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Nationalsozialismus
Tag des Buches

Tausende Bücher wurden am 10. Mai 1933 in deutschen Städten verbrannt. Der 10. Mai erinnert an die Ereignisse am "Tag des Buches".
Gedenktafel, Bebelplatz, Bücherverbrennung
Gedenktafel zur Bücherverbrennung © CC BY-SA 3.0

Zehntausende Studenten, Professoren und Schaulustige versammelten sich abends auf dem Berliner Opernplatz (dem heutigen Bebel-Platz) und warfen unter dem Jubel des umstehenden Bürgertums Werke von Brecht, Tucholsky und 92 weiteren Schriftstellern in die Flammen. Einigen besonders verhassten Autoren wurde ein sogenannter Feuerspruch „gewidmet“, der die Verbrennung ritualisieren sollte. Eine Rede des Propagandaministers und studiertem Germanisten, Joseph Goebbels, sollte der Veranstaltung offizielle Wirkungskraft verleihen. Insgesamt fielen 25.000 Bücher den Flammen zum Opfer – und das allein in Berlin. Auch an weiteren deutschen Hochschulstandorten wie Bremen, München, Göttingen und Dresden wurde ähnliche Fanale organisiert. 

Die Beteiligten waren sich der Symbolkraft einer rituellen Verbrennung durchaus bewusst – und die Propagandamaschinerie der Nationalsozialisten wusste diese auf perfide Weise zu instrumentalisieren. Mit der Bücherverbrennung ende das „Zeitalter eines überspitzten jüdischen Intellektualismus“, so die Kernbotschaft von Joseph Goebbels Rede vor den begeisterten Zuschauern der Bücherverbrennung auf dem Berliner Opernplatz. Dass die Bücherverbrennung ausgerechnet von der Deutschen Studentenschaft initiiert wurde und von Universitätsprofessoren in ganz Deutschland mitgetragen wurde, verleiht der Veranstaltung einen besonders bitteren Geschmack. Die auf dem Opernplatz versammelte geistige Elite entschied sich bewusst für den Nationalsozialismus. Bezeichnend: Eine der Forderungen in den „12 Thesen wider den undeutschen Geist“, die im Zuge der Bücherverbrennungen aufgestellt wurden, lautete, dass der deutsche Student „Wille und Fähigkeiten zur selbständigen Erkenntnis und Entscheidung“ haben müsse. Zudem solle deutsche Schrift nur den Deutschen zur Verfügung stehen – jeglicher „undeutscher Geist“ müsse aus Büchern „ausgemerzt“ werden. 

Die Zensur der Meinungsfreiheit, der Freiheit der Wissenschaft und der Kunst wurde zwölf Jahre gesellschaftlich akzeptiert. Kritische Künstler, Wissenschaftler und Autoren, die der nationalsozialistischen Diktatur nicht rechtzeitig entflohen, wurden interniert oder mit lebenslangem Berufsverbot belegt. Erst mit der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands am 08. Mai 1945 konnten sich zuvor Unterdrückte wieder frei äußern, ohne um Leib und Leben fürchten zu müssen.

Als „Froschkönig“ hatte Walter Hasenclever Hitlers Propagandachef Joseph Goebbels satirisch gezeichnet – als die Nazis 1933 Bücher verbrannten, waren auch seine Werke dabei. Nach jahrelanger Flucht durch ganz Europa landete er schließlich in einem Internierungslager in der Provence.

Angesichts der Nachricht von den einmarschierenden deutschen Truppen nahm er sich in der Nacht vom 21. auf den 22. Juni 1940 in dem Lager „Les Milles“ bei Aix-en-Provence durch eine Überdosis Veronal-Tabletten das Leben, um nicht den Nazis in die Hände zu fallen.  

 

Sabine Leutheuser-Schnarrenberger trug das Gedicht „ Die Mörder sitzen in der Oper“ von Walter Hasenclever vor.
 

Der Zug entgleist. 20 Kinder krepieren.
Die Fliegerbomben töten Mensch und Tier.
Darüber ist kein Wort zu verlieren,
Die Mörder sitzen im Rosenkavalier.

Soldaten verachtet durch die Straßen ziehen,
Generäle prangen im Ordenssturm.
Deserteure, die seit dem Angriff fliehen,
Erschießt man im Namen des obersten Herrn.

Auf, Dirigent, von deinem Orchesterstuhle!
Du hast Menschen getötet. Wie war dir zu Mut?
Waren es viel? Die Mörder machen Schule.
Was dachtest du beim ersten spritzenden Blut?

Der Mensch ist billig und das Brot wird teuer.
Die Offiziere schreiten auf und ab.
Zwei große Städte sind verkohlt im Feuer.
Ich werde langsam wach im Massengrab.

Ein gelber Leutnant brüllt an meiner Seite:
Sei still, du Schwein! Ich gehe stramm vorbei,
im Schein der ungeheuren Todesweite.
Vor Kälte grau in alter Leichen Brei.

Das Feld der Ehre hat mich ausgespieen;
Ich trete in die Königsloge ein.
Schreiende Schwärme schwarzer Vögel ziehen
Durch goldene Tore ins Foyer hinein.

Sie halten blutige Därme in den Krallen,
Entrissen einem armen Grenadier.
Zweitausend sind in dieser Nacht gefallen!
Die Mörder sitzen im Rosenkavalier.

Verlauste Krüppel sehen aus den Fenstern,
Der Mob schreit: „ Sieg“. Die Betten sind verwaist.
Stabärzte halten Musterung bei Gespenstern;
Der dicke König ist zur Front gereist.

Hier Majestät, fand statt das große Ringen!
Es naht der Feldmarschall mit Eichenlaub.
Die Tafel klirrt, Champagnergläser klingen.
Ein silbernes Tablett ist Kirchenraub.

Noch strafen Kriegsgerichte das Verbrechen,
Und hängen den Gerechten in der Welt.
Geh hin, mein Freund, du kannst dich an mir rächen!
Ich bin der Feind, Wer mich verrät, kriegt Geld.

Der Unteroffizier mit Herrscherfratze,
Steigt aus geschundenem Fleisch ins Morgenrot.
Noch ruft Karl Liebknecht auf dem Platze:
„ Nieder der Krieg“! Sie hungern ihn zu Tod.

Wir alle hungern  hinter Zuchthaussteinen,
Indes die Oper tönt im Kriegsgewinn.
Misshandelte Gefangene stehn und weinen
Am Gittertor der ewigen Knechtschaft hin.

Die Länder sind verteilt. Die Knochen bleichen,
Der Geist spinnt Hanf und leistet Zwangsarbeit,
Ein Denkmal steht im Meilenfeld der Leichen,
Und macht Reklame für die Ewigkeit.

Man rührt die Trommel. Sie zerspringt im Klange,
Brot wird Ersatz und Blut wird Bier.
Mein Vaterland, mir ist nicht bange!
Die Mörder sitzen im Rosenkavalier.

 

*Jürgen Serie, Die verbrannten Bücher, Fischer Verlag, 1983. Seite 305/306