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"Vor dem Populismus hatte Genscher sehr früh gewarnt"

Hans-Dieter-Heumann über Hans-Dietrich Genscher
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Hans-Dietrich Genscher

Hans-Dieter Heumann arbeitete viele Jahre als Diplomat und Botschafter, unter anderem in den USA und hat dadurch ein umfassendes Verständnis der transatlantischen Beziehungen. Als promovierter Genscher-Biograph erhielt er Einblicke in die Gedankengänge und Strategien Genschers wie kein Zweiter.

Genscher-Biograph
© Friedrich-Naumann-Stiftung

Hans-Dietrich Genscher bekleidete das Amt des Außenministers so lange wie kein anderer. Was waren die Besonderheiten seiner Außenpolitik und welche Schwerpunkte setzte er?

Die Besonderheit seiner Außenpolitik lag darin, dass sie von Konzepten getragen wurde. Genscher wurde oft als reiner Taktiker der Macht missverstanden. Er hatte aber sehr früh ein Konzept davon, wie die deutsche Einheit durch die Überwindung der Teilung Europas erreicht werden kann. So kam es ja auch. Es war Genscher, der die 2 + 4 Gespräche zum Erfolg führte. Genschers Außenpolitik war modern. Sein Ziel, dass Europa einmal als Akteur in der Welt die Globalisierung gestaltet, ist heute erklärte Strategie der Europäischen Union.

Er war jedoch nicht nur Außenminister. Welche anderen Politikbereiche prägte er ebenfalls?

Als Innenminister (1969-74) ist es Genscher gelungen, die Spannung zwischen Freiheit und Sicherheit zu bewältigen und zu gestalten, das zentrale und aktuelle Thema der Liberalen. Der Terrorismus der „Roten Armee Fraktion“ oder die Anschläge bei den Olympischen Spielen im Sommer 1972 in München hatten den Rechtsstaat herausgefordert. Außerdem war Genscher als Innenminister der erste Umweltminister der Bundesrepublik Deutschland. Er hatte die Bedeutung des Themas früh erkannt und erstmals eine entsprechende Abteilung in seinem Ministerium eingerichtet.

Hans-Dietrich Genscher ist selbst jungen, politisch uninteressierten Menschen bekannt. Was genau machte ihn zum unvergessenen Staatsmann?

Genscher hatte in der Tat eine so anhaltende Popularität, wie sie heutigen Politikern kaum mehr gegönnt ist, vor allem wenn sie aus einer kleinen Partei kommen. Die Menschen haben erkannt, dass Genscher mehr als ein Politiker war. Er war in der Tat ein Staatsmann, der Geschichte schrieb.

Wie groß ist heute noch die Aktualität Hans-Dietrich Genschers Außenpolitik, angesichts zunehmend wachsender Konflikte innerhalb der EU?

Gerade hierin ist Genscher Außenpolitik aktuell. Er sah damals in einem starken Europa die einzige Chance, in einer multipolaren Welt zu bestehen. Angesichts der Rückbesinnung der USA auf sich selbst war dies vorausschauend. Der BREXIT hat gezeigt, dass auch ehemals starke europäische Staaten ohne die Europäische Union schlechter dastehen. Vor dem Populismus hatte Genscher sehr früh gewarnt.