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Türkei
Wie populär ist Erdogan? Demoskopen attestieren dem Präsidenten hohe Popularität, aber keine Mehrheit

Erdogan
© picture alliance / AA | Mustafa Kamaci

Wenn wir über die Popularität von Politikern sprechen, müssen wir zwei Aspekte beachten. Zum einen geht es hier um einen relativen Begriff. Für einen Politiker ist es nicht entscheidend, beliebt zu sein. Entscheidend ist, der Beliebteste unter allen Bewerbern zu sein. Wichtig ist zudem, die Beliebtheit am Wahltag in Stimmen umzumünzen. Popularität führt nicht notgedrungen zu einer Unterstützung an der Wahlurne.

Erdogans Beliebtheit in der Türkei ist rückläufig. Seine Gegner wollen ihn lieber heute als morgen aus dem Amt vertrieben sehen. Doch Erdogan bleibt ohne Zweifel der beliebteste und am meisten geliebte Politiker in der Türkei. Sein persönliches Ansehen bei den Wählern ist über weite Strecken der letzten zwei Jahrzehnte unangefochten geblieben. Selbst heute, wo er mehr als je zu kämpfen hat – und damit nicht so geschickt umgeht wie früher – steht er in den Umfragen auf Platz eins.

Doch wie populär ist Erdogan? Unser Meinungsforschungsinstitut Istanbul Economic Research führt jeden Monat zu bedeutsamen Themen zwei landesweite Umfragen durch, in denen wir 1500 nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Bürgerinnen und Bürger befragen. In der jeweils ersten Umfrage wollen wir wissen, für wie erfolgreich sie die auf einer Skala zwischen 1 und 10 gelisteten Politiker halten. Dabei steht die Ziffer 1 für am wenigsten erfolgreich und 10 für am erfolgreichsten. Mit 6,06 Punkten rangiert Erdogan in der September-Umfrage auf Platz eins. Mit Ergebnissen zwischen 5 und 6 landet er stets auf dem ersten Rang unserer Befragungen. Bei näherem Hinsehen stellen wir fest, dass 47 % der Befragten ihn zwischen 8 und 10 einordnen. Die Meinungsforschungsfirma MetroPOLL beziffert Erdogans Zustimmungsrate im September mit 47 %. Während das ein schlechteres Ergebnis ist als vor zehn Jahren, behauptet Erdogan gegenüber seinen Mitbewerbern einen komfortablen Vorsprung.

Dies ist aber nicht das ganze Bild. Wichtig ist, in welchem Maße er diese Beliebtheit in Wählerstimmen ummünzen kann. Hier sieht das Bild anders aus. In unserer Umfrage vom Mai wollten wir wissen, welcher Politiker am besten geeignet ist, die wirtschaftlichen Probleme des Landes zu lösen. Es war eine offene Frage, bei der die Befragten einen Namen ihrer Wahl angeben konnten. Nur 39,7 % entschieden sich für Erdogan. Obgleich dies nach wie vor eine sehr hohe Zahl ist, liegt sie deutlich unter seiner Beliebtheitsquote. Das Ergebnis ist auch bemerkenswert, weil unsere Umfrage vom Mai 2020 gezeigt hat, dass die Volksallianz – die Regierungskoalition aus AKP und MHP – auf zwischen 47 und 48 % der Stimmen kommen würde.

Die Umfragen zeigen ebenfalls, dass Erdogan in Fragen der Wirtschaftspolitik nicht so beliebt ist. Und die Wirtschaftspolitik entwickelt sich zusehends zum wichtigsten Thema in Hinblick auf die Wahlen im Jahre 2023. In einer Umfrage wollte die Aksoy Research Company im August 2020 wissen, für wen die Befragten in der Präsidentenwahl stimmen würden. Die Teilnehmer konnten zwischen zwei Szenarien auswählen: In dem einen würde Erdogan gegen den Bürgermeister von Ankara, Mansur Yavas antreten, im zweiten gegen den Bürgermeister von Istanbul, Ekrem Imamoglu. Erdogan kam auf 40 % der Stimmen in der Wahl gegen Yavas und 38,7 % der Stimmen in einem Wahlgang gegen Imamoglu. Demnach ist Erdogans Beliebtheit in zentralen Themenfeldern nicht so ausgeprägt. Auch sehen wir, dass seine Fähigkeit, die Beliebtheit in Wählerstimmen umzuwandeln, schwächer ist als früher.

Dies wäre weniger bedeutend, hätte die Türkei im Jahre 2017 nicht das Wahlsystem geändert. Im alten – nun abgeschafften – parlamentarischen System würde Erdogan und seine AKP mit den aktuellen Zahlen die Wahlen leicht für sich entscheiden und die Regierungsverantwortung behaupten. Doch das hat sich nun geändert. Jetzt benötigt er über 50 % der abgegebenen Stimmen, um die Präsidentschaft für sich zu entscheiden. Unsere Umfragen vom September 2020 zeigen, dass die „Volksallianz“ gegenwärtig bei 43 % liegt. Die oben angeführten Zahlen unterstreichen, dass Erdogans Popularität nicht groß genug ist, um eine Mehrheit zu erreichen. Im Rückblick war die Änderung des Wahlsystems der größte politische Fehler, den Erdogan gemacht hat.

In diesem Beitrag geht es offensichtlich um sensible Themen. Es ist angebracht, die Zahlen mit Vorsicht zu behandeln. In der Türkei besteht kein Mangel an Meinungsforschungsinstituten. In den zurückliegenden Jahren hat es mehrere Vorfälle mit politisch motivierten Demoskopen gegeben. Diese haben dem Vertrauen in die Branche geschadet. Gleichwohl glaube ich, dass es eine Reihe von Firmen gibt, die unabhängige und zuverlässige Daten bereitstellen. Transparenz ist wichtig ebenso wie allgemeine Kenntnisse über die politische Meinungsforschung. Es ist wichtig, dass die Finanzierung, Stichprobengröße, die Zeitabläufe und die angewandten Methoden allgemein bekannt sind. Schließlich kann es niemals schaden, unterschiedliche Firmen im Auge zu haben, um ein besseres Verständnis der politischen Landschaft zu bekommen.