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Türkei
Hohe Steuern, Schwarzmarkt und viele Tote – Die Corona-Pandemie begünstigt kriminelle Alkoholpantscher

Türkei Markt
© picture alliance / NurPhoto | Diego Cupolo

Ein altes Problem macht wieder Schlagzeilen. An vielen Orten der Türkei führen verfälschte alkoholische Getränke bei vielen Menschen zu schweren gesundheitlichen Schäden. Die tragische Bilanz der illegalen Pantscherei seit Anfang des Jahres: über 80 Todesopfer. Allein in der Provinz Izmir sind bis dato 36 Todesopfer zu beklagen. Die Polizei – so heißt es – gehe massiv gegen die Produktfälscher und Schmuggler vor. Doch die Covid-19-Pandemie begünstigt die dunklen Geschäfte mit den flüssigen Rauschmitteln.

Bei der Verfälschung von alkoholischen Getränken werden minderwertige, teilweise in hohem Maße gesundheitsschädliche Substanzen (z. B. Methanol) zugesetzt. Das senkt den Preis und erhöht die Gewinne der kriminellen Banden. Alarmiert durch die in die Höhe geschnellte Opferbilanz führte die Polizei landesweit Razzien und Durchsuchungen durch. Das federführende Innenministerium meldet, seit Jahresanfang seien über eine Million Liter gepantschter Spirituosen sichergestellt wurden. Laut Medienberichten wurden bei den Durchsuchungen über 3.500 Verdächtige festgenommen.

Die aktuelle Covid-19-Pandemie bietet den Fälschern Tarnungsmöglichkeiten. Demnach sollen die Pantscher für den Transport von Ethylalkohol Kanister von Desinfektionsmitteln verwenden. Diese Mittel werden zum Schutz gegen Ansteckungen in diesen Zeiten der Pandemie in großen Mengen unters Volk gebracht. Zur Tarnung werden gepantschte Spirituosen auch unter dem Decknamen eines Oberflächenreinigers verkauft, berichtet eine Zeitung.

Aber Covid-19 ist nicht der einzige Grund für den Anstieg der Alkohol-Produktion im Untergrund. Das Phänomen ist keinesfalls neu. Experten machen die Steuerpolitik der seit bald zwei Jahrzehnten regierenden islamisch-konservativen AKP für die hohe Zahl der Schwarzbrenner verantwortlich. Der Preis für das populäre Nationalgetränk Raki ist seit dem Machtantritt der AKP um sage und schreibe 1750 % in die Höhe geschnellt. Dieser Anstieg liegt weit über dem der Geldentwertung – und ist vor allem auf die in mehreren Schritten erfolgte Anhebung der Alkoholsteuer zurückzuführen.

In der oppositionellen Tageszeitung Sözcü nennt Nedim Türkmen das auf indirekten Steuern basierte System „unfair“ und weist darauf hin, dass sich die Steuereinnahmen des Landes zu 11% aus Tabak- und Alkoholsteuern zusammensetzen. Der Staat nehme die Toten billigend in Kauf, so der Kolumnist.

Es ist kein Geheimnis, dass die Regierung Alkohol als unislamisch verteufelt. Es gibt seit vielen Jahren ein Werbeverbot für alkoholische Getränke, Spielfilme werden durch Unkenntlichmachung von Spirituosen und Zigaretten zensiert. „Konsumieren Sie diese Produkte zwei Monate lang nicht. Mal sehen, was dann passiert. Sie können sicher sein, dass die Regierung wieder Alkohol- und Zigarettenwerbung erlauben wird“, rät Nedim Türkmen seinen Leserinnen und Lesern. Dies ist ein unrealistischer Appell, wenn man bedenkt, wie verbreitet der Tabak- und Alkoholkonsum in der Türkei aller Preiserhöhungen zum Trotz bis heute ist. 

Derweil hat das Parlament in Ankara ein Gesetz verabschiedet, das hohe Geldstrafen für Vergehen gegen ein nächtliches Verkaufsverbot von alkoholischen Getränken vorsieht. Wer dabei erwischt wird, zwischen 22:00 und 6:00 Uhr Bier, Wein oder Schnaps zu verkaufen, muss umgerechnet bis zu 35.000 Euro Strafe zahlen. Auch die Strafen für Verkauf von Alkoholika an Jugendliche unter 18 Jahren werden drastisch angehoben. Bei wiederholtem Verstoß gegen die Auflagen können Geschäfte ihre Lizenz verlieren. Derweilen hat laut einem Bericht der Hurriyet Daily News die größte Oppositionspartei CHP die Politik der hohen Steuern und Verbote kritisiert: „Der richtige Weg ist die Aufklärung über die Gefahren des (übermäßigen) Alkoholkonsums“, sagte der Abgeordnete Okan Gaytanciolgu.