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Türkei
Wie die Türkei ihr internationales Image aufpolieren will

Die zielgenaue Verteilung von Schutzmasken ist für Präsident Erdoğan nicht nur in der Türkei ein wichtiges Anliegen
Beladen des Flugzeugs
Ein türkisches Militärflugzeug wird mit Hilfsmitteln beladen. © picture alliance

Schutzmasken und anderes medizinisches Gerät sind in Zeiten der Pandemie strategische Produkte. Weltweit herrscht eine riesige Nachfrage nach der Ware, die über Leben und Tod entscheiden kann. Auf den Weltmärkten kommt es laut Insidern zu Hauen und Stechen, wenn es um die Beschaffung von Schutzausrüstungen, Masken, Handschuhen, Desinfektionsmitteln und Beatmungsgeräten geht. Die Versorgung mit dem knappen Gut ist längst ein Politikum – auch in der internationalen Diplomatie, für die in Corona-Zeiten neue Prioritäten gelten.

Die zielgenaue Verteilung von Schutzmasken ist für Präsident Erdoğan nicht nur in der Türkei ein wichtiges Anliegen. Auch im weltweiten Verteilungskampf um das kostbare medizinische Gut mischt Ankara mit. „Wir sind zwar nicht das reichste Land in der Welt, wohl aber das großzügigste“, sagte der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu Ende März und ergänzte, Ankara habe medizinisches Material an 17 Länder geschickt. Mitte April erhöhte Präsident Erdoğan diese Zahl in einer Rede auf 34 Länder.

Bescheidenheit ist kein Attribut, das zur Außenpolitik Erdoğans und seiner Außendarstellung passt. Das war vor der Krise so und ist heute – unter erschwerten Bedingungen – nicht anders:

„Die Rolle der Türkei als ein führender humanitärer Akteur auf der Weltbühne ist einmal mehr bestätigt worden“, heißt es im Aufmacher der regierungsnahen Zeitung Daily Sabah zum Thema. Das Blatt zitiert Ibrahim Kahn, den Sprecher Erdoğans: Die Menschheit befinde sich an einem Wendepunkt der Geschichte und die Türkei stehe Seite an Seite mit ihren Verbündeten, so der Vertraute des Präsidenten.

In der Öffentlichkeitsarbeit Ankaras nehmen die Lieferungen von medizinischem Gerät ins Ausland einen zentralen Platz ein. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass die regierungsnahe Presse nicht umfassend über Hilfssendungen berichtet – und die dankbaren Empfänger umfassend zu Wort kommen lässt.

Der türkische Politologe Soner Çağaptay unterteilt die Empfänger-Staaten in vier Gruppen. Da seien zunächst die „alten Freunde“: namentlich erwähnt Çağaptay die USA, Großbritannien und Israel. Die zweite Gruppe benennt der Politikwissenschaftler mit „Osmanischen Freunden“: In dieser Kategorie befinden sich die Staaten des Balkan, die früher zum Osmanischen Reich zählten und die Ankara gerne in seine Einflusszone zurückholen würde. Die dritte Gruppe bilden „kulturelle Freunde“ mit Spanien und Italien. Schließlich seien da die „strategischen Freunde“ mit Libyen und Tunesien, die in der Mittelmeerpolitik Ankaras eine wichtige Rolle spielen.

Die Liste deutet an: Ankaras Masken-Diplomatie folgt nicht allein einem humanitären Impetus des gläubigen Präsidenten; sie hat konkrete politische Ziele. Deutlich wird dies auch am Beispiel der Lieferung von medizinischem Schutzgerät an Israel. Die Beziehungen zwischen der Türkei und Israel befinden sich seit Jahren im Keller, Präsident Erdoğan hat aus seinen Sympathien für die Palästinenser nie einen Hehl gemacht. Ankara hat die Lieferungen an Israel – von drei Flugzeugladungen ist die Rede – nun mit einem politischen Junktim verbunden und von der Zustimmung Israels zu türkischen Lieferungen an die Palästinenser abhängig gemacht.

Dass das weltweit für sein Krisenmanagement gelobte Israel in der Türkei Schutzausrüstungen kauft und dabei offenbar politische Zugeständnisse macht, zeigt, wie angespannt der Weltmarkt für Schutzausrüstungen ist. Das liegt entscheidend am aggressiven Verhalten Chinas: Wie ein „Staubsauger“ habe Peking Anfang des Jahres in wenigen Wochen nicht weniger als zwei Milliarden Schutzmasken importiert, berichten The New York Times. Auch türkische Unternehmen haben damals auf rein kommerzieller Basis an die Chinesen geliefert. Mit dieser Freizügigkeit im Handel ist längst Schluss. Anfang März hat Ankara strenge Auflagen verhängt: ohne Genehmigung der Regierung darf seither kein medizinisches Gerät das Land verlassen.

Gleichzeitig haben die türkischen Produzenten ihre Kapazitäten hochgefahren. Der führende Maskenhersteller MFA Masks gab bekannt, das Unternehmen arbeite in drei Tagesschichten, um der boomenden Nachfrage nachzukommen. Ende März griff die Regierung zu einer rabiaten Maßnahme: Ankara verpflichtete die Maskenhersteller, ihre Produktion zu einem festgelegten Preis an das Gesundheitsministerium abzugeben, sonst drohe die Beschlagnahme der Produktionsanlagen. „Wir werden diese Masken kaufen, und zwar zu einem guten Preis“, sagte Innenminister Süleyman Soylu. „Gott ist unser Zeuge. Die Unternehmen haben 10-12 Stunden Zeit oder wir beschlagnahmen die Fabriken morgen“, so der für seine harte Linie bekannte Innenminister.

Eine zentrale Rolle in der Versorgung mit dem medizinischen Gerät spielt das türkische Militär. In kurzer Zeit haben Fabriken der Streitkräfte ihren Output mehr als verdoppelt. „Nächste Woche werden wir unsere Produktionskapazität für Schutzmasken auf zehn Millionen Stück pro Woche erhöhen. Damit können wir auch unsere Verbündeten versorgen“, sagte Verteidigungsminister Hulusi Akar Mitte April.

Angesichts des weitgehenden Zusammenbruchs des internationalen Flugverkehrs bleibt die Logistik eine Herausforderung. Die türkische Luftwaffe spielt hier eine tragende Rolle, wie die vielen Bilder von entsprechenden Verladeaktionen in der türkischen Presse dokumentieren.

In einer für die Zivilflugfahrt dramatischen Zeit hat die Frachtsparte der nationalen Fluggesellschaft Turkish Airlines (THY) eine Marktnische entdeckt. Während Turkish Airlines alle internationalen Flüge bis Ende Mai gestrichen hat, geht das Geschäft mit der Fracht munter weiter: wöchentlich werden allein am Standort Istanbul 155 internationale Flüge abgefertigt. Die Ladung, so berichtet Daily Sabah: Lebensmittel, Medizin und medizinisches Gerät. Die Nachfrage sei so groß, dass die Airline Passagiermaschinen für den Gütertransport umgerüstet habe, berichtet das Blatt.

 

Ronald Meinardus leitet das Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Istanbul.