Foto 
  Karl-Heinz
 
  Paqué
Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Wirtschaft
Ein Verbot von Negativzinsen wäre höchst riskant

Die Forderung nach einem Verbot von Negativzinsen auf Sparanlagen ist abwegig, meint Karl-Heinz Paqué
Paqué
Karl-Heinz Paqué © Photothek / Thomas Imo

Dieser Artikel erschien am 23. August 2019 erstmals als Gastkommentar im Handelsblatt.

 

Die Große Koalition tut sich schwer mit den Realitäten der Finanz- und Kapitalmärkte. So fordert Markus Söder (CSU) ein Verbot von sogenannten Strafzinsen auf Bankeinlagen für Kleinsparer. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) findet die Idee wohl gut und verspricht, sie in seinem Hause zu prüfen.  

Es war Kurt Schumacher, ein Sozialdemokrat, der einst treffend formulierte: „Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit“. Die Große Koalition ignoriert diesen Grundsatz, zumindest mit Blick auf die Finanz- und Kapitalmärkte. Denn würde sie die dortige Realität zur Kenntnis nehmen, würde ihr nicht entgehen, dass für (annähernd) risikolose Anlagen längst Renditen vorherrschen, die negativ sind - und zwar in vielen Nationen mit hoher Bonität des Staates.

Ein paar Beispiele: Laut „The Economist“ liegt derzeit die Umlaufrendite zehnjähriger Staatsanleihen in Deutschland bei -0,7 Prozent, in den Niederlanden bei -0,5 Prozent, in Frankreich bei -0,3 Prozent. Ähnliches außerhalb des Euroraums: in der Schweiz bei -1,0 Prozent, in Schweden bei -0,4 Prozent, im fernen Japan bei -0,3 Prozent. Die Menschen sind also bereit, ihr Geld langfristig anzulegen, auch wenn sie dafür weniger zurückbekommen, als sie zur Verfügung stellen.

Es lässt sich wissenschaftlich darüber streiten, woran dies im Einzelnen liegt. Offenbar bewerten die Menschen in wohlhabenden Volkswirtschaften den (annähernd sicheren) Konsum in der Zukunft höher als in der Gegenwart, was ja durchaus ein sympathischer Zug ist: Sie wollen lieber mit ihrem Geld vorsorgen statt zu prassen.

Dieses Phänomen macht es den Zentralbanken überaus schwer, die Zinsen in die Höhe zu treiben - auf jenes Niveau, an das die Politik von früher her gewöhnt ist. Denn wenn sie es täte, droht die ohnehin geringe Neigung zu Konsum und Investitionen schnell weiter zu sinken, mit der Gefahr einer Rezession, die derzeit ohnehin in der Luft liegt. 

Die Zentralbanken gehen deshalb den umgekehrten Weg und verlangen von Banken für Zentralbankanlagen selbst Zinsen statt welche zu zahlen - die Öffentlichkeit spricht von „Strafzinsen“. Den Banken bleibt, wollen sie nicht ihre Liquidität und Solvenz gefährden, nichts anderes übrig als diese an die Kunden weiterzugeben.

So weit, so marktwirtschaftlich. Ein Verbot dieser Praxis wäre höchst riskant. Im Extremfall könnte es eine Finanzkrise in Gang setzen - und dies bei einem stabilen Umfeld ganz geringer Inflation! Tatsächlich ist der Ruf nach einem Verbot ein klassisches Beispiel für plumpen Populismus: Den Menschen wird vorgegaukelt, der Staat hätte Macht und Wille, sie vor einem langfristigen und weltweiten Trend zu schützen. Es ist wie bei vielen Verboten: Sie haben gewaltige Nebenwirkungen, die geflissentlich verschwiegen werden.

Das heißt natürlich nicht, dass es überhaupt keine vernünftige politische Antwort auf die Lage gibt. Der Staat muss dafür sorgen, dass mehr Kapital nachgefragt wird - und dies kann er vor allem durch eine aktive Wachstumspolitik tun, die zu mehr Investitionen führt und die Renditen nach oben treibt. Dazu gehören Steuersenkungen sowie verbesserte Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, was Infrastruktur und Innovationskraft betrifft.  

Auch dazu gehören bessere Möglichkeiten der Anlage für Kleinsparer in Risikokapital, das durch kluge Diversifikation deutlich höhere Renditen bei immer noch niedrigem Risiko abwirft. Dies erfordert aber eine Neugestaltung der Finanzmarktregulierung und wohl auch eine verbesserte steuerliche Vergünstigung für jene Anleger, die bereit sind, sichere Anlagen durch Risikokapital zu ersetzen. Dies würde auch helfen, die schwache Gründerszene und Start-up-Kultur in Deutschland zu beleben.

Es führt also kein Weg an einer unangenehmen Erkenntnis vorbei: Deutschland nähert sich wohl jener Lage, in der Japan schon lange steckt - einem Zustand der säkularen Schwäche der Investitionen bei dauerhaft negativen Zinsen. Soll unser Land da wieder raus, bedarf es keiner Verbots-, sondern einer Wachstumspolitik. Davon ist bei der Großen Koalition in Berlin derzeit nichts zu sehen.

 

Professor Karl-Heinz Paqué ist Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und Inhaber des Lehrstuhls für Internationale Wirtschaft an der Universität Magdeburg.