EN

Vorratsdatenspeicherung
„Fast blinder Glaube an die Vorratsdatenspeicherung“

Die ehemalige Bundesjustizministerin warnt vor einer Wiederauferstehung der Vorratsdatenspeicherung. Diese sei bei der Strafverfolgung kein Allheilmittel.

Seit diesem Montag verhandelt der Europäische Gerichtshof wieder einmal über die anlasslose Vorratsdatenspeicherung (VDS). Vorlagen aus Frankreich, Großbritannien und Belgien zielen zwar auf unterschiedliche rechtliche Aspekte. Dennoch ist die politische Diskussion in Deutschland wieder aufgeflammt. Als hätte es weder europäische noch deutsche Urteile je gegeben, träumen einige Sicherheitspolitiker sogar von einer Ausweitung der gescheiterten Regelung.

Für Holger Münch, immerhin Chef des Bundeskriminalamtes, ist die Vorratsdatenspeicherung gegen die Bekämpfung rechter Hetze im Netz das Mittel der Wahl. Sein Vorschlag: Schlicht die IP-Adressen aller Nutzer speichern. Als Vorbild greift Münch dabei auf eine Analogie zu den KfZ-Kennzeichen im Straßenverkehr zurück, die unter praktischen und juristischen Gesichtspunkten völlig fehl geht.

In gewissen Kreisen scheint sich die Auffassung durchzusetzen, die VDS sei langfristig das einzige Mittel, um Straftaten im Netz wirksam zu bekämpfen, so etwa der CDU-Sicherheitspolitiker Peter Sensburg: „Wenn das Internet nicht ein rechtsfreier Raum werden soll, müssen wir den Einsatz der Vorratsdatenspeicherung viel weiter ermöglichen als bisher“.

Dieser fast blinde Glaube an die VDS als Allheilmittel ist nicht nur für jeden guten Juristen heikel. Er kann auch nicht mit Blick auf die Strafverfolgungspraxis gerechtfertigt werden. So wurde etwa das neue VDS-Gesetz von 2015 insbesondere mit der Bekämpfung von Terrorismus und schwerster Kriminalität begründet. Der Anschlag vom Berliner Breitscheitplatz Ende 2016 konnte jedoch auch mit der VDS nicht verhindert werden. Sowohl hier als auch bei der Ermordung des Kassler Regierungspräsidenten Lübcke im Juni 2019 waren die Täter bekannt.

Die Herausforderung ist, diese potenziellen Gewalttäter, die meistens nicht Mitglied einer Organisation sind, im Blick zu haben und die Sicherheitsarbeit effizienter zu gestalten. Stattdessen wird wieder auf die anlasslose Speicherung der Daten von Millionen von Bürgern gesetzt.

Und die VDS ist auch im Bereich der Strafverfolgung im Netz keineswegs alternativlos. Deutlich aussichtsreicher sind zum Beispiel personell und fachlich gut aufgestellte Sonderdezernate bei den Staatsanwaltschaften, die eng mit Medienanstalten, Kriminalämtern und Medienunternehmen zusammenarbeiten. So bekämpft etwa bei der Staatsanwaltschaft Köln ein entsprechendes Sonderdezernat gegen Hasskriminalität im Netz als Teil der landesweit zuständigen Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen (ZAC NRW) bereits seit längerem erfolgreich Hass und Hetze.

Die VDS wird nicht wiedergeboren. Sie ist verfassungs- und europarechtswidrig und hat sich schlicht nicht als das alternativlose Mittel der Strafverfolgung erwiesen, als das sie stets verkauft wird. Das Bundesverfassungsgericht wird den Gesetzgeber hier im Verlauf dieses Jahres wohl wieder einmal zur Räson rufen. Gut, dass es die Grundrechte gibt und Institutionen, die sie schützen.

Dieser Artikel erschien am 09. September 2019 erstmals als Gastbeitrag im Handelsblatt.