist ein Satz wie aus einer anderen Zeit: hart und unerbittlich, vielleicht geht er zu weit. Aber die Richtung stimmt, sein Kern ist zutreffend. Er gilt erst recht heute, wo allenthalben die Neigung besteht, schon die kleinste Tat von risikolosem Aufmucken als "Widerstand" hochzustilisieren.

Schwieriger wird es aber, wenn man die Ideale und Motive in den Blick nimmt, die über lange Jahre die Hauptakteure des Widerstands bewegt haben. Da sind sie ganz normale Kinder ihrer Zeit - und damit keineswegs vorbildhaft. Von romantisierter Jugendbewegung über den überspannten George-Kreis bis zu dezidiert nationalen und antidemokratischen Idealen, das war das Spektrum der Motivationskulisse der zwanziger Jahre, das die großen Persönlichkeiten des 20. Juli 1944 antrieb. Manche wie Fritz-Dietlof von der Schulenburg waren langjährig begeisterte Parteimitglieder der NSDAP, andere wie Henning von Tresckow warben 1933 für den Nationalsozialismus. Erst Röhm-Putsch 1934 und Fritsch-Krise 1938 sowie Hitlers außenpolitische Aggressivität in den späten dreißiger Jahren trieben sie in die Arme dessen, was wir heute "Vernunft" nennen würden - und selbst dies noch bei einigen mit Rückschlägen und Verzögerungen. Also: Vorbilder nicht in ihrem Bild der Welt, aber in ihrem Mut zum Handeln.

Darin aber wirklich große Vorbilder, und einsame obendrein. Französische Offiziere (nicht deutsche!), so berichtet Winfried Heinemann in seinem neuesten Buch, vertraten 1959 im Gespräch die Auffassung, die Tat der deutschen Offiziere könne nicht gebilligt werden, denn Deutschland habe sich damals im Krieg befunden, und im Krieg sei ein Attentat auf den obersten Befehlshaber ein Verbrechen. Ähnlich dachten wohl all jene der Alliierten, zu denen die Verschwörer während des Zweiten Weltkriegs auf verschlungenen Wegen den Gesprächskontakt suchten – teils aus Erziehung und Überzeugung, teils aus militärstrategischen (und nachvollziehbaren) Vorbehalten. Selbst also beim „Feind“ keinerlei Verständnis, nur Misstrauen. Es klang deshalb wie der Nachhall eines schlechten Gewissens, dass ausgerechnet Winston Churchill kurz nach dem Zweiten Weltkrieg dem militärischen Widerstand des 20. Juli ein Denkmal in Worten setzte. Er sagte:

"In Deutschland lebte eine Opposition, die zum Edelsten und Größten gehört, was in der politischen Geschichte der Völker je hervorgebracht wurde. Diese Männer kämpften ohne Hilfe von innen und außen, einzig getrieben von der Unruhe ihres Gewissens."

Winston Churchill
Winston Churchill

So ist es. Und man fragt sich dabei, wie die rechtspopulistische AfD und andere rechtsextreme Gruppierungen auf die absurde Idee kommen können zu versuchen, eben jenen Widerstand für sich zu reklamieren. Denn dieser Widerstand war einzig getrieben vom Gewissen des Einzelnen, weit weg von einer nationalistischen oder gar völkischen Motivation. Gerade darin liegt seine Größe. Und genau darin stärkt er das Fundament der liberalen Demokratie.