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Ukraine
Poroschenkos letztes Vermächtnis

Parlament verabschiedet neues Gesetz zur Stärkung der ukrainischen Sprache
Poroschnko

Petro Poroschenko, Staatspräsident der Ukraine.

© picture alliance / Christophe Gateau/dpa

Am 25. April wurde ein Sprachengesetz von der Werchowna Rada verabschiedet, das die Stellung des Ukrainischen als Staatssprache unterstreicht und deren Gebrauch auf staatlicher Ebene vorschreibt. Die pro-russischen Fraktionen „Oppositionsblock“ und „Für das Leben“ legten prompt Widerspruch ein, so dass das Gesetz noch scheitern könnte.

Nach 2.082 diskutierten Änderungsanträgen und einem Sitzungsmarathon wurde kurz vor dem orthodoxen Osterwochenende im ukrainischen Parlament, der Werchowna Rada, das „Gesetz über die Gewährleistung von Funktion und Anwendung des Ukrainischen als Staatssprache“ verabschiedet. Es sieht unter anderem vor, dass alle Staatsbediensteten Ukrainisch beherrschen und im Dienst verwenden müssen. Beamte und Abgeordnete, die sich in der Öffentlichkeit nicht daran halten, sollen laut Gesetz mit Strafen belegt werden.

Die bereits bestehenden Quoten im Bereich der Massenmedien und Druckerzeugnisse wurden noch einmal verschärft. So sollen landesweit ausgestrahlte TV-Sender zu 90 Prozent auf Ukrainisch senden und die Hälfte des Angebots in Buch- und Zeitungsläden muss ukrainischsprachig sein. Print- und Online-Publikationen müssen eine ukrainische Version veröffentlichen, mit Ausnahme von solchen auf Krimtatarisch, Englisch oder anderen Sprachen der EU.

Ferner müssen Antragsteller für die ukrainische Staatsbürgerschaft künftig eine Ukrainisch-Prüfung ablegen. Die „Beleidigung der ukrainischen Sprache“ sowie die Verhöhnung der ukrainischen Flagge oder Hymne können künftig Haftstrafen von bis zu drei Jahren nach sich ziehen.

Poroschenkos Vermächtnis?

Dass ein Gesetz von solch gesellschaftspolitischer Reichweite kurz vor der Vereidigung des neuen Präsidenten durchs Parlament gebracht wird, lässt darauf schließen, dass der scheidende Präsident Petro Poroschenko ein Vermächtnis hinterlassen und eine Weiche stellen will. Die Stärkung des Ukrainischen war Teil seines Wahlkampfslogans „Armee, Sprache, Glaube“, und vom bislang eher russischsprachigen Nachfolger Selenskyj ist in dieser Frage sicherlich weniger Nachdruck zu erwarten.

Ob Poroschenko jedoch noch dazu kommt, das Gesetz zu unterzeichnen, ist derzeit offen. Nachdem es mit überwältigender Mehrheit im Parlament angenommen wurde, reichten der pro-russische Abgeordnete Oleksandr Wilkul sowie drei weitere Abgeordnete Anträge zur Aufhebung des Gesetzes ein. Über diese soll voraussichtlich am 14. Mai abgestimmt werden. Erst danach können Parlamentspräsident Andryj Parubyj und Präsident Poroschenko das Gesetz endgültig unterschreiben.

Eine vorgezogene Abstimmung über die Aufhebung des Gesetzes schloss Paruyj aus. Dies könne eine Grundlage für eine Anfechtung vor dem Verfassungsgericht der Ukraine schaffen. Inzwischen wurde auch eine öffentliche Petition ans Parlament eingereicht, die diese Anträge unterstützt. Sie fordert, bei Nichterfolg dem Parlamentspräsidenten per Abstimmung die Unterzeichnung des Gesetzes zu untersagen. 

Die Anstrengungen der pro-russischen Opposition setzen sichtbar darauf, dass ein erstmal vereidigter Wolodymyr Selenskyj das Gesetz nicht unterschreiben wird. Dieses Kalkül könnte aufgehen. Selenskyj ließ bereits verlauten, dass es unter zu geringer Einbindung der Gesellschaft diskutiert worden sei, und unterstrich in einem seiner wenigen Interviews zudem seine Skepsis gegenüber Sprachquoten in den Medien.

Sprachenpolitik im Kontext des Krieges

Die Frage, wie die Ukraine mit ihrer de facto bestehenden Zweisprachigkeit umgeht, hat sich naturgemäß seit Beginn des Krieges in der Ostukraine verschärft und spielt eine wesentliche Rolle bei der Betonung der nationalen Eigenständigkeit des Landes einerseits und im russischen Propagandakrieg andererseits.

Für letzteren bietet sie idealen Stoff, um die Kiewer Führung als antirussisch, diskriminierend oder gar faschistisch darzustellen. So verbreiten russische Staatsmedien trotz der offensichtlichen Zweisprachigkeit der Ukraine häufig das Gerücht, dass dort der Gebrauch der russischen Sprache gefährlich oder gar verboten sei. Entsprechend reagierte das russische Außenministerium empört auf das neue ukrainische Gesetz und nannte es „skandalös“

Der ungarische Außenminister Péter Szijjártó hingegen kritisierte die Verabschiedung des Gesetzes, da es die Rechte der ungarischen Minderheit in der Ukraine verletze. Die EU kündigte an, das Gesetz erst nach Inkrafttreten zu bewerten und forderte die Ukraine dazu auf, das Gesetz der Venedig-Kommission zur Bewertung vorzulegen. 

Zweisprachigkeit erschwert Gesetz

Die Förderung und Durchsetzung einer Staatssprache ist grundsätzlich ein Normalfall staatlicher Politik. In vielen Verfassungen ist eine Staats- und Verwaltungssprache für die allgemeine Staatskommunikation festgelegt. Die Besonderheit in der Ukraine liegt darin, dass die Zweisprachigkeit des Landes die flächendeckende Umsetzung einer Staatssprache besonders erschwert. Umfragen des Razumkov-Zentrums zufolge sehen 68 Prozent der Bevölkerung Ukrainisch als ihre Muttersprache an, 14 Prozent der Befragten Russisch, 17 Prozent geben beide Sprachen als Muttersprachen an. Im Alltag verstehen quasi alle Ukrainer beide Sprachen, die meisten sprechen auch beide und viele wechseln zwischen Russisch und Ukrainisch je nach Sprechsituation hin und her.

In der Tat gibt es gute Argumente für die Förderung des Ukrainischen. So könnte ein größerer Anteil an ukrainischsprachigen Veröffentlichungen den Einfluss russischer Zensur auf dem Publikationsmarkt mindern. Bisher werden ausländische Publikationen, die von russischen Verlagshäusern ins Russische übersetzt werden, in der Regel „eins zu eins“ übernommen und nicht kostspielige eigene Übersetzungen ins Russische innerhalb der Ukraine angefertigt. Damit finden aber auch zahlreiche durch Zensur veränderte Inhalte ihren Weg in die ukrainische Leserschaft. Durch Übersetzungen ins Ukrainische könnten solche Verzerrungen vermieden werden.

Eine andere sinnvolle Erwägung besteht darin, Chancengleichheit in einer multiethnischen Gesellschaft zu schaffen. Dies betrifft vor allem Minderheiten, die weder Russisch noch Ukrainisch, sondern etwa Ungarisch sprechen. Bereits 2017 wurde daher eine generelle Förderung des Ukrainischen in einer Schulreform festgehalten. Fundierte Ukrainisch-Kenntnisse sollen es allen Mitgliedern der Gesellschaft ermöglichen, Zugang zu staatlichen Universitäten zu bekommen oder eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst auszuüben.

Die Schulreform bestimmte zudem, dass Ukrainisch von 2020 an ab der fünften Klasse verpflichtende Unterrichtssprache ist, wobei der Unterricht teilweise auch in Amtssprachen der Europäischen Union gehalten werden kann. Daran machte sich viel Kritik fest, denn das Russische wird so absehbar aus der Schule verbannt. Auch die Venedig-Kommission des Europarats kritisierte das Gesetz, da eine nicht ausreichende Berücksichtigung ethnischer Minderheiten zu unnötigen Spannungen in der Gesellschaft führen könne

Wenngleich also die Förderung einer Staatssprache an sich ein nachvollziehbares Ansinnen ist, so ist vor allem fraglich, ob eine Bestrafung von Staatsbediensteten bei Nichtverwendung des Ukrainischen umsetzbar und zielführend ist. Es könnten in der Praxis Beamte auch im kleinen städtischen Postamt oder am Bahnhofsschalter angezeigt und bestraft werden, wenn sie kein Ukrainisch verwenden. Solche Bestrafungen wären nicht zuletzt ein ergiebiges Futter für die russische Propaganda.

Warum das Ukrainische kein Dialekt des Russischen ist

In welcher Form auch immer sich die Sprachgesetzgebung in der Ukraine weiterentwickelt, sie trifft auf eine historisch gewachsene Gemengelage, die nähere Betrachtung verdient. Die Realität in der Ukraine ist heute eine weitgehend problemlose Koexistenz des Ukrainischen und Russischen und einer aus dieser Koexistenz erwachsenen Mischsprache, dem sogenannten Surschyk.

Nach der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 wurde das Ukrainische per Verfassung zur Staatssprache erklärt und hat sich seither in Politik, Literatur und Hochschulwesen weitgehend durchgesetzt. Russisch ist bis heute dominant in Unterhaltungsindustrie und Medien. Das neue Sprachengesetz, das nur im Kontext der russischen Krim-Annexion seit 2014 verstanden werden kann, wird dies möglicherweise ändern.

Bilingualität als Chance, der Kremlpropaganda zu trotzen

In der Praxis wird die Ukraine absehbar zweisprachig bleiben. Jede Maßnahme zur weiteren Förderung des Ukrainischen wird von russischer Seite kritisiert und als Diskriminierung der Russischsprecher und angeblichen Angehörigen einer „russischen Welt“ (russkyj mir) gegeißelt werden. Es bedarf deshalb eines guten Augenmaßes bei der Gesetzgebung und praktischen Umsetzung, um einerseits das Ukrainische als Staatssprache zu fördern, andererseits keine weiteren Gräben in der Gesellschaft zu schaffen und der antiukrainischen Propaganda in die Hände zu spielen.

Die Bilingualität ist in erster Linie eine Chance – und die Unkompliziertheit, mit der die Ukrainer beide Sprachen benutzen und Sprecher der anderen Sprache akzeptieren, unabhängig von der Region – ist für den außenstehenden Beobachter verblüffend. Wird die Sprachfrage im Alltag jedoch noch mehr politisiert, könnte dies viele Russischsprecher dem Staat entfremden, die bislang patriotische Ukrainer sind.

Die Kunst wird daher sein, das Ukrainische im staatlichen Bereich konsequent durchzusetzen und insgesamt zu fördern, dabei aber nicht in die Freiheiten des privaten und kulturellen Bereichs einzugreifen. Ob das jüngst verabschiedete Gesetz nun in Kraft tritt oder nicht, es ist der Ukraine zu wünschen, dass der neue Präsident hier positive Akzente setzt.


Lennart Jürgensen studiert im Master Osteuropastudien an der Freien Universität Berlin. Derzeit absolviert er ein Praktikum im Kiewer Büro der FNF.