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Türkei Bulletin
Alle Augen auf Merkel – Die deutsche Kanzlerin pflegt gerade in Krisenzeiten den direkten Kontakt zu Erdogan

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© CC BY-SA 2.0 Flickr.com / Thorsten Schröder

Um die Beziehungen des türkischen Präsidenten zu seinen Amtskolleginnen und Amtskollegen in der Welt steht es nicht zum Besten. Außenpolitische Manöver wie das militärische Engagement der Türkei in Syrien, im Irak und nun auch in Libyen oder die andauernden Grenzstreitigkeiten in der Ägäis mit Griechenland bieten hinreichende Anlässe für politisch-diplomatische Verstimmungen. Ob es um die Uiguren-Politik in China oder die Unterstützung für die Palästinenser geht, Erdogan zelebriert sich als ein Staatsmann, der keine Zugeständnisse macht und Kompromisse ablehnt. Dass Erdogan nicht von den selbstgesteckten Zielen nach mehr Unabhängigkeit in der Außenpolitik und größerem Einfluss in der Region abweichen will, ist häufiges Thema in den Kommentarspalten in der Türkei und Deutschland.

Laut einer verbreiteten Meinung in deutschen Medien ist Bundeskanzlerin Angela Merkel die einzige Politikerin von Rang, die noch einen beschwichtigenden Einfluss auf den türkischen Präsidenten ausübt. Als es jüngst vor der griechischen Insel Kastellorizo fast zu einem militärischen Zwischenfall zwischen Griechenland und der Türkei gekommen wäre, hatte ein Telefonat der Kanzlerin mit Erdogan plötzlich Nachrichtenwert. Die Tageszeitung „Hürriyet“ sprach von einem Einlenken Erdogans, der gegenüber Merkel sein Interesse an einer diplomatischen Lösung beteuert habe. Das regierungsnahe Blatt „Sabah“ spielte dagegen den Ausgang des Gesprächs herunter: Der Präsident sei nicht von seiner „berechtigten“ Position abgewichen.

Angela Merkels diplomatisches Geschick findet immer wieder Beachtung in türkischen Kommentarspalten. Doch – anders als in der deutschen Wahrnehmung – ist bei türkischen Kolumnisten ein Einfluss Merkels auf Erdogan – wenn überhaupt – nur mittelbar und über Umwege erkennbar. So schreibt Burhanettin Duran in der regierungsnahen Tagezeitung „Sabah“: „Merkel versucht, die Spannungen zwischen Präsident Erdogan und dem griechischen Ministerpräsidenten Mitsotakis durch Shuttle-Diplomatie abzubauen. Es ist Merkel peinlich, da Erdogan am Ende Recht behielt. Er hatte nämlich gesagt: ‚Ich vertraue ihnen (den Griechen) nicht. Sie werden schon sehen‘.

Serkan Demirtas setzt in einem Kommentar in „Hürriyet Daily News“ einen anderen Akzent. Anders als in der so genannten Imia-Krise von 1996, als Washington mit einer gezielten politischen Intervention einen Krieg in der Ägäis verhinderte, sei in dem aktuellen Konflikt keine Hilfe seitens der USA zu erwarten. Daher seien alle Augen auf Berlin gerichtet. Der Journalist bezeichnet die deutsche Diplomatie als konstruktiv und effektiv. Sie habe international Beifall gefunden. „In einer Zeit, in der populistische oder schwache Führer nur herumspielen, überlistet Merkel mit gesundem Menschenverstand und Weisheit ihre Kollegen in Europa, wie bei ihrem Treffen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron vergangene Woche zu erkennen war“, so Demirtas.

Auch bezüglich des Flüchtlingsdeals zwischen der Türkei und der EU nehmen Erdogan und Merkel zentrale Rolle ein. Das Abkommen wurde maßgeblich von ihnen beiden ins Leben gerufen. Serkan Demirtas sieht hierin den Ursprung für den Respekt, den Erdogan für die Bundeskanzlerin hat: „Merkel scheint im Zuge der großen Migrationskrise von 2015 ihre eigene Art des Umgangs mit Präsident Recep Tayyip Erdogan entwickelt zu haben.“

 

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