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Türkei
Alle gegen einen: Warum Erdogan im Erdgasstreit mit Griechenland eingelenkt hat

picture alliance / AA | Turkish Presidency / Murat Cetinmuhurdar / Handout
© picture alliance / AA | Turkish Presidency / Murat Cetinmuhurdar / Handout  

Es ist ein Sieg der Diplomatie: Nach Monaten des Säbelrasselns wollen die Türkei und Griechenland im Erdgasstreit nun wieder der Politik eine Chance geben. In Istanbul sollen Unterhändler der beiden Seiten zu Gesprächen zusammenkommen. Chronisten vermelden, die  vereinbarten Sondierungen seien die 61. Runde des Dialogs. Der Gesprächsfaden war 2016 abgerissen. Die Wiederaufnahme der Gespräche zwischen Athen und Ankara ist in hohem Maße Verdienst der deutschen Bundeskanzlerin. Angela Merkel hat die Vermittlung zwischen dem türkischen Präsidenten Erdogan und dem griechischen Ministerpräsidenten Mitsotakis zur Chefsache gemacht.

Das Timing des Durchbruchs ist kein Zufall; es steht in Verbindung mit dem bevorstehenden Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs. Dort wird das Türkei-Thema ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Im Vorfeld fand EU-Außenbeauftragter Josep Borrell klare Worte: Das Verhältnis zur Türkei befinde sich an einem „Wendepunkt“. „Die Entwicklungen in der Türkei und die Handlungen der Türkei im östlichen Mittelmeer und darüber hinaus werden darüber bestimmen, wie unsere Beziehungen sich in der Zukunft entwickeln werden“, sagte der Spanier vor dem Europäischen Parlament. Einmal mehr betonte Europas Chef-Diplomat die „volle Solidarität mit Griechenland und Zypern“. Dies ist eine Formel, die europäische Spitzenpolitiker in den zurückliegenden Wochen geradezu gebetsmühlenhaft vorgetragen haben. Es blieb nicht bei Solidaritätsbekundungen: Ende August stellte die EU der Türkei wegen ihrer Erdgaserkundungen im östlichen Mittelmeer ein Ultimatum und drohte Sanktionen an.

All dies zeigte Wirkung: Mitte September kündigte Ankara den Rückzug des Forschungsschiffes Oruc Reis aus den Seegebieten vor griechischen Inseln an. Der entscheidende erste Schritt zur Deeskalation war getan. Zeitgleich verdrängte konziliantes Vokabular die martialische Rhetorik. Unter der Überschrift „Ankara drängt auf Dialog zum Abbau von Spannungen im östlichen Mittelmeer“ zitierte die regierungsnahe „Daily Sabah“ Verteidigungsminister Hulusi Akar: „Wir sind für Dialog. Wir haben immer das getan, was für gutnachbarschaftliche Beziehungen gut ist“.

Für den Sinneswandel gibt es mehr als eine Erklärung. Die weitgehende diplomatische Isolation der Türkei ist eine davon. Selten war Ankara politisch so allein wie in dieser Frage. Auch wirtschaftliche Faktoren spielen eine Rolle. „Die schwindelerregenden ökonomischen Probleme sind ein Hauptgrund, dass die angedrohten Sanktionen der EU Erdogan gezwungen haben, kleinbeizugeben“, schreibt Amberin Zaman im Nachrichtenportal „Al Monitor“. Doch entscheidend – so die Expertin – sei die Rolle der Amerikaner. „Es ist der Druck der USA, der womöglich den Ausschlag gegeben hat“.

Washington hatte sich im östlichen Mittelmeer weitgehend zurückgehalten und anderen die politische Bühne überlassen, maßgeblich der deutschen Kanzlerin. Auf dem Höhepunkt der türkisch-griechischen Krise meldeten sich die USA mit einem diplomatischen Paukenschlag zurück. Ausgerechnet in der von Ankara geächteten Republik Zypern äußerte US-Außenminister Mike Pompeo Besorgnis über das türkische Vorgehen im Gasstreit und stellte sich demonstrativ hinter die Griechen. Zuvor hatte Washington ein seit Jahren geltendes Waffenembargo gegen die Republik Zypern aufgehoben.

Derweilen stehen die türkisch-griechischen Beziehungen an einem Neuanfang. Die kommenden Wochen werden zeigen, ob die Dialogbereitschaft auf beiden Seiten hinreichend ist für eine dauerhafte Entspannung. Die EU-Staats- und Regierungschefs werden bei ihrem verschobenen Sondergipfel großes Geschick an den Tag legen müssen, um einerseits die Interessen der Mitgliedsstaaten Griechenland und Zypern zu verteidigen und gleichzeitig die Türkei nicht zu verprellen. Denn eines ist auch klar: Ohne die Kooperation der Türkei ist eine dauerhafte Entspannung in der Region nicht vorstellbar.