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Volksentscheide
US-Wahlen: Keine einfachen Antworten auf komplexe Zukunftsfragen

Drogen, Uber, Abtreibung – die wichtigsten Volksentscheide der U.S Wahl 2020
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Neben den Präsidentschaftswahlen und weiteren Wahlen fanden in 32 US-Bundesstaaten insgesamt 120 Volksabstimmungen zu politischen Initiativen statt. Diese spiegeln die Vielfalt der politischen Debatte in den USA wieder. Vor allem geben sie Hinweise darauf, welche Entwicklungen auf wichtigen Politikfeldern zu erwarten sind – in den USA, teilweise aber auch darüber hinaus. Es handelt sich hier um ein Experimentierfeld der Demokratie. Deshalb lohnt es, sich ausgewählte Abstimmungen und Themenfelder etwas näher anzuschauen.

Regulierung der „Gig-Economy“

In Kalifornien wurde über eine Initiative (Proposition 22) abgestimmt, die die Regulierung der Vertragsverhältnisse von Fahrern bei App-basierten Fahrdiensten wie etwa Uber betrifft. Ziel der Initiative war es, ein kalifornisches Staatsgesetz aus dem Jahr 2019 teilweise außer Kraft zu setzen, das die betreffenden Fahrer nicht mehr als unabhängige Vertragspartner der Unternehmen einstufte, sondern als abhängig Beschäftigte. Damit sind verschiedene Regelungen verbunden, die die Arbeitszeiten, den Versicherungsschutz und andere Fragen betreffen. Diese Abstimmung gehörte zu denjenigen, bei denen die Spenden, die zur Unterstützung des Vorschlages geleistet wurden, außerordentlich hoch waren – insgesamt über 200 Millionen US$, allein über 50 Millionen von Uber. Wäre der Vorschlag nicht angenommen worden, hätten die betroffenen Fahrdienste ihre Tätigkeit in Kalifornien eingestellt. Proposition 22 fand ca. 58% Zustimmung und wurde somit angenommen. Die neue Regelung macht die Fahrer zwar wieder zu unabhängigen Vertragspartnern, enthält aber gleichzeitig verschiedene Regelungen, die ihnen den Zugang zur Krankenversicherung erleichtert und weitere Absicherung bietet. Damit könnte sie als Beispiel für ein Regulierungsproblem dienen, vor dem viele Bundesstaaten der USA, aber auch viele Staaten auf der ganzen Welt stehen: Wie lässt sich die von Kunden und Anbietern gleichermaßen gewünschte Flexibilität und Anpassungsfähigkeit von Dienstleistungen und Vertragsverhältnissen mit dem Wunsch nach sozialer Absicherung ausbalancieren? In Kalifornien werden die Fahrer in Zukunft in Abhängigkeit von ihrer wöchentlichen Arbeitszeit Zuschüsse zur Krankenversicherung zwischen 41 und 82 Prozent der zu zahlenden Beiträge erhalten. Die Höchstarbeitszeiten sind auch weiterhin gesetzlich fixiert. Weiterhin wird ihnen ein Mindesteinkommen in Abhängigkeit von ihrer Arbeitszeit und den zurückgelegten Kilometern garantiert. Weiterhin wird die Absicherung bei Unfällen und deren Folgen gesetzlich festgelegt und gestärkt. Gleichzeitig bleibt die für Fahrer wichtige Flexibilität bei der Arbeitszeit erhalten und auch den Kunden nutzt.

Hilfe statt Haft? – Legalisierung und Entkriminalisierung von Drogen

Im Jahr 1972 wurde von Richard Nixon der „War on Drugs“ erklärt. In Zeiten der zunehmenden Verbreitung von Heroin versprach sich der damalige Präsident von einem harten Durchgreifen gegen Konsumenten und Dealer eine starke Abschreckungswirkung. Hohe „Mandatory Sentences“, also verpflichtende Mindeststrafen wurden eingeführt und später noch verschärft. Schon für den Besitz kleiner Mengen illegaler Drogen drohten mehrjährige Haftstrafen. Fast 50 Jahre später kann Bilanz gezogen werden. Ist der Konsum zurückgegangen? Haben die Maßnahmen etwas geholfen? Nein. Im Gegenteil, der Konsum ist sogar noch weiter gestiegen und die US-Gefängnisse sind überlastet. In den USA kommen 655 Häftlinge auf 100.000 Einwohner. Ein Wert, der höher ist als in Ländern wie Turkmenistan, El Salvador, Thailand und Ruanda. Ein Großteil der US-Häftlinge sitzt wegen Drogendelikten seine Haftstrafe ab.

Nachdem das harte Vorgehen für lange Zeit eine breite Unterstützung genoss, kippt seit einigen Jahren die Zustimmung der Amerikaner. In Volksabstimmungen haben sich nach und nach immer mehr Bundesstaaten für eine Entkriminalisierung des Konsums von Drogen entschieden. So wurde allein in diesem Jahr in Montana, Arizona, Mississippi, Arizona, New Jersey und South Dakota der Konsum von Cannabis legalisiert, nachdem andere Staaten das schon vorher getan hatten.

Oregon geht sogar noch einen Schritt weiter. Mit der als „Measure 110“ bekannten Verordnung wird sogar der Besitz von härteren Drogen wie Heroin und Kokain entkriminalisiert. Statt Haftstrafen können Überführte jetzt zu maximal 100 $ Strafe verurteilt werden. Statt einer strafrechtlichen Verfolgung soll Süchtigen nun mit Entzugsbehandlungen geholfen werden. Ein entsprechender Etat ist in Oregon für das Jahr 2021 vorgesehen. Drogenschmuggler und Dealer sind von dieser Regelung ausgenommen. Ihnen drohen weiterhin harte Strafen.

Die Volksentscheide zeigen, dass es ein Umdenken der Amerikaner gegeben hat und dass Änderungsbedarf gesehen wird. Dieses Thema wird in den kommenden Jahren, im größeren Zusammenhang einer Strafrechts- und Strafvollzugsreform, auch auf der Bundesebene auf der Tagesordnung stehen. Aus der Politik kommen gemischte Reaktionen. Einige begrüßen einen milderen Umgang und hoffen auf eine Entlastung der Gefängnisse und eine bessere Rehabilitierung der Abhängigen. Andere empfinden die neuen Maßnahmen als zu weich und fürchten vor allem die Gefahr für Minderjährige die von einer weitreichenden Legalisierung mutmaßlich ausgehen würde. Der Feldversuch wird zeigen, ob Oregons Ansatz sich auszahlt und ob dann andere Bundesstaaten dem Beispiel folgen werden.

Affirmative Action und Umgang mit Diskriminierung

Die Volksabstimmung zur positiven Diskriminierung (affirmative Action) von ethnischen Minderheiten bei der Zulassung zu öffentlichen Universitäten in Kalifornien (Proposition 16) ist deutlich gescheitert. In dem liberalen Bundesstaat, in dem vor wenigen Monaten noch tausende Menschen gegen die Diskriminierung und Gewalt gegen „People of Color“ auf die Straße gingen, ist dieses Ergebnis bemerkenswert. Vor 24 Jahren wurden in Kalifornien Fördermaßnahmen, die gezielt Angehörige von benachteiligten Minderheiten, u.a. bei der Zulassung zu öffentlichen Universitäten, unterstützen, verboten. Kritiker der sogenannten Affirmative Action beklagten damals, dass durch die Bevorzugung bestimmter Gruppen andere diskriminiert würden. Andere Bundesstaaten wie Texas, Washington, Florida, Michigan, Nebraska, Arizona, New Hampshire, Oklahoma und Idaho folgten der Entscheidung Kaliforniens. Bei der Abstimmung am 3. November hatten die kalifornischen Wähler die Möglichkeit, diese Entscheidung rückgängig zu machen. Doch der Antrag wurde mit einer klaren Mehrheit von mehr als zwei Millionen Stimmen (57% zu 43%) abgelehnt. 

Die Gründe für diese Entscheidung in dem ethnisch vielfältigsten Bundesstaat der USA sind vielfältig. In den Debatten im Vorfeld der Abstimmung äußerten sich Viele kritisch gegenüber einer Wiederaufnahme des Affirmative Action, da sie befürchten, dass diese auf Kosten asiatisch-stämmiger Studenten gehen würde. Insbesondere die Klage der „Students for Fair Admissions" gegen die Elite-Universität Harvard mag hier eine Rolle gespielt haben. In der Anklageschrift warfen ca. ein Dutzend asiatisch-amerikanische Studenten der Harvard Universität vor, aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit im Zulassungsverfahren benachteiligt worden zu sein. In Harvard macht der Anteil asiatisch-amerikanischer Studenten derzeit über 24% aus; gemessen an ihrem Anteil in der Gesamtbevölkerung (6%) sind sie damit überrepräsentiert. Die Klage, die Ende 2019 abgelehnt wurde und in der Presse hohe Wellen schlug, warf zweifelsohne kein gutes Licht auf die Einbeziehung ethnischer Faktoren in universitäre Auswahlprozesse. 

Ein anderer Beweggrund für die Ablehnung des Antrags liegt darin, dass die Idee, aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Minderheit bevorteilt zu werden, bei vielen Wählern nicht gerade Anklang fand. Das Narrativ des American Dream, demnach sich jeder mit genügend Ausdauer und Entschlossenheit hervortun kann, ist nach wie vor weit verbreitet. Die Vorstellung hingegen, in Verdacht zu stehen, den eigenen Erfolg nur einer Bevorteilung zu verdanken, läuft dem zuwider. Die gescheiterte Initiative zeigt zudem, dass die Meinungen zu Affirmative Action in den USA keineswegs eindeutig politischen Lagern oder der Zugehörigkeit zu einer Minderheit zuzuordnen sind. So werden auch in Zukunft die Debatten um Affirmative Action kontrovers weitergeführt werden. Dennoch legt die deutliche Entscheidung in Kalifornien, das das größte öffentliche Universitäten-System der USA beherbergt, die Vermutung nahe, dass auch andere Staaten dem Beispiel Kaliforniens folgen werden.

Abtreibungsgesetzgebung

In Louisiana wurde von über 60 Prozent der Wähler das „Amendment 1“ angenommen. Im vom demokratischen Gouverneur des Staates John Bel Edwards unterstützten und von der ebenfalls demokratischen Senatorin des Senats von Louisiana Katrina Jackson maßgeblich vorangetriebenen Verfassungszusatz wird klargestellt, dass die Verfassung von Louisiana weder ein Recht auf Abtreibung noch ein Recht auf staatliche Finanzierung einer Abtreibung enthält. Das hat keine unmittelbaren Folgen, da einerseits auch kein Abtreibungsverbot formuliert wurde und andererseits das Grundsatzurteil Roe vs. Wade weiterhin gültig ist, das ein Abtreibungsverbot durch die einzelnen Bundesstaaten für verfassungswidrig erklärt. Gleichzeitig zeigt diese Abstimmung jedoch auch, dass es in den Vereinigten Staaten weiterhin große Meinungsverschiedenheiten ob und unter welchen Bedingungen und bis zu welchem Zeitpunkt Abtreibungen zulässig sein sollten. Auch diese Debatte wird in den kommenden Jahren eine prominente Rolle spielen.

Insgesamt zeigen die vielen Initiativen, unabhängig von ihrem Inhalt und unabhängig davon, ob sie angenommen oder abgelehnt wurden, eine lebendige Demokratie und geben ein Beispiel dafür, wie Meinungsverschiedenheiten friedlich und produktiv ausgetragen werden können. Zudem zeigen sie die Vorteile eines föderalen Systems mit Gesetzgebungskompetenzen für die Bevölkerungen der Einzelstaaten.