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Türkei & USA
US-Wahl: Warum Trump in Ankara der Favorit ist

US-Election Countdown: noch 5 Tage bis zur Wahl

Der Präsidentensprecher Ibrahim Kalin nahm kein Blatt vor den Mund: „Die Analyse von Joe Biden zur Türkei beruht auf Ignoranz, Arroganz und Heuchelei“, wetterte der Erdogan-Vertraute. Der Angriff auf den Präsidentschaftskandidaten der Demokraten liegt eine Weile zurück. Im politischen Sommerloch, der nachrichtenarmen Zeit, die es auch in der Türkei gibt, war ein Interview Bidens mit der New York Times vom vergangenen Jahr aufgetaucht – und sorgte kurzfristig für erheblichen Wirbel. In dem Pressegespräch hatte Biden eine radikale Kehrtwende der US-Türkei-Politik verlangt und offen für die Unterstützung oppositioneller Kräfte plädiert. Der Präsidentschaftskandidat sagte auch, dass er – anders als Trump – die Unterstützung für die Kurden in Syrien nicht aufgegeben hätte.

Das Interview liegt bald ein Jahr zurück. Vergessen sind die Worte des Trump-Herausforderers in der Türkei keinesfalls. Im türkischen Machtzentrum und bei den gesteuerten Medien überwiegt die Hoffnung, die Amerikaner werden am 3. November den Amtsinhaber wiederwählen. Abfällige Medien-Kommentare gegen Biden können als Beleg für die Parteinahme verstanden werden.

Nicht etwa, dass das Verhältnis zwischen Donald Trump und Recep Tayyip Erdogan stets von Harmonie und Eintracht geprägt war. Mehrere Streitpunkte entzweien die Anführer der Supermacht und der aufstrebenden Regionalmacht. Diese haben in den letzten Jahren zugenommen. In der Syrienpolitik, im Nahen und Mittleren Osten insgesamt, in der Frage der Kurden und nun auch in Bezug auf den Streit über Hoheitsrechte im östlichen Mittelmeer liegen die Türkei und die USA über Kreuz. Dass die Beziehungen bisher nicht aus dem Ruder gelaufen sind, führen Beobachter auf das besondere persönliche Verhältnis der Staatsoberhäupter zurück. „Erdogan hat einen direkten Draht zu Trump und hat gelernt, diesen zu benutzen. Und er weiß, dass er immer über die Köpfe unterer Dienstgrade hinweg mit dem Präsidenten kommunizieren kann“, beschreibt das Nachrichtenportal Al Monitor diese Männerfreundschaft.

Zum größten Streitpunkt entwickelte sich in den zurückliegenden Jahren das russische Luftabwehrsystem S400. Wie eine dunkle Wolke überschattet Ankaras Waffendeal mit den Russen seit 2017 das Verhältnis der Türkei mit den USA und der NATO. Der Westen hält das Raketensystem für ein Sicherheitsrisiko. Es sei nicht kompatibel mit westlichen Systemen, heißt es; Washington ist besorgt, Moskau könne über das System an sensible Informationen der NATO gelangen.

Als Reaktion verhängte der US-Kongress Sanktionen. Deren Umsetzung scheiterte jedoch an der schützenden Hand des Präsidenten. Eine neue Eskalationsstufe erreichte der S400-Streit Mitte Oktober, als Ankara das Raketensystem erstmals testete. Nicht zuletzt um den Zorn der Amerikaner zu zügeln, hatte Ankara die Inbetriebnahme des Waffensystems immer wieder herausgeschoben. Nun also probte das türkische Militär den Ernstfall. Das State Department verurteilte den Test und drohte mit „potenziell ernsten Folgen“. Abgeordnete im Kongress forderten abermals wirtschaftliche Strafmaßnahmen.

Auf der Seite der Griechen

Neue Spannungen zwischen Ankara und Washington hat zusätzlich die klare Positionierung Washingtons im Erdgasstreit im östlichen Mittelmeer ausgelöst – auf der Seite der Griechen. Während dem ersten Höhepunkt der Krise reiste US-Außenminister Mike Pompeo nach Zypern und Griechenland. Zum Ärger Ankaras hob der Kongress ein seit Jahrzehnten bestehendes Waffenembargo gegen die Republik Zypern auf. Als Ankara Mitte Oktober sein Bohrschiff abermals in von Griechenland reklamierte Meereszonen entsandte, schlossen sich die Amerikaner demonstrativ der deutschen Demarche an; in einem mit Berlin abgestimmten Schritt verurteilte das State Department das türkische Vorgehen: „Wir fordern die Türkei auf, die kalkulierten Provokationen einzustellen“, heißt es in der Erklärung. Damit nicht genug. Ende September beklagte eine US-Sprecherin das „demokratische Abrutschen“ der Türkei und die Einschränkungen der Pressefreiheit. Diese Vorgänge belegen, dass die US-Diplomatie auch unter Trump durchaus differenzierter vorgeht als die oft grobschlächtige Herangehensweise des Präsidenten vermuten lässt.

Derweil hat Joe Biden die „provokativen Handlungen“ der Türkei im östlichen Mittelmeer verurteilt und Erdogan aufgefordert, die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee rückgängig zu machen. „Biden wird voraussichtlich mit Griechenland und den griechischen Zyprioten arbeiten, um die Türkei in Schach zu halten“, schreibt Burhacetti Durhan in Daily Sabah. Im selben Blatt erklärt Nur Özkan Erbay die Parteinahme mit dem Einfluss der griechischen Lobby. Die kopfstarke hellenische Diaspora-Gemeinde in Amerika hat gerade in Wahljahren ihren Einfluss für die Belange des „Mutterlandes“ geltend gemacht – vor allem in der Demokratischen Partei. Dieser Faktor mag im Falle eines Wahlsieges Bidens die US-Politik gegenüber der Türkei durchaus beeinflussen.