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Wahlen
Wahl in Sachsen und Brandenburg: So viel Osten war selten

Fünfeinhalb Millionen Menschen wählen am Sonntag neue Landtage in Brandenburg und Sachsen, analysiert Thomas Volkmann
Dresden

Eine Übersicht über Dresden mit der historischen Altstadt im Zentrum.

© dpa

So viel Osten war selten. Gebannt ruht der Blick an diesem Wochenende auf Sachsen und Brandenburg, wo rund fünfeinhalb Millionen Wahlberechtigte am Sonntag neue Landtage wählen. Die Kommentatoren in Medien und Wissenschaft publizieren hochtourig im Spekulationsmodus, die Parteistrategen entwerfen schon jetzt Szenarien für den „Tag danach“, die Kommunikationsabteilungen der Parteien formulieren Erklärungsmuster für alle Fälle und die Karikaturisten spitzen schon die Feder.

Die Bürgerinnen und Bürger in den beiden Ländern zeigen großes Interesse. Die Wahlen sind noch lange nicht gewonnen: Nur zwei Drittel der befragten Wahlberechtigten in Sachsen und nur knapp die Hälfte derjenigen in Brandenburg bezeichnen ihre Wahlentscheidung schon jetzt als sicher. 

Welche Ergebnisse bei den Wahlen auch dabei herauskommen werden: Sie werden bedeutsam sein. 

  1. Mit ähnlichen Ergebnissen, wie sie die letzten Umfragen aufweisen, dürfte in beiden Ländern die Regierungsbildung komplizierte Gespräche voraussetzen. Eine „Große Koalition“ im jahrzehntelang gewohnten Zuschnitt – also Schwarz-Rot - wird in beiden Ländern nicht möglich sein. Vor allem in Sachsen werden tiefgründige Verhandlungen notwendig sein, und so spekuliert man schon über derzeit ungewohnte Farbkombinationen wie die Kenia-Koalition.
  2. In beiden Ländern wird es – aller Voraussicht nach – die eine starke Partei nicht mehr geben. Weder die SPD in Brandenburg, noch die CDU in Sachsen dürften Ergebnisse wie vormals erreichen, die ihr jeweils die meinungspolitische Pole-Position in der gesellschaftlichen Diskussion garantieren. 
  3. Die Opposition, welcher Couleur dann auch immer, wird politik-strategisch und inhaltlich nicht ausreichend einig sein, um ein wirksames Gegengewicht zu bilden und das Meinungsklima im Land zu beeinflussen – umso mehr, sollte die FDP den Einzug in die Parlamente verfehlen. Denn:
  4. Über allem, was derzeit diskutiert wird, schwebt die sich ankündigende starke Position der AfD bei beiden Wahlen. Nach den aktuellen Umfragen will jede/r Vierte in Sachsen und jede/r Fünfte in Brandenburg für die AfD stimmen. Wenn es so kommt, wird ein großer Block im Parlament nicht an konsequenter, vor allem nicht an koordinierter Oppositionsarbeit interessiert sein. 
  5. Man kann denjenigen, die aufgerufen sein werden, das Kunststück Regierungsbildung in den beiden Ländern zu vollbringen, nur wünschen, dass sie dies überzeugend hinbekommen. Der Verdacht, dass eine Regierung nur aus der Not und mit dem Zweck geboren wurde, die AfD in Schach zu halten, wäre fatal. Schon derzeit ist die Zufriedenheit mit der jeweiligen Regierung in beiden Ländern eher gering.
  6. Wichtig wäre, dass nach der Wahl die Menschen in den Ländern mit Politikangeboten und durchdachten, sachgerechten, perspektivischen Lösungen für ihre eigene, persönliche Lebenswelt überzeugt werden. In einer Umfrage von Infratest dimap wurden die Menschen gefragt, welche Partei sich am meisten um die Interessen der Ostdeutschen kümmere. Jeweils die relative Mehrheit (in Sachsen 35 Prozent, in Brandenburg 40 Prozent), mit weitem Vorsprung, sagte: keine. Best of the rest war jeweils die Linke; SPD (in Brandenburg) und CDU (in Sachsen) lagen nur knapp vor der AfD.

Vor allem, wenn man schon einmal auf mögliche Resultate bei der Wahl in Thüringen, Ende Oktober, vorausschaut, droht eine nicht nur für die politikwissenschaftliche Analyse, sondern auch fürs politische Tagesgeschäft schwierige Lage. Wie sagte Hans-Dietrich Genscher im Deutschen Bundestag am 8. November 1989, angesichts der sich abzeichnenden Veränderungen in Europa: „Nichts wird mehr so sein, wie es war, nicht im Osten, aber auch nicht im Westen.“ Das könnte nach den beiden anstehenden Wahlen auch für Deutschland gelten.

 

Thomas Volkmann ist stellvertretender Leiter des Liberalen Instituts.