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Sudan
Überlassen wir den Sudan nicht den Golfstaaten!

Die Menschen protestieren mit Parolen gegen die umstrittene Entscheidung des sudanesischen Präsidenten des Souveränitätsrates Abdel Fattah Abdelrahman Burhan, sich letzte Woche in Khartum mit dem israelischen Premierminister zu treffen, um eine Normalisierung der Beziehungen herbeizuführen.
Demonstranten protestieren gegen die Entscheidung des sudanesischen Präsidenten des Souveränitätsrates, Abdel Fattah Abdelrahman Burhan, sich mit dem israelischen Premierminister zu treffen, um eine Normalisierung der Beziehungen zu erreichen.. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Morwan Ali

In den letzten Tagen verdichteten sich die Hinweise darauf, dass der Sudan das nächste arabische Land sein könnte, das ein Friedensabkommen mit Israel unterzeichnet. Am 21. September fand ein Treffen zwischen Vertretern der USA, der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und des Sudans in Abu Dhabi über die sudanesisch-israelischen Beziehungen statt. Für die sudanesische Regierung könnte die Zustimmung zu einem solchen Abkommen dringend benötigte wirtschaftliche Unterstützung sowie die Streichung des Landes von der amerikanischen Liste der „Sponsoren des Terrorismus“ bedeuten. Wie würde sich dieser Schachzug auf die Pläne Saudi-Arabiens, der VAE und Europas für den Sudan auswirken? Und welche Rolle spielt das sudanesische Militär hierbei?

Eine politische Sackgasse

Nach Jahrzehnten autoritärer Herrschaft ist im Sudan nun eine Zeit beispielloser politischer und wirtschaftlicher Instabilität angebrochen. Nach dem Sturz des Bashir-Regimes im Sommer 2019 unterzeichneten das sudanesische Militär und die „Forces of Freedom and Change“, kurz „FFC“ (ein Zusammenschluss zivilgesellschaftlicher Organisationen und politischer Parteien) ein Abkommen zur Machtverteilung. Auf dieser Erklärung basierte die Gründung des gemischten zivil-militärischen „Souveränen Rats“, der bis zu zukünftigen Neuwahlen das Land regiert. Derzeit ist General Abdelfattah al-Burhan Vorsitzender des Rates und General Daglo, besser bekannt als Hemedti, sein Stellvertreter. Der Ökonom und Politiker Abdallah Hamdok wurde zum Premierminister ernannt und leitet derzeit ein 20-köpfiges Kabinett.

Nach einer dreijährigen Übergangsfrist soll es schließlich zu einem Friedensabkommen mit bewaffneten Gruppen, einer neuen Verfassung und Neuwahlen kommen. Ein Jahr nach Hamdoks Amtsantritt scheint der Übergangsprozess zu einer demokratischen und verfassungsmäßigen Ordnung jedoch ins Stocken geraten zu sein. Das zivile Kabinett von Premierminister Hamdok und der FFC haben das Vertrauen und die politische Unterstützung der Protestbewegung weitestgehend eingebüßt. Immer wieder werden sie von den Generälen, die den Souveränen Rat dominieren, überstimmt. Die Regierung und der FFC haben es außerdem noch nicht geschafft, politische Institutionen aufzubauen, die einer möglichen Machtübernahme durch das Militär im Wege stehen und Kabinett und Souveränen Rat überwachen. Die Opposition ist gespalten. In diesem komplexen Gefüge sind sämtliche politischen Akteure voneinander abhängig und versuchen gleichzeitig, die anderen zu verdrängen.

Die Generäle geben den Ton an

Zusätzlich zu der politischen Machtasymmetrie könnte auch die derzeitige Wirtschaftskrise die bereits schwindende Unterstützung für die Übergangsregierung untergraben. Die sudanesische Regierung zögerte bislang, die Strukturreformen zuzusagen, die von Geldgebern als Gegenleistung für Hilfspakete gefordert werden. Ein weiteres Problem ist der Einfluss der Sicherheitskräfte auf die Wirtschaft: Laut ECFR-Experte Jean-Baptiste Gallopin haben das Militär und der Sicherheitsapparat indirekt die Kontrolle über die reichsten Unternehmen des Landes, die größtenteils unabhängig agieren, Steuerbehörden umgehen und einen Großteil des staatlichen Vermögens umfassen. Einerseits sollte dringend rigoros gegen diese parastaatlichen Unternehmen vorgegangen werden, andererseits könnten die Generäle sich daraufhin gegen die zivilen Kräfte zusammenschließen.

Hamdok braucht dringend gute Nachrichten: Ende August dieses Jahres unterzeichnete seine Übergangsregierung ein Friedensabkommen mit wichtigen Rebellengruppen, das die bewaffneten Bewegungen des Sudan auflösen und in die reguläre Armee integrieren soll. Obwohl das Friedensabkommen international als Erfolg für Hamdoks Regierung gewertet wurde, war es General Hemedti, der die sudanesische Delegation leitete, das Abkommen für Khartum unterzeichnete und laut Beobachtern die Fäden im Hintergrund der Konferenz in Juba zog.

Hafenpolitik im Roten Meer

Die politischen Umbrüche im Sudan hatten Einfluss auf die geopolitischen Rivalitäten in der gesamten Region und riefen zwei Hauptakteure, die VAE und Saudi-Arabien, auf den Plan. Beide haben seit langem Interesse an der Kontrolle des sudanesischen Hafens in Port Sudan und arbeiten seit Jahren daran, ihre Machtposition in den wichtigsten Häfen am Roten Meer auszubauen. Um ihren Einfluss auf die neuen sudanesischen Entscheidungsträger zu sichern, haben die Golfstaaten die Militär- und Sicherheitskräfte während und nach dem Sturz von Präsident Bashir im Jahr 2019 großzügig finanziell gefördert. Sie unterstützten die neue Junta gegen die Forderungen der Demonstranten und versprachen den Generälen 3 Mrd. US-Dollar. Indem sie Hemedti Berater, Waffen und indirekte Finanzmittel zur Verfügung stellen, arbeiten die VAE im Hintergrund seit längerem daran, die Regierung von Hamdok zu untergraben und Hemedti als nächsten Herrscher des Sudans zu positionieren.

Die Region am Roten Meer ist mittlerweile für zahlreiche Akteure – u.a. China – zum geostrategischen Fokus geworden. Die arabischen Golfstaaten können sich jedoch auf langjährige Beziehungen zum Sudan berufen, die teilweise auf der Tatsache beruhen, dass die meisten Sudanesen zur Ausbildung und für die Arbeit an den Golf ziehen. Zahlreiche Sudanesen, die aus Saudi-Arabien zurückkehren, waren oft jahrelang dem Einfluss wahhabitischer Ideologien ausgesetzt. Während die weitgehend elitäre und gut ausgebildete Protestbewegung in Khartoum schwächer wird, tun Riadh und Abu Dhabi alles, um ihren wirtschaftlichen und politischen Einfluss im Land zu sichern. Ein möglicherweise bevorstehendes Normalisierungsabkommen mit Israel wäre nicht nur ein Erfolg für die Emiratis und die Saudis, sondern auch für Präsident Trump, der Khartoum derzeit zu einem solchen Schritt zu drängen scheint. Für die sudanesische Regierung steht allerdings Einiges auf dem Spiel: Bei der eigenen Bevölkerung, die jahrzehntelang von einer Regierung der Muslimbrüder beherrscht wurde, welche Israel als Feindbild aufbaute, würde ein solcher Schritt höchstwahrscheinlich auf breite Kritik stoßen.

Den zivilen Charakter des sudanesischen Transformationsprozesses sichern

Die Golfstaaten füllen lediglich eine Lücke, die die langjährige Apathie des Westens gegenüber Sudan hinterlassen hat. Nach Angaben des European Council on Foreign Relations umfassen glaubwürdige Szenarien für den Sudan derzeit alles, von einer militärischen Übernahme und einem Bürgerkrieg über den wirtschaftlichen Zusammenbruch bis hin zu Burhans Weigerung, 2021 seine Position an ein ziviles Mitglied des Souveränen Rates zu übergeben.

Um sicherzustellen, dass das Schicksal des Landes nicht vollständig von den Golfstaaten bestimmt wird, müssen die Maßnahmen Deutschlands und der Europäischen Union nun darauf abzielen, den zivilen Charakter des sudanesischen Transformationsprozesses zu stärken. Premierminister Hamdok und sein Kabinett brauchen dringend ausländische Unterstützung und internationale Partnerschaften, um ihre nationale Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Auf diplomatischer Ebene sollte Deutschland die Mitgliederzahl der sogenannten „Gruppe der Freunde des Sudans“ erweitern, indem es die Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Akteure wie des FFC vorantreibt. Die „Freunde des Sudans“ ist eine Plattform, die die seltene Gelegenheit für einen direkten Dialog zwischen westlichen Ländern und Institutionen, der sudanesischen Zivilgesellschaft sowie den VAE und Saudi-Arabien bietet. Sie sollte daher gefördert und gestärkt werden. Auf wirtschaftlicher Ebene sollten Deutschland und die EU den VAE und Saudi-Arabien verdeutlichen, dass ihre wirtschaftlichen Investitionen im Sudan nur dann langfristig gesichert sind, wenn der Sudan wieder Zugang zu den internationalen Finanzmärkten erhält. Dies aber wird nur mit der Unterstützung der internationalen Gemeinschaft möglich sein.

Sowohl Deutschland als auch die EU haben zahlreiche Gründe, die zivilen Akteure im sudanesischen Transformationsprozess zu unterstützen - nicht zuletzt ihr Interesse, die Migration nach Europa einzudämmen. Allein die Aussicht, dass Saudi-Arabien und die VAE die gesamte Region des Roten Meeres, wenn auch nur indirekt, beherrschen, sollte ausreichen, um endlich eine kohärente Außen- und Sicherheitspolitik in Bezug auf den Sudan zu entwickeln. Noch kann das Geschick in Khartum gewendet werden – doch es bleibt nicht mehr viel Zeit.


Sophie Schmid ist Regional Project Manager der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit mit Sitz in Amman