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Was bleibt vom „Kapital"?

Zehn Thesen und ein Fazit über Karl Marx
Der 5. Mai 2018 wäre der 200. Geburtstag von Karl Marx gewesen.

Der 5. Mai 2018 wäre der 200. Geburtstag von Karl Marx gewesen.

© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Dieser Artikel ist zuerst erschienen im liberal-Magazin 01.2018.

Marx und seine Folgen im Rückblick

1. Wissenschaft: Marx lag falsch.
„Das Kapital“ ist ein grandioses Werk der volkswirtschaftlichen Theoriegeschichte. Seine zentralen Thesen und Prognosen können aber heute als widerlegt gelten. Insbesondere seine Lehre des objektiven (Arbeits-)Werts der Waren sowie das Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate, der zum Niedergang des Kapitalismus führe, wurden nicht bestätigt.

2. Philosophie: Marx versuchte Unmögliches.
Karl Popper warf Marx (wie schon Hegel) zu Recht vor, ein „Historizist“ zu sein, das heißt zu versuchen, eherne Gesetze der Geschichte nachzuweisen – aufgrund von theoretischen Überlegungen und historischen Spekulationen. Eben dies ist nach Poppers kritisch rationalistischer Auffassung unmöglich. Vieles spricht dafür, dass Popper recht hat.

3. Zeitgeschehen: Marx war Gelehrter der Industrialisierung.
Marx war kluger Zeitzeuge der gewaltigen Kapitalbildung („Akkumulation“) im Zuge der industriellen Entwicklung des 19. Jahrhunderts. Seine Lehren sind deshalb – stärker als die anderer großer Ökonomen – geprägt durch seine Beobachtungen, die er mit höchst weitreichender theoretischer Fantasie verarbeitete. Darin liegen aber auch ihre Grenzen.

4. Politik: Die Praxis des Marxismus ist gescheitert.
Auf Marx geht die Idee der sozialistischen Revolution zurück. Ihr Kern war dabei die „Vergesellschaftung“ der Produktionsmittel sowie die Abschaffung der Marktwirtschaft zugunsten einer Zentralverwaltungswirtschaft. Diese scheiterte in der Praxis an Ineffizienz und Innovationsschwäche. Politisch brachte sie ein hohes Maß an Freiheitsbeschränkung.

5. Erbe: Postsozialistische Länder haben es weiter schwer.
Seit den Neunzigerjahren gibt es nur noch vereinzelt sozialistische Staaten mit zentraler Wirtschaftsverwaltung – zu nennen sind Kuba, Nordkorea und Venezuela. Jene Länder, die von der Staats- zur Marktwirtschaft übergingen, haben mit langfristigen „Flurschäden“ als Erbe zu kämpfen. Dazu zählt auch der Osten Deutschlands als Nachfahre der DDR.

Marx und die heutigen Herausforderungen

6. Wissen und Technologie sorgen für globales Wachstum.
Triebkraft des Wachstums moderner Volkswirtschaften ist nicht mehr die Akkumulation von Kapital im Sinne von Marx. Für den Fortschritt sorgen stattdessen Forschung und Entwicklung, die marktwirtschaftich gelenkt und vielerorts staatlich gefördert werden. Dies gilt für reife „Industrieländer“, aber auch für „emerging market economies“. Diese holen auf.

7. Die Globalisierung fördert Wachstum, aber auch Instabilität.
Alle Märkte, aber vor allem die Finanzmärkte sind zunehmend weltweit integriert – dank auch der gewaltigen Fortschritte der Digitalisierung. Dies schafft für alle Länder große Chancen, aber auch neue Risiken der spekulativen Blasen. Diese gab es zwar auch im 19. Jahrhundert zu Zeiten von Marx; sie waren aber industriegetrieben und eher national begrenzt.

8. Gefährliche Marktmacht entsteht durch weltweite Netzwerke.
Die Digitalisierung sorgt für neue Geschäftsmodelle. Es entstehen globale Großkonzerne der Informationstechnologie, deren Kapital aus Wissen (und nicht Anlagen) besteht. Dies schafft eine neue Dimension von Marktmacht. Der Finanzbedarf ist dabei geringer als in der ersten Industrialisierungsphase. Dies führt – zusammen mit demografischen Trends – zu weltweit niedrigen Zinsen.

9. Es gibt Tendenzen zur Spaltung der Gesellschaft.
Digitalisierung und Globalisierung bergen die Gefahr in sich, die Gesellschaft zu spalten. Darunter leidet heute die Mittelschicht, deren intellektuelle Routinearbeit durch Informationstechnologie oder Standortverlagerung bedroht ist. Komplexe Führungsaufgaben, aber auch persönliche Dienstleistungen sind weniger betroffen. Die gesellschaftlichen Strukturen, die Marx vorfand, waren im Vergleich dazu völlig andere.

10. Globale ökologische Grenzen verlangen Zusammenarbeit.
Die Größe der Weltbevölkerung und der steigende Pegel ihres Entwicklungsniveaus führen die Weltwirtschaft an die ökologischen Grenzen. Dies ist eine relativ neue Entwicklung, die unvorstellbar war in den Jahren, in den Marx gelebt hat. Es bedarf deshalb multilateraler Abkommen unter anderem zur Stabilisierung des Ausstoßes von Treibhausgasen und zur Rettung der Weltmeere.

Fazit: Lebenschancen statt Revolution, Ralf Dahrendorf statt Karl Marx

Karl Marx, der in diesem Jahr seinen 200. Geburtstag feiern würde, war ein großer Intellektueller mit großen Gedanken. Aus seinen Irrtümern und deren gesellschaftlichen Folgen haben wir – hoffentlich – eines gelernt: Im Zeitalter der Globalisierung müssen die Herausforderungen durch Reformen bewältigt werden. Das Ziel (frei nach Dahrendorf): für mehr Menschen mehr Lebenschancen!

Karl-Heinz Paqué ist stellv. Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Als Professor der Volkswirtschaftslehre hat er großen Respekt vor der Lebensleistung von Karl Marx. Gleichwohl gilt für ihn: Marx lag falsch.