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Selenskyjs Entscheidungen werfen Fragen auf

Ernennung erster Mitarbeiter lässt aufhorchen
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Der neue ukrainische Präsident Selenskyi

© picture alliance / GISELA LINSCHINGER / APA / picturedesk.com

Dieser Artikel erschien erstmals in der Fuldaer Zeitung am 31. Mai 2019. Autorin: Beate Apelt. © Fuldaer Zeitung. Alle Rechte vorbehalten.

Mit seiner Vereidigung blieb der neue ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj der Rolle treu, die er im Wahlkampf gespielt hatte: neu, anders, volksnah. Die Zeremonie vor Parlament, Regierung und internationalen Staatsgästen war sicher ein Novum in der ukrainischen Politik. Mit viel Emotion und einem gehörigen Schuss Populismus wandte sich Selenskyj weniger an die Anwesenden als an alle Ukrainer, die nach seinen Worten nun alle Präsident geworden seien. An die anwesenden Politiker teilte Selenskyj dagegen hart aus. Dem Kabinett legte er den Rücktritt nahe und das Parlament löste er kurzerhand auf. Dies kam nicht unerwartet, war aber dennoch ein Paukenschlag. Parlamentspräsident Andrij Parubyj schloss die Sitzung denn auch mit dem Kommentar „Das war lustig“. 

In Wirklichkeit ist jetzt Schluss mit lustig. Während des Wahlkampfes konnte sich der Ex-Komiker Selenskyj noch hinter einer perfekt inszenierten Social-Media-Kampagne und dem volksnahen Image des Präsidenten Holoborodko aus seiner Fernsehserie „Diener des Volkes“ verstecken. Er profitierte zudem von der übermäßigen Enttäuschung weiter Bevölkerungsteile über die Amtszeit Petro Poroschenkos. Doch nun muss er aus der Deckung kommen und zeigen, wer er ist und was er will. Denn genau das bleibt bisher unklar. Wird er seine völlige politische Unerfahrenheit durch gute Berater ausgleichen können? Wird er sich vom Oligarchen Ihor Kolomojskyj freischwimmen, zu dem ganz offensichtlich mehr als nur Geschäftsbeziehungen bestehen? Und strebt er tatsächlich einen Wandel im politischen System an, den er hart gegen die durch setzen müsste, die bisher davon profitieren? Die Antworten stehen aus, das Land wartet gebannt.

So sehr man der Ukraine einen positiven Wandel wünschen möchte, so bedenklich stimmen  Selenskyjs erste Schritte. Denn mit der Achtung geltenden Rechts scheint er es nicht übermäßig genau zu nehmen. Die Auflösung des Parlaments war bereits verfassungsrechtlich nur mit großer Fantasie zu rechtfertigen. Sie gehört zwar prinzipiell zu den Vollmachten des Präsidenten, ist aber sechs Monate vor der nächsten Wahl nicht mehr zulässig. Die Auflösung ist daher höchst umstritten und entfaltet nur deshalb praktische Wirkung, weil offenbar auch mehrere Parlamentsfraktionen Interesse an vorgezogenen Neuwahlen haben. 

Bei der Ernennung erster Mitarbeiter lässt vor allem die Besetzung des Chefs der Präsidialadministration mit Andrij Bogdan aufhorchen. Bogdan, Chefanwalt des Oligarchen Kolomojskyj, war bereits Teil von Selenskyjs Wahlkampf-Team. Sein Anwaltsmandat hat er inzwischen niedergelegt, jedoch liegt die Verbindung zu Kolomojskyj auf der Hand. Mehr noch, als Mitglied der ehemaligen Janukowitsch-Regierung in Vizeministerrang fällt er unter ein Lustrationsgesetz, dass ihm die Bekleidung des jetzigen Postens eigentlich verbietet.

Das Land bereitet sich nun in Windeseile auf Parlamentswahlen am 21. Juli vor. Selenskyj schickt seine Partei „Diener des Volkes“ ins Rennen, die bislang nur auf dem Papier besteht, jedoch in Umfragen auf bis zu 40 Prozent der Stimmen kommt. Ob man ihr einen solchen Sieg und dem Präsidenten damit weitgehende Beinfreiheit wünschen soll, ist nach den ersten Eindrücken seiner Amtszeit mindestens fraglich.

 

Beate Apelt ist Projektleiterin der Stiftung für die Freiheit für die Ukraine & Belarus mit Sitz in Kiew.