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Verfassungsschutz
Rechtsextremismus endlich entschieden bekämpfen

NSU, Anis Amri, Walter Lübcke: Die Debatte über die Rolle der deutschen Sicherheitsbehörden beim Vorgehen gegen Terrorismus und besonders Rechtsextremismus ebbt nicht ab. Zu Recht, denn die Bilanz ist insgesamt nicht überzeugend. Es reicht nicht, Personen auszutauschen. Es ist Zeit für einen Umbau der deutschen Sicherheitsarchitektur, fordert die Justizministerin a.D. und stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.

Den sechzehn Verfassungsschutzämtern der deutschen Bundesländer kommt die Rolle zu, religiöse Fundamentalisten, Rechtsradikale, Linksextremisten und Reichsbürger zu überwachen und noch dazu feindliche Spionageabwehr zu betreiben. Dem Land Bremen standen 2018 dafür 65,5 Vollzeitstellen zur Verfügung, im Saarland sind es lediglich 60. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) miteingerechnet gibt es also siebzehn Behörden, die alle das gleiche Ziel verfolgen: 

„Bedrohungen für die (…) freiheitliche demokratische Grundordnung und die öffentliche Sicherheit weit im Vorfeld polizeilicher Maßnahmen erkennen, einschätzen und hierdurch ihre Bekämpfung ermöglichen.“ (Quelle: verfassungsschutz.de, Stand 25. Juni 2019)

Dass die siebzehn Verfassungsschutzbehörden seit Jahren massive Probleme haben, diesen Auftrag mit der notwendigen Konsequenz und Effektivität umzusetzen, zeigen die Skandale um den Nationalsozialistischen Untergrund, diverse V-Leute im rechtsextremistischen Umfeld und die desaströse „Zusammenarbeit“ bei der Überwachung des islamistischen Gefährders und späteren Breitscheidplatz-Attentäters Anis Amri. Dafür wurden über Jahre Kapazitäten genutzt, um frei gewählte Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion bis hin zur Bundestagsvizepräsidentin gründlich zu überwachen. Die richtige Schwerpunktsetzung muss anders aussehen. Der Rechtsextremismus mit großem Gewaltpotenzial wird jetzt endlich als die große Gefahr für unsere Gesellschaft und Demokratie bewertet – zu spät, zu lange wurden die bestehenden rechtsextremen Netzwerke nicht ausreichend ernst genommen. Der Generalbundesanwalt tut es und ermittelt umfassend.

Wer nun denkt, im Fall des erschossenen Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke würde der hessische Verfassungsschutz besonders dynamisch und kompetent agieren, wird enttäuscht. Der dringend Tatverdächtige und jetzt geständige Stephan E. war den Behörden bereits in der Vergangenheit als gewaltbereiter und vorbestrafter Rechtsextremist bekannt. Die Daten über ihn seien, so gab der hessische Verfassungsschutz an, aus dem nachrichtendienstlichen System „Nadis“ gelöscht worden, nur um anschließend per Pressemitteilung klarzustellen, dass die Daten doch noch vorhanden sind. Es entsteht der Eindruck, als ob der Verfassungsschutz selbst keinen Überblick über seine eigenen Akten habe. Das ist nur ein Punkt in einer langen Reihe von Indizien, die kritische Fragen aufwerfen – man denke an die Entscheidung der Behörde, den NSU-Bericht für 120 Jahre als geheim zu klassifizieren, obwohl Stephan E. im Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses in Hessen genannt wird.

 Das mutmaßliche erneute Versagen einer deutschen Sicherheitsbehörde muss endlich Konsequenzen haben. Den Informationsaustausch untereinander zu verbessern, wird seit Jahren propagiert und dem dienen die zahlreich geschaffenen Terrorismusbekämpfungszentren - in denen alle Sicherheitsbehörden an einem Tisch sitzen. Und im Fall Amri gaben sie dennoch eine falsche Gefährlichkeitsprognose ab. Es ist das Eigenleben der einzelnen Verfassungsschutzbehörden der Länder, das unter anderem effektiveres Vorgehen sehr erschwert. 

Deshalb müssen Strukturen so verändert werden, dass die Sicherheitsarchitektur in Deutschland nachhaltig ist. Eine wehrhafte Demokratie braucht effizient arbeitende Polizeibehörden und Nachrichtendienste, die auch über die Ausstattung und das Personal verfügen, die bestehenden Befugnisse zu nutzen. Jährlich werden neue Stellen für die Sicherheitsbehörden auf Bund- und Länderebene geschaffen. Es muss endlich dargelegt werden, wieviel neue Mitarbeiter eingestellt und ausgebildet wurden. Eine Reduzierung der siebzehn Verfassungsschutzämter auf vier oder fünf Schwerpunktbehörden, zum Beispiel Nord, Ost, West und Süd, schafft mehr Effizienz und verhindert Reibungsverluste. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) sollte abgeschafft und seine Aufgaben auf Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz übertragen werden.

Derzeit ähneln die deutschen Verfassungsschutzbehörden einem Flickenteppich. Indes: Nur durch enge Zusammenarbeit, einheitliche Standards, klare Kompetenzverteilung und einen effizienten Informationsfluss kann ein Verfassungsschutz seinen Auftrag erfüllen, unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung mit Maß und Ziel zu schützen.