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US Wahlen
Der Kampf um den Supreme Court

Die Bestätigung von Amy Coney Barrett als Richterin am obersten amerikanischen Gericht könnte weitreichende Folgen haben - nicht nur für die Rechtsprechung in den USA sondern auch für die kommenden Wahlen
Amy Coney Barrett
Amy Coney Barrett bei ihrer Anhörung im Senat © picture alliance / Consolidated News Photos | Hilary Swift

In einem bereits jetzt beispiellosen Wahljahr ist der Oberste Gerichtshof der USA in den letzten Tagen der Präsidentschaftswahlen zu einem zentralen Thema geworden.

Der Justizausschuss des Senats hielt letzte Woche vier Tage lang Anhörungen zur Ernennung der konservativen Richterin Amy Coney Barrett für den Obersten Gerichtshof der USA ab. Sollte sie bestätigt werden, würde Barrett die verstorbene progressive Richterin Ruth Bader Ginsburg am Obersten Gerichtshof ersetzen, und sollte sie bis zum Wahltag bestätigt werden, wäre ihr Bestätigungsprozess einer der kürzesten der letzten Jahrzehnte.

Barretts Nominierung durch Präsident Donald Trump hat eine intensive Debatte entfacht, da die Demokraten den Vorwurf erheben, dass die Republikaner darauf drängen, Barrett noch vor der Wahl am 3. November bestätigen zu lassen. Sie sagen, dass Ginsburgs Nachfolge vom nächsten Präsidenten geregelt werden sollte. Wenn es den Republikanern gelingt, Barrett zu ernennen, wäre eine konservative Mehrheit von 6-3 im Supreme Court für die absehbare Zukunft gesichert.

Jüngste Umfragen zeigen, dass der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden vor Trump liegt, aber der Schwerpunkt in diesem Wahljahr lag bisher vor allem auf dem Umgang des Präsidenten mit der Coronavirus-Pandemie. Ein Themenwechsel hin zur Zukunft des Gerichts und die Aussicht auf eine konservative 6-3-Mehrheit könnte dazu beitragen, die republikanischen Wähler in den wichtigsten “swing states” zu motivieren und der Wahl weniger als zwei Wochen vor dem Urnengang neue Dringlichkeit zu verleihen.

Es wird erwartet, dass der Ausschuss am 22. Oktober abstimmt, gefolgt von einer Abstimmung im gesamten Senat, deren genauer Termin noch nicht festgelegt ist.

Claus Gramckow und Jens Wiegmann im Gespräch über die anstehenden Wahlen. © Friedrich-Naumann-Stiftung

Ein zweifelloses Ergebnis

Da die Bestätigung von Richterin Barrett so gut wie sicher ist, konfrontierten demokratische Senatoren sie mit Fragen, die eher mit Blick auf die Wahl als in der Hoffnung gestellt wurden, ihre Bestätigung zu blockieren. Weniger als drei Wochen vor der Wahl und unter der Annahme, dass einige unentschlossene Wähler den Anhörungen folgten, konzentrierten sich die Demokraten auf die Themen, die ihnen am wichtigsten sind, darunter Abtreibungsrechte, Gesundheitsfürsorge und die Zukunft des Affordable Care Act (ACA), ein Gesetz, das von der Republikanischen Partei angegriffen wird.

Ein Versuch, den ACA aufzuheben, kommt im November vor das Gericht und hat das Potenzial, das Gesetz abzuschaffen. Die Demokraten im Senat wiesen einer nach dem anderen darauf hin, dass Barrett sich öffentlich gegen das Gesetz ausgesprochen hat, und argumentierten, dass ihr Beitritt zum Supreme Court mitten in einer Pandemie die Gesundheitsversorgung für Millionen von Amerikanern gefährdet.

Die Republikaner hingegen hatten während der gesamten Woche das Vertrauen, dass sie die notwendigen Stimmen haben, um Barrett zu bestätigen. Sie gingen in diese Anhörung herein, indem sie Verteidigungslinien für Barrett gegen jede zu erwartende Kritik schufen, insbesondere gegen den Zweifel, dass sie in ihrer Rolle unparteiisch sein würde. Trump hat so viele öffentliche Kommentare darüber abgegeben, wie genau er will, dass seine konservativen Kandidaten für den Obersten Gerichtshof über bestimmte Fragen abstimmen, dass Kritiker von Barrett bezweifeln, dass sie Gerichtsentscheidungen objektiv angehen wird. Trump hat sich beispielsweise sehr klar ausgedrückt, dass er jemanden will, der ACA niederschlägt und der in dem von ihm erwarteten Rechtsstreit nach der Wahl, die Wahl zu seinen Gunsten entscheiden wird.

Richterin Barrett zeigte bei den meisten Themen keine besonders klare Position, aber bei der umstrittenen Frage, ob sie sich im Falle eines Streits über den Ausgang der Präsidentschaftswahlen wegen Befangenheit ablehnen würde, versicherte sie, dass sie mehr Integrität besitze, als dass sie als Schachfigur für eine Wahlentscheidung benutzt werden dürfe.

Aus der Perspektive von Republikanern und Trump haben sie eine Kandidatin gefunden, die sich gut gemacht hat, die viel Glaubwürdigkeit in Bezug auf ihren juristischen Scharfsinn abgegeben hat und die ihnen mit großer Wahrscheinlichkeit genau das liefern wird, was sie wollen: mehr von den Ergebnissen, die das derzeitige Gericht bereits geliefert hat und die dazu beitragen, die republikanische Agenda voranzubringen.

Die Frage der Aufstockung des Gerichts

Die Demokraten nutzten die Woche auch, um deutlich zu machen, was bei dieser Nominierung auf dem Spiel steht: Richterin Barrett würde letztlich das ideologische Gleichgewicht des Gerichts nach rechts verschieben und jahrzehntelang eine konservative Mehrheit im Supreme Court zementieren.

Eine konservative Mehrheit im Obersten Gerichtshof widerspricht jedoch dem, was die Mehrheit der Bevölkerung derzeit über bestimmte Fragen denkt. Zum Beispiel will die große Mehrheit der Amerikaner das Recht der Frauen auf Abtreibung beibehalten. Auch der Affordable Care Act erfreut sich zunehmender Beliebtheit, insbesondere während der derzeitigen Gesundheitskrise. Beide Gesetze wären gefährdet, wenn Barrett gewählt würde.

Da der von den Republikanern kontrollierte Senat wahrscheinlich Trumps dritte konservative Ernennung bestätigen wird, wodurch eine solide 6-3-Mehrheit geschaffen wird, haben einige progressive Mitglieder der Demokratischen Partei die Idee einer "Aufstockung" des Obersten Gerichts - und das Hinzufügen progressiver Richter - ins Spiel gebracht, sollte Biden gewinnen und die Republikaner die Kontrolle über den Senat verlieren. Dieser Vorgang wird als "court packing" bezeichnet und würde die konservative Mehrheit effektiv zerschlagen.

Demokraten sind tief verärgert über die Machtausübung und Eile der Republikaner, Richterin Barrett vor der Wahl zu bestätigen. Sie sagen, dass "court packing" eine passende Antwort auf die republikanische Blockade der Nominierung von Richter Merrick Garland durch Barrack Obama im Jahr 2016 wäre, durch die die Zahl der Sitze am Supreme Court für mehr als ein Jahr effektiv auf acht reduziert wurde, unter der Prämisse, dass ein leerer Sitzplatz in einem Wahljahr durch den neuen Präsidenten besetzt werden sollte.

Der Oberste Gerichtshof verfügt seit langem über neun Sitze. Aber das ist nur ein Statut, keine Verfassungsvorschrift. Die amerikanische Verfassung gibt dem Kongress eindeutig das Recht, die Form des Gerichts zu bestimmen, und er hat mehrmals Sitze hinzugefügt oder entzogen, allerdings nicht seit 1869. Im Laufe der Jahre hat der Kongress die Anzahl der Sitze auf bis zu fünf reduziert und auf bis zu zehn erhöht. Die Änderungen wurden oft zum Vorteil der Regierungspartei vorgenommen. Seit 1937, als Präsident Franklin D. Roosevelt seinen sogenannten "Court Packing Plan" verkündete, hat jedoch kein Präsident mehr versucht, die Anzahl der Sitze im Supreme Court zu ändern.

Viele Demokraten, die argumentieren, dass der Oberste Gerichtshof eine neue Arena für die Politik geworden ist, sehen "court packing" als einen notwendigen Schritt zur Wiederherstellung der Demokratie. Eine strukturelle Gerichtsreform könnte in der Tat die Legitimität des Gerichts erhöhen, nicht schaden. Die Republikaner sagen jedoch, es sei ein fauler Schachzug der Demokraten, entweder die Regeln oder die Struktur zu ändern, nur weil sie politisch verlieren, und es sei eine manipulative Praxis, die das Gericht zunehmend delegitimiert.

Biden gestand letzte Woche, er sei "kein Fan" von "court packing", und gab damit seine deutlichste Position zu einem Thema ab, das er nach dem Tod der Richterin Ginsburg nicht diskutieren wollte.

Es bleibt abzuwarten, ob die Demokraten tatsächlich auf "court packing" setzen werden, sollten sie bei den Wahlen im nächsten Monat die Kontrolle über das Weiße Haus und den Kongress zurückgewinnen.