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Wie Indiens Bargeldreform die Wirtschaft eintrübt

Ein Jahr nach Narendra Modis Demonetarisierung
indisches Geld

Nach der Demonetarisierung eingeführte Banknoten

© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

In Indien wütet der Wahlkampf. Im Dezember finden im Bundesstaat Gujarat Regionalwahlen statt, die als wichtiges Barometer für die Stimmung im Volk gelten. Im Mittelpunkt der mit harten Bandagen ausgetragenen Konfrontation zwischen der regierenden BJP, der Partei des in Neu Delhi amtierenden Ministerpräsidenten Narendra Modi, und der oppositionellen Kongress-Partei steht die Lage der Wirtschaft. Mitten in den Wahlkampf fällt der erste Jahrestag der so genannten Demonetarisierung, der Bargeldreform, die noch immer die Gemüter der Inder und der politischen Klasse erhitzt. 

Wir erinnern uns: Am 8. November des vergangenen Jahres erklärte der Ministerpräsident völlig überraschend alle 500 und 1000 Rupien-Scheine für wertlos. Auf einen Schlag verloren 86 Prozent der Liquidität den Wert. Kleine Summen des alten Geldes – so die Direktive aus Delhi  – konnten die Inder an den Bankschaltern gegen neue, legale Banknoten eintauschen. Für Wochen, ja Monate, war den Menschen die Verfügung über ihr monetäres Eigentum verwehrt.

Modi begründete den massiven Eingriff in das Wirtschaftsleben mit dem Kampf gegen Schwarzgeld und Steuerhinterziehung. Es folgte wochenlanges Chaos vor den Banken. Nur schleppend gelang es den Geldhäusern, die wie alle anderen von der Aktion überrumpelt wurden, die frisch gedruckten Rupien-Scheine in kleinen Portionierungen unters Volk zu bringen.

Finanzpolitische Nacht- und Nebelaktion

Beobachter waren sich bald einig: Kein wirtschaftspolitischer Eingriff der Regierung hat das Leben der Inder derart in Mitleidenschaft gezogen wie Modis Demonetarisierung. Gleichwohl führte die finanzpolitische Nacht-und Nebelaktion keinesfalls zu einem Aufstand der Massen.  Die große Mehrheit der Inder, die Stunden, teils Tage, in langen Warteschlangen an den Banken ausharrten, unterstützte die Maßnahme, viele mit zum Teil demonstrativ zur Schau gestelltem Enthusiasmus.

Narendra Modi ist ein Meister der Kommunikation, dem keiner seiner Widersacher diesbezüglich das Wasser reichen kann. Er verkaufte die Bargeldumtauschaktion publikumswirksam als sozialpolitisches Umverteilungsprogramm, das vor allem die bei den armen Massen verhassten reichen Eliten treffen würde.

Dass diese Rechnung nicht aufgegangen ist, wurde erst viel später klar: Nur sechs Prozent der Vermögenswerte der Inder sind in Bargeld angelegt. Zudem: nach offiziellen Angaben der Zentralbank wurden 99 Prozent der alten, entwerteten Bankscheine in neue umgetauscht. Die Kritiker sprechen von der größten Geldwäsche-Aktion in der indischen Geschichte. Dass die Regierung die Steuerfahnder auf all jene angesetzt hat, die in den Tagen und Wochen des Chaos an den Banken teilweise riesige Beträge an den Bankschaltern eingezahlt (und dafür neue Scheine bekommen) haben, lassen die Modi-Gegner nicht gelten. Der Großteil des reingewaschenen Geldes ist durch die Hände professioneller Geldwäscher gegangen, die nur schwer zu überführen sein werden.    

Hatte die Opposition gehofft, die Wähler im bevölkerungsreichsten Bundesstaat Uttar Pradesh würden die Modi-Partei wenige Monate nach der Demonetarisierung abstrafen, so passierte genau das Gegenteil: Modis BJP feierte einen haushohen Sieg. Der Triumph war so deutlich, dass verschiedentlich von einer Vorentscheidung für die nationalen Wahlen im Jahr 2019 die Rede war.

Narendra Modi
Narendra Modi lässt sich einmal mehr als der große Erneuerer feiern. © CC BY 2.0 flickr.com/ Jim Mattis

Das war in diesem Frühjahr. Seither hat sich die Stimmung für die Regierung merklich eingetrübt. Das liegt entscheidend an den für örtliche Verhältnisse schlechten Wirtschaftsdaten. Anfang Oktober korrigierte der Internationale Währungsfonds (IWF) seine Wachstumsprognose für 2017 um ein halbes Prozent auf 6,7 Prozent nach unten; es ist das schlechteste Ergebnis der zurückliegenden drei Jahre. Die Experten sind sich einig, die Demonetarisierung ist ein wesentlicher Grund für die konjunkturelle Eintrübung. „Das Wachstum hat sich wegen der andauernden Auswirkungen der Geldumtausch-Initiative verlangsamt“, schreibt der IWF in einem aktuellen Bericht.

Monströse Steuerreform

Wenig Begeisterung bei Investoren und Händlern löste dann auch die zweite große Wirtschaftsreform der Modi-Regierung in diesem Sommer aus, die als Jahrhundert-Projekt gefeierte einheitliche Waren- und Dienstleistungssteuer. Zwar begrüßen alle Seiten im Prinzip das Vorhaben, das finanzpolitisch fragmentierte Riesenland in einen einheitlichen Wirtschaftsraum zu transformieren. Die „Goods and Services Tax“ beschert den Indern indes ein monströses System mit einem halben Dutzend unterschiedlichen Steuersätzen. Kaum einer durchdringt das neue Regelwerk, das einen gewaltigen bürokratischen Mehraufwand erforderlich macht, klagen die Unternehmer. Der administrative Aufwand überfordere vor allem kleinere und mittlere Unternehmen. Die Regierung, um Schadensbegrenzung bemüht, ist bereit zum Nachbessern – auch das hat natürlich mit dem nahenden Wahltermin zu tun. 

In den Kommentaren der internationalen Wirtschaftspresse hat Narendra Modi längst den Nimbus des ökonomischen Reformers eingebüßt. Jubelschreie in den Rängen der in die Defensive geratenen Regierung löste dann auch der aktuelle „Ease of Doing Business“-Bericht der Weltbank aus, der vor allem ausländischen Investoren bei der Standortentscheidung helfen soll. In dem Rapport ist Indien gleich um 30 Ränge auf Platz 100 nach vorne gesprungen.

Narendra Modi lässt sich einmal mehr als der große Erneuerer feiern, der das Riesenland auf kurzem Weg zum Wohlstand führen wird. Die Bekämpfung der Korruption und Schattenwirtschaft bleibt dabei ein Aushängeschild des Regierungschefs. Ein Jahr nach der Demonetarisierung sind viele Inder der Meinung, dass Modis kostspielige Geldreform das Land in diesem Punkt nicht viel weitergebracht hat.

Dr. Ronald Meinardus leitet das Regionalbüro Südasien der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit in Neu Delhi.