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Wirtschaft
Aufbruch statt Abstieg!

Deutschland braucht eine neue Wachstums- und Regionalpolitik für strukturschwache Regionen.
Paqué
Karl-Heinz Paqué © Photothek / Thomas Imo

Nicht neu, aber wichtig sind die Erkenntnisse einer Studie des IW Köln zu wirtschaftlich gefährdeten Gebieten in Deutschland. Die Politik muss daraus Konsequenzen ziehen. So sieht es unser Vorstandsvorsitzender und Volkswirt Karl-Heinz Paqué.

"Die Zukunft der Regionen in Deutschland", so lautet der Titel der neuen Studie des IW Köln. Anhand von 12 Indikatoren zu Wirtschaft, Demografie und Infrastruktur wurde untersucht, welche Wachstumsperspektiven sich für knapp 100 unterschiedliche Regionen in Deutschland erwarten lassen.

Das Ergebnis lässt aufhorchen: Sechs Regionen fallen in die Kategorie "auffallend schlechte Lage" - es sind in Nordrhein-Westfalen Emscher-Lippe und Duisburg/Essen sowie das gesamte Saarland, im Osten die Altmark, Anhalt-Bitterfeld/Wittenberg und Oberlausitz/Niederschlesien. Als "gefährdet" gelten weitere 13 Regionen, davon allein sieben im Osten der Republik. Auffallend dabei, dass im Westen sich die Problemgebiete in Teilen des Ruhrgebiets sowie im Raum Saarland/Westpfalz ballen und im Osten vor allem den mitteldeutschen Raum durchziehen, wobei die großen urbanen Zentren und ihr Umland ausgenommen sind. Auffallend auch, dass der Großraum Berlin mit seinem Brandenburger Umland nicht betroffen ist - mit Ausnahme des weiteren Südostens der Stadt in Richtung des Braunkohlereviers bei Cottbus.

 

Deutschland

Gefährdete Regionen in Deutschland

© Freiheit.org

Das Gesamtbild ist damit klar und eindeutig: Rund ein Fünftel aller Regionen drohen zurückzufallen oder gar abgehängt zu werden. Das ist übrigens aus der gesamtwirtschaftlichen Vogelperspektive gar nicht so viel, aber es ist natürlich vor allem die regionale Konzentration, die Sorgen macht. Es geht dabei nicht um ein simples Stadt/Land-Gefälle, sondern besonders um die fortwährende Wachstumsschwäche altindustrieller Regionen, die zum Teil eine recht hohe Bevölkerungsdichte aus der großen Zeit der Industrie geerbt haben, aber den Menschen heute nicht genug berufliche Perspektiven bieten können, um sie vor Ort zu halten.

Die politische Schlussfolgerung daraus ist einfach: Die strukturschwächsten Regionen brauchen Unterstützung beim Aufbau jener Infrastruktur, die das Wachstumspotenzial verbessert. Dies gilt wie stets für die Fernverkehrswege auf Schiene und Straße, aber in noch stärkerem (und zunehmendem!) Maße für leistungsfähige Netze der Informationstechnologie sowie Forschungs- und Wissensverbünde. Der Mobilfunkstandard 5G ist dabei eine genauso notwendige Bedingung wie die Stärkung von Universitäten und Fachhochschulen, insbesondere mit technischen Schwerpunkten.

Es geht dabei nicht um vordergründig "gleichwertige" oder gar "gleiche" Lebensbedingungen, sondern vor allem um die Initialzündung für einen Wachstums- und Aufholprozess, der Lebensstandard und -qualität selbst bei größter Dynamik erst in der fernen Zukunft ausgleicht. Aber die Weichen dazu müssen schnellstmöglich gestellt werden.

Die Chancen dazu stehen gar nicht schlecht, selbst in den besonders betroffenen Regionen des Ostens. Denn der dynamisch wachsende Ballungsraum Berlin bietet große Möglichkeiten zur großräumigeren Vernetzung von Wirtschaftsstrukturen. So könnte der Osten sich sehr wohl ein Beispiel an dem Aufstieg Bayerns in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg nehmen, als München als wachsender High-Tech-Standort in die bayerische Provinz ausstrahlte. Heute fällt in Bayern in der IW Köln-Studie keine einzige Region mehr in die Kategorie "auffallend schlechte Lage" oder auch nur "gefährdet".

Zu Pessimismus und Skepsis gibt die IW-Köln-Studie also keinen Anlass. Auch modische Überlegungen, ganze Landstriche des Ostens "aufzugeben" und sich mit dem Entstehen von "Geisterstädten" abzufinden, finden in der Untersuchung keine Stütze. Wohl aber spricht alles - 30 Jahre nach der Deutschen Einheit - für einen neuen "Aufbruch Ost" und auch einen längst überfälligen "Aufbruch West" - in Teilen des Ruhrgebiets bis zum Saarland und der Westpfalz.