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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Thüringen
Demokratie als Geisel der AfD?

Stiftungsvorsitzender Professor Karl-Heinz Paqué über die Herausforderungen der demokratischen Mitte im Kampf gegen die AfD
Prof. Dr. Dr. h. c. Karl-Heinz Paqué
Prof. Dr. Dr. h. c. Karl-Heinz Paqué © Friedrich-Naumann-Stiftung / photothek

Parteien in unserer Demokratie - sie haben in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte Stabilität geschaffen. Der Wirtschaftsaufschwung, die neue Ostpolitik, europäische Integration und dann die deutsche Wiedervereinigung: All dies wäre ohne CDU/CSU, SPD und FDP undenkbar gewesen. Immer wieder griffen unterschiedliche Parteien gesellschaftliche Entwicklungen auf. Die letzte große Veränderung, das Entstehen der Umweltbewegung, mündete sogar in das Entstehen der Grünen. Und alle Parteien der demokratischen Mitte legten Wert darauf, dass der Grundkonsens der Bundesrepublik nicht angefasst wird. Offene Gesellschaft, soziale Marktwirtschaft und europäische Bindung standen jahrzehntelang nicht zur Debatte. Selbstverständlich gab es große Kontroversen. Indes: Sie wurden stets über die Sache geführt.

Seit der Etablierung der AfD ist die Situation eine andere. Ob Verharmlosung des Holocaust („Vogelschiss der Geschichte“) oder offenes Hetzen gegen Andersdenkende und Andersgläubige, die politische Kultur im Lande ist mittlerweile beschädigt. Die Exklusion von Minderheiten wie Zugewanderte und Muslime wird von der AfD schamlos kommuniziert. Der Nationalismus, der das Volk als homogenes ethnisches Volk definiert, wird offen zur Schau getragen. Immer wieder setzt die AfD neue Themen auf die Agenda, die aus diesem Nährboden gespeist werden. Immer wieder treibt die AfD Medien und Parteien damit vor sich her. Und der besonders stark völkische Flügel der Partei, die Höcke-AfD, hat in Thüringen das geschafft, was bislang keine Partei auszulösen vermochte. Sie nimmt die Demokratie als Geisel und stürzt das Land in ein politisches Chaos. 

Natürlich ist die Situation in Thüringen besonders schwierig. Im Landtag von Erfurt fehlt die Gestaltungsmehrheit der Demokraten. Union, SPD, Grüne und FDP sind zwischen den politischen Rändern eingeklemmt. Selbstverständlich kann man AfD und Linkspartei nicht gleichsetzen. Bodo Ramelow ist von Habitus und Politikstil eher ein linker Sozialdemokrat. Allerdings ist die Linkspartei, die in direkter Nachfolge der SED steht, immer noch eng und personell mit dem DDR-Unrechtsregime verflochten. Das betrifft nicht nur den Linkspartei-Ehrenvorsitzenden Hans Modrow. Das Erbe des Kommunismus reicht tief in die Partei hinein und hat noch immer großen Einfluss auf die Tagespolitik und erst recht auf die Bewältigung der Vergangenheit, etwa wenn es um den Umgang mit ehemaligen Stasi-Mitarbeitern geht. Besonders augenfällig wird dies, wenn es um es um die summarische Bewertung der eigenen Geschichte geht: War die DDR ein Unrechtsregime? Kaum ein Funktionär der Linkspartei - und auch nicht Bodo Ramelow - beantwortet diese Frage mit Ja. 

Vor diesem Hintergrund können Union und FDP Bodo Ramelow auch nicht einfach zum Ministerpräsidenten wählen. Die Alternative darf aber keinesfalls eine Zusammenarbeit mit der AfD sein. Deswegen hat das Verhalten von Thomas Kemmerich der FDP leider massiv geschadet, auch wenn es von der guten Absicht getragen war zu demonstrieren, dass die politische Mitte ein demokratisches Zeichen setzen muss. Christian Lindner trifft den Kern, wenn er davon spricht, dass „die Seele der FDP verletzt worden ist“. Und die Union rutscht in eine Krise, wie der Rückzug der CDU-Bundesvorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer zeigt.

Von einer Staatskrise, wie sie Bodo Ramelow zu erkennen glaubt, kann aber nicht die Rede sein: Das Land Thüringen wird geschäftsführend regiert, die Verwaltung funktioniert, nirgendwo leidet das öffentliche Leben - jedenfalls nicht in den kommenden Wochen und Monaten. Insofern muss davor gewarnt werden, die Lage nicht zu einer Staatskrise zu überdramatisieren. Parlamentarische Demokratien landen eben gelegentlich in merkwürdigen Pattsituationen, die es mit Vernunft und Umsicht aufzulösen gilt - man denke nur daran, was jüngst in Österreich und dem Vereinigten Königreich geschah. Es ist deshalb auch klug und angemessen, wenn die FDP und Stimmen aus der CDU fordern, eine angesehene und unabhängige Persönlichkeit zum Ministerpräsidenten zu wählen, mit der die Monate bis zu zeitnahen Neuwahlen überbrückt werden können. Das österreichische Beispiel nach dem Zerbrechen der ÖVP/FPÖ-Koalition im Sog der Ibiza-Affäre kann da Pate stehen.

Wählt man diesen Weg, so kann die Republik endlich zur thematischen Tagesordnung der großen Sachthemen zurückkehren. Und damit auch zur Lebenswirklichkeit der Menschen: Die drängenden Fragen unserer Zeit, die auf Antwort warten, sind doch andere, als die Provokationen der AfD suggerieren. Sie lauten unter anderem: Was machen wir mit den Tausenden von Arbeitsplätzen in der Automobilindustrie? Wie geht es weiter mit dem Klimawandel? Wie lässt sich angesichts der demografischen Krise Gesundheit und Rente sichern? Nur wer in der demokratischen Mitte darauf Antworten findet, kann den Kampf gegen die AfD gewinnen.

Sehen Sie passend dazu, die Rede von Christian Lindner im Bundestag, am 13.02.2020 über die Vorgänge in Thüringen. Zur Rede