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Straflosigkeit: der Tod des mexikanischen Journalismus

Kundgebung Javier Valdez
Trauerfeier für den ermordeten Journalisten Javier Valdez © CC BY-SA 4.0 commons.wikimedia.org/ ProtoplasmaKid

Seit dem Jahr 2000 bis zum heutigen Tag wurden in Mexiko 111 Journalisten ermordet. Das übersteigt die Zahl der ermordeten Journalisten in demselben Zeitraum in Afghanistan, Indien, Iran und Russland zusammengenommen. Auch für das Jahr 2017 führt Mexiko die traurige Rangliste der Länder mit den meisten Journalisten-Morden an. Bereits elf Medienvertreter haben auf diese Weise ihr Leben verloren. Damit übersteigen die Zahlen für Mexiko selbst die von Konfliktstaaten wie Syrien (8) und dem Irak (7). Die meisten recherchierten und berichteten über Verbindungen zwischen Regierungsmitgliedern und der Drogenmafia. Andere Angriffe richteten sich gegen Journalisten, die sich mit Menschenhandel, Umweltvergehen und Konflikten zwischen den indigenen Gruppen und der Rohstoffindustrie beschäftigten.

Wie ist es aktuell um die strafrechtliche Verfolgung von Verbrechen gegen Journalisten im Land bestellt?

Organisationen kritisieren mit scharfen Worten die Situation im Lande: Amnesty International spricht von dem Beginn der „Jagdsaison“ auf Journalisten und einem „Krieg“ gegen die Medien. Die britische Menschenrechtsorganisation Article 19 nennt es einem neuen Höchststand an Gewalt.

Besonders ins Auge fällt ein Bericht des Komitees zum Schutz für Journalisten (Committee to Protect Journalists- CPJ), die die Morde an Journalisten wohl am treffendsten mit nur einem Wort beschreiben: vermeidbar.

Dem Komitee zufolge trägt die Gleichgültigkeit und Tatenlosigkeit der Regierung und die ausufernde Korruption im Lande stark zu den Gewalttaten gegen Journalisten bei.

„Die weitverbreitete Straflosigkeit erlaubt Kriminellen, korrupten Beamten und Kartellen ihre Kritiker zum Schweigen zu bringen“ sagt der Report der CPJ der zum Weltpressefreiheitstag im Mai dieses Jahres veröffentlicht wurde. Weiterhin wird Straflosigkeit als die „Norm“ bei Gewalttaten gegen Journalisten beschrieben, das mexikanische Justizsystem scheint außerstande Gerechtigkeit im Lande herzustellen.

Hat sich die Lage in den vergangenen Jahren verbessert oder verschlechtert?

Der Straflosigkeitsindex der CPJ, der auf Basis der unaufgeklärten Morde an Journalisten relativ zur Bevölkerung des Landes ermittelt wird, hat sich seit 2008 verdoppelt - und das trotz Versprechen zur Verbesserung der Situation von mittlerweile drei Präsidenten: des amtierenden Präsidenten Peña Nieto sowie seinen Vorgängern Felipe Calderón und Vincente Fox. Laut der Organisation lag die Quote der Straflosigkeit zwischen 2010 und 2016 bei 99,75% - ein starker Schlag gegen die Meinungsfreiheit in einem Land, in dem Journalisten täglich Belästigungen, Spionage und Drohungen ausgesetzt sind.

Besonders Präsident Peña Nieto versprach, sich für eine Besserung der Situation im Lande einzusetzen, und betonte mehrmals seine Verpflichtung gegenüber der Meinungsfreiheit und bessere Bedingen für Journalisten zu schaffen. Bis jetzt blieb dies leider nur ein Versprechen ohne Konsequenzen. Die Realität sieht anders aus: Wie in den letzten Monaten bekannt wurde, benutzte die mexikanische Regierung ein Spionageprogramm um systematisch Mobiltelefone mehrerer mexikanischer und eines US-Amerikaners abzuhören. Peña Nieto bestreitet diese Anschuldigungen zwar, allerdings überrascht es nicht, dass die Regierung ihrer Pflicht der Verteidigung der Pressefreiheit nicht nachkommt. Durch die häufige Verwicklung der Regierung in Straftaten wie beispielsweise die Entführung der 43 Studenten von Ayotzinapa liegt es in ihrem Interesse, die Berichterstattung über solche Geschehnisse möglichst gering zu halten.

Inwieweit wirkt sich die Straflosigkeit auf die Meinungs- und Pressefreiheit im Land aus?

Viele Journalisten verlassen frustriert und ohne Motivation die Profession, junge Menschen sind abgeschreckt, den Berufsweg als Journalist überhaupt einzuschlagen. Die Konsequenzen sind fatal für Mexikos Demokratie: Über viele Verbrechen und Verwicklungen der Regierung in Straftaten wird kaum oder gar nicht berichtet, und somit ist eines der effektivsten Werkzeuge der Demokratie praktisch lahmgelegt.

Miguel Ángel Díaz, Herausgeber der kritischen Website “Plumas Libres”, bestätigt in einem Interview mit dem CPJ, dass Journalisten - wenn mit Drohungen konfrontiert - keine Anlaufstellen haben und somit niemanden dem sie vertrauen können. Zwar wurde auf Druck der Öffentlichkeit im Jahr 2006 eine Sonderstaatsanwaltschaft für Verbrechen gegen Meinungsfreiheit (FEADLE) eingerichtet, allerdings kam es seitdem nur zu drei Verurteilungen.

Wird die Straflosigkeit von Verbrechen gegen Journalisten in der öffentlichen Debatte thematisiert? Gibt es konkrete Fälle, die in den Fokus der Öffentlichkeit geraten sind?

Auf öffentliche Einrichtungen ist zur Lösung des Problems wohl nicht zu hoffen - die Reaktion der Öffentlichkeit auf Journalistenmorde hat sich jedoch verändert.

Der Tod von Ruben Espinosa, einem bekannten Journalisten, der über die Unterdrückung von Protesten von Studenten und Professoren gegen die Regierung des damaligen Gouverneurs des Bundesstaates Veracruz Javier Duarte berichtete, löste im Jahr 2015 bereits großes Entsetzten in der Bevölkerung aus. Die Autoritäten leugneten, dass sein Tod etwas mit seiner journalistischen Arbeit zu tun habe – aber zu einer Aufklärung des Falles kam es nie und mehrere Menschenrechtsorganisationen kritisierten den Ablauf der Ermittlungen.

Gedenkveranstaltung Rubén Espinosa
Gedenkveranstaltung für den ermordeten Journalisten Rubén Espinosa © CC BY-SA 4.0 commons.wikimedia.org/ EneasMx

Die Ermordung von Javier Valdés im Mai dieses Jahres löste abermal große Protestwellen im ganzen Land aus. Journalisten protestierten mit Schildern mit den Worten “Ni Uno Mas!” (Nicht Einer Mehr) und “No Mas Sangre” (Kein Blut Mehr). Die Verbrechen gegen die Pressefreiheit rückten mehr in die öffentliche Debatte. Es scheint als würden sich die Journalisten Schritt für Schritt organisieren. Freelance Journalist Elia Baltazar beschreibt in einem Interview mit dem Internationalen Sicherheitsinstitut (INSI) diese Bewegung sogar als „Untergrundkrieg“.

Um diese Entwicklung weiter zu stärken, ist besonders die internationale Gemeinschaft gefragt, damit der Druck auf die Regierung weiter verstärkt wird.  

Welche Organisationen setzen sich im Land gegen die Straflosigkeit von Verbrechen gegen Journalisten ein? Inwieweit unterstützt die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit diese Bemühungen?

Die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit berichtet regelmäßig über die Menschenrechtslage im Lande. Außerdem setzt sich das Regionalbüro in Mexiko seit 2005 zusammen mit acht anderen deutschen Organisationen (u.a. der deutschen Botschaft in Mexiko) für eine Verbesserung der Situation ein und lädt jährlich Journalisten und Medien ein am Deutschen Journalistenpreis Walter Reuter teilzunehmen – einem Preis der für investigativen Journalismus in Mexiko verliehen wird. In diesem Jahr nimmt der Walter-Reuter-Preis genau dieses Thema auf: mexikanische Journalisten sind aufgerufen, ihre Arbeiten zum Thema „Meinungsfreiheit und Rechtsstaat“ einzureichen.

Vera Grieb arbeitet als Praktikantin im Regionalbüro der Stiftung in Mexiko-City