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Stipendiaten
Der liberale Balanceakt: Zum Verhältnis von Freiheit und Sicherheit

Inlandsakademie 2019
Sabine Leutheusser Schnarrenberger und unsere Stipendiaten bei der Inlandsakademie 2019.

Sabine Leutheusser Schnarrenberger und unsere Stipendiaten bei der Inlandsakademie 2019.

© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Die Inlandsakademie der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit ist eine der zentralen Veranstaltungen des Förderungsjahres. Im Zentrum des einwöchigen Akademieprogramms stehen Leitthemen, die von den Teilnehmern mit eigenen Recherchen und mit Referenten analysiert und in ihren gesellschaftspolitischen, wirtschaftlichen und kulturellen Implikationen diskutiert werden. Bei der diesjährigen Inlandsakademie beschäftigen sich unsere Stipendiaten mit den Themen Freiheit und Sicherheit und berichten hier täglich im Blog:

22.06.2019

Cyber-Crime vs Cyber-Security

Der vorletzte Tag unserer Inlandsakademie stand ganz im Zeichen der Cyber-Security. Und um nicht nur darüber zu sprechen, sondern auch einen praktischen Einblick in jene zu bekommen, führte es die Gruppe am Morgen zum Münchner Flughafen. 

Im dortigen Information Security Hub (ISH) der Flughafen München GmbH lassen sich insbesondere Hacker-Angriffe und andere technische Krisenszenarien bei Unternehmen und öffentlichen Institutionen simulieren. Neben den IT-Spezialisten des Münchner Flughafens trainieren hier auch Experten aus aller Welt und aus verschiedensten Branchen den Ernstfall. Am heutigen Brückentag hatten wir jedoch die Möglichkeit, die Räumlichkeiten im Detail zu erkunden, da keine Veranstaltungen an diesem Tag stattfanden.

Herzstück der Anlage ist das Control Center mit 8 PC-Plätzen. An diesen sitzen im simulierten Ernstfall die Teilnehmer und koordinieren die Maßnahmen. Neben der Benutzung unterschiedlichster IT-Tools ist es hier auch möglich, Überwachungskameras des Flughafens live auf die 8 fest installierten Beamer zu schalten. Dies ist insbesondere ein Vorteil, wenn es um die Simulation von Angriffsszenarien auf dem Flughafengelände geht.

Direkt an das Control Center grenzen ein Konferenzraum, in dem viele weitere Teilnehmer Platz haben und das Geschehen sowohl beobachten, als auch selbst mit steuern können, und das Design Thinking Lab. In diesem puristischen Raum testen Teilnehmer und Unternehmen Innovationen im Bereich der Visualisierung und Kollaboration. Die 3D-Brille stellt hier nur eine der Möglichkeiten dar, mit denen in Zukunft die Produktentwicklung und Kommunikation in Zukunft einfacher werden sollen.

Neben zwei kleineren Konferenzräumen, in denen unter anderem Hardware- und Anwendungsschulungen im Vordergrund stehen, fällt vor allem eine Einrichtung ins Auge: Der Control Tower. In dem Raum, welcher dem Tower des Flughafen München nachempfunden ist, haben die Leiter eines Szenarios die Oberhand über das Geschehen. Mit Kameras lassen sich die Teilnehmer beobachten und bei Bedarf weitere Herausforderungen einspielen. Diese reichen von Anweisungen über Lautsprecher bis hin zu Stress erzeugenden Animationen der komplexen Lichtinstallation. 

Insgesamt also ein spannender Einstieg für den Tag, der den Fokus vor allem auf die kommunikativen und organisatorischen Aspekte der Cyber-Security legt. Hierbei wurde allen deutlich, dass neben technischem Know-how auch die Soft-Skills und effektive Kommunikation im Ernstfall entscheidend sind. 

Jonas Becker

 

Neue Technologien, Überwachung und der Kampf für Freiheit – Einblicke in die aktuelle Lage in Hongkong

Auf den Ausflug zum Flughafen folgte ein Skype-Gespräch mit Armin Reinartz, dem Leiter des Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Hongkong. Neben Livebildern vom Polizei-Hauptquartier und einer Einschätzung zur aktuellen Lage wurde dabei auch die Arbeit des Global Innovation Hubs vorgestellt, der Innovationen und neue Technologien für die Stiftung und ihre Partner nutzbar machen möchte. Da autoritäre Regime technisch aufrüsten und die neuen Möglichkeiten geschickt für sich zu nutzen wissen, versucht der Global Innovation Hub die demokratischen Chancen bei der Nutzung neuer Technologien zu erforschen und die Hand am Puls aktueller und künftiger Entwicklungen zu sein. Vor dem Hintergrund der aktuellen Proteste in Hongkong zeigen die neuen Überwachungsmöglichkeiten dabei sehr anschaulich das Spannungsfeld von Freiheit und Sicherheit.

Die Arbeit des Global Innovation Hubs gliedert sich grob in drei Themenbereiche. Zum einen werden die Chancen und Konsequenzen von konkreten neuen Technologien erforscht. Eines der spannendsten Themen ist der Fortschritt bei der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz, die zur präziseren Video-Überwachung durch Echtzeit-Gesichtserkennung genutzt werden kann. Andererseits berichtet Armin Reinartz auch über die Chancen, die beispielsweise eine Zusammenarbeit mit einem Hongkonger Startup zeigen. Dieses versucht, individualisiertes Lernen durch einen KI-gestützten Gamification-Ansatz zu ermöglichen. Auch der Themenbereich Blockchain und Kryptowährungen entwickelt sich zu einem relevanten Thema, da eine Regierung wie China über die Ausgabe einer staatlichen Kryptowährung zusätzlich Einfluss und Kontrolle ausüben kann. Ein weiterer Schwerpunkt liegt bei der Nutzung von neuen Technologien in der Stiftungsarbeit. Beispielsweise werden die Möglichkeiten von Virtual Reality oder Augmented Reality erprobt. Zuletzt wird versucht, die neuen Methoden und Arbeitsprozesse auch in der eigenen Arbeit zu implementieren. Design Thinking Prozesse und neue Tools werden dabei selbst erprobt oder in Workshops lokalen Partnern und NGOs vermittelt.

Ausführlich diskutiert wurden ebenfalls die aktuellen Proteste in Hongkong, deren Auswirkungen mit Tränengas im Klimaanlagensystem des Bürogebäudes auch unmittelbar im Hongkonger Büro zu spüren waren. Während die breite Masse des Protestes keine besonderen Maßnahmen zum Schutz vor Überwachung ergreift, versucht der harte Kern der Demonstranten mit Vermummungen, VPNs und verschlüsselten Messengerdiensten seine Identität zu verschleiern. Dies ist auch eine Lehre aus der schmerzhaften Erfahrung nach den Occupy Central Protesten von 2014, als mehrere führende Figuren der Protest-Bewegung anschließend Repressionen und Haftstrafen erdulden mussten. Dabei stellte Reinartz klar, dass auch wenn die Polizei in Hongkong derzeit noch unabhängig von China ist, der zunehmende Einfluss aus China besorgniserregend ist. Nichtsdestotrotz bleibt Hongkong der „freister Platz in China“, was beispielsweise ein Museum zum Tian‘anmen-Massaker zeigt.

Die praktischen Erkenntnisse vor Ort mit Überwachungssystemen aus China versucht das Büro anschließend wieder liberalen Entscheidungsträgern in Deutschland zu vermitteln. Zu Besuch in Hongkong waren in der Vergangenheit unter anderem bekannte liberale Digitalpolitiker wie Jimmy Schulz und Bernd Schlömer. Auch eine verstärkte Vernetzung von liberalen Partnern vor Ort und Stipendiaten in Hongkong wird angestrebt. Nicht seriös prognostizierbar bleibt allerdings die zukünftige Entwicklung der Volksrepublik China. Die zunehmend autoritäre Entwicklung unter Xi Jinping seit 2013 beeinflusst natürlich auch das Verhältnis zu Hongkong und Taiwan. Eine langfristige Abkehr Chinas vom Weg von Reformen und Öffnung ist die zentrale Herausforderung für den Traum von einer multilateralen und von Rechtsstaaten geprägten Weltordnung. Angesichts des zunehmenden Einfluss Chinas auf seine Nachbarschaft, ist zu befürchten, dass die Schicksale von Hongkong und Taiwan in Peking beschlossen werden.

Till Lentze, Accounting and Finance in Tübingen

 

Geht Digitale Sicherheit? – „Eigentlich gar nicht“

Für die letzte Vortragsveranstaltung der Inlandsakademie 2019 erläuterte Christian Schorr, Oberstaatsanwalt bei der Zentralstelle für Cybercrime Bayern (ZCB), inwiefern digitale Sicherheit den heutigen bestehenden digitalen Herausforderungen Opposition bieten kann, und welche besonderen Schwierigkeiten bei der Verfolgung von Cybercrime im Verhältnis zur klassischen Kriminalität bestehen.

Einleitend schilderte Herr Schorr die Vielzahl der Aufgaben der ZCB welche seit 2015 die Bearbeitung herausgehobener, cyberkriminaler Fälle annimmt, darunter Fälle des Blackmailing und des illegalen Streaming. Zusätzlich gibt es ebenfalls drei spezialisierte Arbeitsgruppen die sich im Besonderen mit der Verbreitung und dem Besitz von Kinderpornographie, der Wirtschaftskriminalität und dem Darknet befassen. Ein Alleinstellungsmerkmal der ZCB ist, dass im Gegensatz zum klassischen Model, in welchem die örtliche Zuständigkeit sich lediglich auf die jeweiligen Landgerichtsbezirke beschränkt, die ZCB Fälle aus ganz Bayern analysiert und verfolgt. Zudem unterstützt die ZCB bayrische Staatsanwälte in ihren Fortbildungen im Bereich der Cyberkriminalität und kooperiert mit Interessenvertretern auf der nationalen und internationalen Ebene, um maximale Wissensdeckkraft für Fälle der grenzübergreifenden Kriminalität zu erreichen.

Den nächsten Teil seines Vortrags widmete der Oberstaatsanwalt der Erklärung der Schwierigkeiten, welche in der Sphäre der Cyberkriminalität im Vergleich zur klassischen Kriminalität in Erscheinung treten. Während in Fällen klassischer Kriminalität DNA, Fingerabdrücke, Telefondaten etc. sowie Zeugen als Beweismittel der Straftat vorhanden sind, hinterlassen strafrechtliche Cybercrime-Verbrechen nur digitale Spuren, meist IP-Adressen, welche als nicht greifbar und schwer verfolgbar gelten. Dazu kommt, dass die Flüchtigkeit von digitalen Spuren und Beweisen, die oftmals vorhandenen direkten Bezüge ins Ausland („transborder evidence“), die zunehmende Verschlüsselung von Daten und die fehlende Vorratsdatenspeicherung in vielen Ländern die Erarbeitung und Verfolgung von Kriminalfällen erschwert.

Im Anschluss beschrieb Herr Schorr die zwei existierenden Möglichkeiten der Strafverfolgung von Cyberkriminalität. Die Erste umfasst das Verfolgen von ‚digital traces‘ – digitalen Spuren, die beispielsweise in Form von IP- oder E-Mail-Adressen hinterlassen werden. Die Herausforderung besteht hierin, dass diese leicht von Hackern durch Proxies, VPN, falsche Identitäten, End-to-end Verschlüsselung, Freemailing Services – oft über das Ausland – oder die Benutzung von Internet Cafés manipuliert oder verändert werden. Die Zweite beinhaltet die Verfolgung des bestehenden Daten- oder Geldflusses, dessen Manipulation oftmals längerer Vorbereitung bedarf und nur mit größerem Aufwand von Tätern verschleiert werden kann. Diese zweite Möglichkeit setzt den Rechtshilfebedarf voraus und beansprucht somit oftmals die strategische Partnerschaft von Staatsanwaltschaften verschiedener Länder, welches sich Herr Schorr vertiefend und erweiternd wünscht. Dieses resultierende Minimum an Ermittlungsansätzen basierend auf diesen zwei Verfolungstaktiken sowie die daraus resultierenden Schwierigkeiten bei der Strafverfolgung führte Herr Schorr vor allem auf drei Ursachen zurück: Erstens, die Tatsache, dass sich die Größe, Bedeutung und Natur des Internets massiv über die letzten Jahre verändert hat. Zweitens, dass Sicherheitstools, welche ursprünglich zum Schutz privater Daten entwickelt wurden, entsprechend effektiv von Kriminellen eingesetzt werden können. Letztens, dass der technische Standard des Internets sich unwesentlich über die letzten Jahrzehnte verändert hat; beweisgebend dafür ist vor allem der immer noch andauernde, rein IP-basierte Ansatz zur Identifizierung von Nutzern und Tätern, welchen Herr Schorr stark in Frage stellte.

Im letzten Teil seines Vortrags bot der Oberstaatsanwalt seine persönlichen Tipps zum Thema sichere Bewegung im Netz und zur zuverlässigen Verarbeitung von Daten an. So erinnerte er die Stipendiaten daran, dass jedes System, welches mit dem Internet verbunden ist, grundsätzlich kompromittiert werden kann und das mögliche Angriffsvektoren auch über andere Geräte im WLAN gegeben sind, wobei eine exzeptionelle Gefahr bei Gastnetzen besteht. Besonders betonte Herr Schorr auch die Wichtigkeit von externen Backups und die Verwendung sicherer Passwörter, deren Länge und Individualität die entscheidende Rolle spielen, sowie die Inanspruchnahme von Zwei-Faktor-Authentifizierungen. Nach Herr Schorr’s beruflichen Erfahrung bieten Virenscanner ebenfalls nur bis zu einem gewissen Grad Schutz; ein gewisser Spielraum für schwer abwendbare Angriffe würde immer bestehen. Als Beispiel realer Gefahren auf institutionellem Level erörterte Herr Schorr die 2018/2019 ASUS Supply-Chain Angriffe, welche Schadsoftware durch ein sonst standardmäßig installiertes Update-Tool auf Millionen von Rechnern herunterlud. Dieses Beispiel sah Herr Schorr als besonders aussagekräftig über die Gefahr der Cyberkriminalität an, da nicht-physische, militärische Angriffe aus dem Ausland von ähnlichen Prozessen Gebrauch machen und dadurch zum Beispiel die Fernabschaltung von öffentlicher, deutscher Infrastruktur bewirken könnten.

Während der anschließenden Diskussionsrunde war vor allem die Frage zur Vorratsdatenspeicherung beliebt, ein Thema, welches vielmals über die Dauer der Inlandsakademie von verschiedenen Perspektiven beleuchtet und diskutiert wurde. Herr Schorr nannte die Lösungsfindung zur Debatte um die Vorratsdatenspeicherung „schwierig“ und als „nicht so wichtig wie es oft dargestellt wird“. Mit dieser Aussage verband er die beiden Kernaussagen seines Vortrags auf eine komplexe und signifikante Art und Weise: Einerseits besteht ein Kleinteil an Fällen in welchen ‚echte‘ IP-Adressen (sprich: IP-Adressen, die Originalcomputern zugeordnet werden) identifiziert werden können und für welche die Vorratsdatenspeicherung einen äußerst nützlichen und gewinnbringenden Durchbruch darstellen könnte, vor allem im Bereich der Kinderpornographie. Andererseits können IT-Forensiker wenig mit veralteten oder manipulierten IP-Adressen anfangen, mit oder ohne vorhandene Vorratsdatenspeicherung – solche Verbrechen machen nach Schorr den Großteil aller cyberkriminalen Fälle aus.  

Der Bereich der Cyberkriminalität basiert also auf dem Prinzip des „Missverhältnisses von Bedeutung und Zuverlässigkeit“ – für wichtige Fälle gibt es oft wenige Spuren, Bedeutung und Zuverlässigkeit der vorhandenen forensischen und legalen Vorgänge befinden sich also im Ungleichgewicht. Andererseits sind aufklärungsfähige Maßnahmen, welche hohe Zuverlässigkeit aufweisen können, entweder nicht erhältlich oder sie helfen nur bei geringfügig wichtigen Vorfällen: erneut befinden sich Bedeutung und Zuverlässigkeit im Ungleichgewicht.

Das Fazit, welches Herr Schorr zog, ist deswegen eher betrüblich – auf die Frage, inwiefern digitale Sicherheit funktioniert, antwortete er schlicht aber überzeugt mit „eigentlich gar nicht.“

Linda Wystemp, Social Sciences, London     

 

21.06.2019

Sicherheit (auch) am Berg

Der heutige Tag stand unter dem Thema „Sicherheit am Berg“ und so sind wir ins Berchtesgadener Land gefahren und haben uns vom erfahrenen Alpinisten Kai Werner zum höchsten Wasserfall Deutschlands führen lassen. Dabei haben wir gelernt auf was im Gebirge zu achten ist. Aber von vorne:

Früher als an allen bisherigen Tagen sind wir heute schon um acht Uhr aufgebrochen. Besonders unter denen, die sich gestern Abend beim Vernetzungstreffen intensiv vernetzt hatten, war das frühe Aufstehen heute eine gewisse Herausforderung. Da war die zweieinhalbstündige Anreise von unserem Hotel in München an den Königssee eine willkommene Gelegenheit etwas Schlaf nachzuholen.

Berchtesgaden begrüßte uns mit bestem Wetter in einer atemberaubenden Berglandschaft. Eingebettet zwischen den Bergen liegt der Königssee: 511 Millionen m3 bestes Trinkwasser in schimmerndem Grün. Wir boarden eines der 19 (elektrisch angetriebenen) Touristenboote. An der Echo Wand stoppt der Kapitän die Maschinen und ein Matrose schallt mit einem Flügelhorn besagter Wand entgegen. Diese antwortet auch sogleich und wir sind verzaubert von der Idylle des Königsseeechos. Weiter geht es vorbei an Sankt Bartholomä zur finalen Haltestelle Salet. Bergführer Kai startet mit einer Sicherheitsunterweisung und betont die Wichtigkeit von festem Schuhwerk, dem Wetterbericht und ausreichend Wasser. Ein Handy mit Powerbank ist ebenfalls unerlässlich, um Hilfe zu holen falls nötig. Dann wandern wir los und Kai erzählt von seinen Touren und Erfahrungen im Himalaya und fast jedem Gipfel der Alpen. Im Dialog gibt Kai weitere Hinweise zu verantwortungsvollem Bergsteigen, Akklimatisierung und der richtigen Ausrüstung. Schnell rückt der Obersee in Sichtweite. Der ist zwar erheblich kleiner als der Köngisssee, dafür noch beeindruckender in seiner Farbgebung. Kai schaut zum Himmel und mahnt zu zügigem Schritt, weil Regen drohe, der später tatsächlich kam. Wir teilen uns in eine Gruppe, die auf der Alm einkehrt, und eine Gruppe, die sich aufmacht, zum Fuße höchsten Wasserfalls Deutschlands zu wandern, der nicht mehr weit war.

Just in time bevor der vorausgesagte Regen einsetzt, kommen wir alle wieder in Salet an, wo ein Wirtshaus uns mit Schnitzeln und isotonischen Getränken versorgt. In einer Regenpause schaffen wir es zurück auf ein Boot nach Berchtesgaden und kaum da wir auf dem See sind, setzt ein schweres Gewitter ein. Blitze schlagen in die uns umgebenden Gipfel ein und der Donner und seine Echos an den Bergwänden erschüttern manchen Touristen. Halbwegs trockenen Fußes erreichen wir dann auch den Busparkplatz wieder von wo aus wir den Weg zurück nach München beginnen. Die Erschöpfung steckt uns in den Knochen und es dauert nicht lange bis die ersten tief schlafen.

Jonas Bruns, Maschinenbau

 

20.06.2019

Militärische Sicherheit und die Rolle Deutschlands in der Welt

Unser vierter Tag der Inlandsakademie begann mit strahlendem Sonnenschein, Baulärm und einem spannenden Vortrag. Unser Referent Professor Dr. Dr. hc. Wilfried von Bredow wurde 1969 mit seiner Dissertation zum „Primat militärischen Denkens“ promoviert. Von 1972 bis 2009 hatte von Bredow die Professur für Politikwissenschaft an der Phillips-Universität in Marburg inne. Dort war ein Forschungsschwerpunkt die Rolle des Militärs in der Demokratie sowie die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik. Und auch unser Vortrag drehte sich ganz um den militärischen Aspekt der Sicherheit, denn Bredow referierte über die internationale Sicherheitsarchitektur. Unter dem Titel „Vom Ende des Ost-West-Konflikts zur geopolitischen Globalisierung der Gegenwart“ wurden wir in dieses spannende und komplexe Thema eingeführt.

Internationale Sicherheitsarchitektur – Trüber Ausblick statt liberalen Sonnenscheins

Dabei begann Bredow erstmal mit einer Reihe von Begrifflichkeiten, deren Definition man sich bewusst sein muss. So verwendete er die militärische Auffassung, welche Sicherheit als einen Schutz von organisierter Aggression von anderen Akteuren (außerhalb des eigenen Staates) auf das Staatsgebiet und die politische Ordnung definiert. Bei dieser äußeren Sicherheit ist also nicht mehr der Bürger im Mittelpunkt, sondern der Staat als Ganzes. Das Instrument zur Sicherung dieser Form der Sicherheit ist das Militär. Durch die Globalisierung befindet sich die Menschheit nun ein einem, für die Menschheitsgeschichte einmaligen, Zustand: Inzwischen kann potenziell jeder Staat in einen Krieg hineingezogen werden. Dies bedeutet, dass heute nur ein einziges internationales System besteht und das Entwicklungen, selbst wenn sie tausende Kilometer entfernt sind, Auswirkungen auf Europa und Deutschland haben.

Um uns die heutige Sicherheitsarchitektur zu erklären, begann von Bredow mit einer Beschreibung der Zuständen nach 1945. Nachdem die Alliierten Deutschland und Japan besiegt hatten versuchte man, durch die Schaffung von internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen, eine weltweite Ordnung zu etablieren. Diese wurden auch von den Werten der Freiheit, der Demokratie und Menschenrechte flankiert. Die neue Ordnung sollte nicht auf militärischer Macht aufbauen, sondern auf Ausgleich und Verhandlung. Dieses Konzept der one world, der vereinten Welt, wurde allerdings durch die unterschiedlichen Vorstellungen des Ostens und des Westens sabotiert. Es folgte ein Konflikt, der die Welt zeitweilig in zwei Lager spaltete, den marktorientieren Westen und den sozialistischen Osten. Aufbauend auf der Doktrin der Abschreckung rüsteten beide Blöcke ihr Nukleararsenal auf. Zwar versuchten die Mächte eine direkte militärische Konfrontation zu vermeiden und insbesondere diplomatische Mittel einzusetzen. Allerdings wurden in „Stellvertreterkriegen“ auch militärische Instrumente eingesetzt. So entstand eine bipolare Welt, in denen zwei „Supermächte“ sich gegenüberstanden. Erst ab den 1960er Jahren kam es zu einer langsamen Entspannung im Kalten Krieg. Langsam kam es auch zu einem Aufweichen der Bipolarität. Die Entkolonisation, der Sino-Sowjetische Konflikt und schlussendlich der Zusammenfall der UdSSR leiteten ein „neues Zeitalter“ der Sicherheitspolitik ein. Die USA waren die einzig verbliebende ‚Supermacht‘ und wähnten sich in einem „unipolaren Moment“, in denen Sie nun eine globale Ordnung nach freiheitlichen und marktwirtschaftlichen Prinzipien etablieren könnten. Der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama ging so weit, dass er „das Ende der Geschichte“ einläutete. Von nun an sollten alle Konflikte durch Ausgleich und Verträge geregelt werden. Militär wäre nur noch als peacekeeping, zur Friedenssicherung, benötigt. Und wenn es nochmal zu einem Konflikt komme, dann könnte die USA als „Supermacht“ diesen lösen.

Dass es nicht so kam, beweist ein Blick in die Gegenwart. Der Politikwissenschaftler führte mit uns einen Realitätscheck durch. Anstelle von zwischenstaatlichen Massenkriegen, wie dem Zweiten Weltkrieg, kam es zu innerstaatlichen Kriegen. Ethnische Säuberungen und illegale Kriegsführung wurden zum neuen Standard. Mit dem substaatlichen, transnationalen Terrorismus trat ein neuer Konfliktgegner auf die Bühne des asymmetrischen Krieges. Der Aufstieg der Volksrepublik China bedroht die hegemoniale Stellung der USA und auch Russland führt neue Kriege in ihren Nachbarstaaten und ehemaligen Kolonien (Tadschikistan, Georgien, Ukraine).

Was blieb, war ein trüber Ausblick auf die Zukunft. Anstatt eines Zeitalters des Friedens haben wir Krieg als den Normalfall der internationalen Politik. Der Handelskrieg zwischen China und den USA birgt immer die Gefahr einer militärischen Eskalation. Die NATO ist keinesfalls eine Wertegemeinschaft, sondern nur eine asymmetrische Interessensgemeinschaft. Auch Kriege zwischen NATO-Mitgliedern, wie der Zypern-Krieg, sind nicht ausgeschlossen. Auch die Europäische Union wurde stark kritisiert: Sie sei zu sehr von den USA abhängig, ihre eigenen Rüstungsausgaben decken den Bedarf nicht oder versickern in bodenlosen Löchern, wovon insbesondere die Bundeswehr betroffen ist. Auch die gemeinsame Europäische Armee hält von Bredow für eine utopische Idee, eher sieht er inzwischen einen Desintegrationsprozess in der EU. Besonders dieser Punkt löste eine Debatte mit uns Stipendiaten aus.

Insbesondere ein Aspekt war dem Politologen wichtig zu vermittelt. Das Handeln hat auch auf der internationalen Ebene Folgen, die vorher nicht abzuschätzen sind. Diese nicht-intendierten Konsequenzen haben aber, insbesondere auf globalem Level, schwerwiegende Folgen, die zum Tod von abertausenden Menschen führen können.

Jonas Detering – Staatswissenschaften in Passau

Europa im Streit um Intervention oder Verteidigung

Sebastian Vagt, ehemaliger Marineoffizier der Bundeswehr und nun im Europäischen Dialogprogramm der FNF in Brüssel unter anderem für Verteidigungs- und Sicherheitspolitik zuständig, lockte uns mit einer interaktiven Aufgabe durch die heißen Mittagsstunden und in die Besonderheiten der europäischen Sicherheitspolitik.

In einem Koordinatensystem, das die Verteidigungsausgaben anteilig am BIP gegen den Ausgabenzweck im Spannungsfeld von Interventionen bis Landesverteidigung abträgt, sollten wir uns einzeln mit einer kurzen Begründung verorten. Solchermaßen gegenübergestellt streuten sich die Kreuze weit über das Papier, was aber durchaus Vagts Erfahrungen aus der Zusammenarbeit mit liberalen Politikern bestärke.

Verteidigung sei für Liberale ein schwieriges Thema, da sie ein öffentliches Gut mit dem Charakter einer Versicherung darstelle. Kommt es zu keinem Konflikt, bekäme man den Eindruck, seine Investitionen verschwendet zu haben. Tritt der Konfliktfall allerdings ein, überwiegt das Kriegsleid über die Freude, investiert zu haben. Ganz im Gegensatz zu einer KfZ-Versicherung hätten Verteidigungsausgaben allerdings Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit des Schadensfalles. Ob es sich dabei um abschreckende oder erst recht bestärkende Einflüsse handele – man erinnere an die Vorträge von Dr. Hummelsheim-Doß und Prof. Dr. Heinz bezüglich innerer Sicherheit (Anm. d. Verf.) –, sei eine komplexe, beinahe spieltheoretische Entscheidung. Die europäischen Mitgliedsstaaten und ihre verschiedenen sicherheitspolitischen Anforderungen mit einem eher risikoaffinen, mutigen Liberalismus zusammenzubringen, sei eine spannende Aufgabe für die FNF als einen Think Tank des Liberalismus.

In europäischer Sicherheit befänden wir uns aktuell an einem Punkt der Resignation. In unmittelbarer Nachbarschaft lägen sogar noch mehr destabilisierte Staaten als vor etwa zwanzig Jahren. Wenn es also das Ziel war, zu stabilisieren, seien wir gescheitert. Dennoch müsse besonders eine gefährliche thematische Verbindung vermieden werden: Die Catchphrase „Fluchtursachen bekämpfen“ als Weg zur äußeren Sicherheit durch Stabilisierung dieser Staaten. Solche Maßnahmen würden kurzfristig, zum Beispiel in Libyen, eher zur Destabilisierung führen. Aber auch die tiefere Annahme, Frieden und Wohlstand dämme Migrationsbewegungen, ignoriere zentrale Erkenntnisse der Migrationsforschung: Die ärmsten Menschen fliehen nicht, dazu fehlen schlicht die Mittel. Wenn ein ärmeres Land nun zu Wohlstand komme, bedeute das tendenziell eher einen Anstieg in der Migration. Das bedeute nicht, das das nicht das Ziel sein dürfe, stelle aber ein Beispiel dar, in dem bei der aktuellen Meinung zur Intervention als sicherheitspolitische Maßnahme Europas große Missverständnisse herrschen.

Wie also sind wir dort hingekommen, fragt Vagt deshalb weiter. Die bisherige Interventionspolitik nach 1990 habe sich in einer Pendelbewegung zwischen Interaktion und Landesverteidigung abgespielt. Die Konflikte in Somalia und Ruanda bildeten die desaströsesten Ausschläge in beide Richtungen, seither versuche man mit Jugoslawien, Afghanistan, dem Irak und in Libyen einen Mittelweg zu finden. Mit Syrien sei eine neue Geisteshaltung aufgetreten, die anderen Akteuren den Vortritt lasse und nur schwer mit unerwünschten Auswirkungen dieses Machtverzichts leben könne. Dieser Verlauf zeigt: Wenn im Koordinatensystem für ein Extrem entschieden wird, muss das andere zwangsläufig vernachlässigt werden, weil die menschlichen und monetären Ressourcen beides nicht zulassen. Interessant sei dabei: Militärisch habe man in all diesen Konflikten trotzdem relativ schnell sein Ziel erreicht, nur der politische Friedensaufbau habe dann verzögert, sei schlimmstenfalls gescheitert. Seit 2009 würde dafür der Ansatz der „vernetzten Sicherheit“ vertreten: Das Militär müsse die eigentliche Sicherheit herstellen, der neue Staat dann ein Netz aus sicherheitsbildenden Maßnahmen der Bildung, Diplomatie, Polizei, Entwicklungszusammenarbeit, u. v. m. stärken.

Soweit der Status Quo. Doch wohin soll die europäische Sicherheitspolitik jetzt? Vagt argumentiert für eine größere Verantwortung Europas gegenüber den USA, weil nicht mehr sicher sei, wie lange die Vereinigten Staaten noch die Mittel und das Interesse hätten, sich vorrangig entlang europäischer Sicherheitsinteressen einzusetzen. Zudem könne die EU nur dann moralische Wege zeichnen, gehe sie diese auch selbst. Dafür bräuchten wir mehr Solidarität und mehr Verständnis füreinander, vor allem aber Effizienz, wie auch von vielen Stipendiaten in der Eingangsaufgabe geäußert. Dabei sieht Vagt vor allem Erfolgsversprechen regionaler Zusammenarbeit im Stile Belgiens und den Niederlanden als Zwischenschritt von nationaler zu europäischer Sicherheitspolitik. Dann sei nur über das Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten zu debattieren, das bereits bei Pesco ein Streitpunkt gewesen wäre. Letztlich sei vor allem eine gemeinsame Strategie erforderlich, nicht nur gemeinsames Instrument.

Am Beispiel der Krim-Annexion durch Russland entsprang eine Debatte über die Auswirkungen von Entscheidungen der EU auf ihre Außenwirkung. Sinnvolle und klare außenpolitische Positionierung zugunsten der Glaubwürdigkeit sei als eine Art politischer Damentausch nötig, Kontroversen z. B. um das Energieprojekt Nord Stream 2 seien in diesem Kontext äußerst komplex eingebunden. Eine besondere Rolle käme zuletzt auch deshalb der politischen Kommunikation zurück in die Mitgliedsstaaten und den nationalen Medien zu. Aktuell sprächen 28 Öffentlichkeiten über europäische Politik; unter den Bürgern sei überall großes Desinteresse den Feinheiten äußerer Sicherheit spürbar. Es mangele eigentlich nicht an Expertenmeinung, sondern an Partizipation in der Gesellschaft.

Aus Herrn Vagt sprachen sowohl seine Erfahrung mit verschiedenen militärischen Aufgaben als auch seinem Arbeitsfeld im europäischen liberalen Dialog. Diese Einblicke in Verbindung mit dem anschließenden Meinungs- und Gedankenspielaustausch bildeten ein hervorragendes inhaltliches Trittbrett für das anschließende Abendprogramm.

Edda Schwarzkopf, Kulturanthropologie und Kommunikationswissenschaft

Deutschlands Rolle in der Welt

Nachdem wir uns bereits den ganzen Tag mit Sicherheit im Kontext der internationalen Politik beschäftigt haben, endete der Tag mit einer hochkarätigen Podiumsdiskussion, die sich der Frage widmete, welche Rolle Deutschland heute in der Welt einnimmt. Es diskutierten der diplomatische Korrespondent der Chefredaktion des Tagesspiegels Dr. Christoph von Marschall sowie der Bundestagsabgeordnete Ulrich Lechte – ordentliches Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und Vorsitzender des Unterausschusses Vereinte Nationen, internationale Organisationen und Globalisierung. Die Veranstaltung wurde von Matthias Fischbach, dem parlamentarischen Geschäftsführer der FPD-Fraktion im Bayerischen Landtag, eröffnet. Als Altstipendiat unterstrich Fischbach die Bedeutung der Friedrich-Naumann-Stiftung für den organisierten Liberalismus. Er berichtete von seiner eigenen Teilnahme an einer Auslandsakademie während seiner Studienzeit und sicherte uns sowie der Stipendiatenschaft im Allgemeinen die Unterstützung der Landtagsfraktion zu, sollten wir gemeinsame Veranstaltungen planen.

Im Anschluss hielt von Marschall einen Impulsvortrag, in dem er die Kernthesen seines Buches Verzagtheit der deutschen Außenpolitik: Wir verstehen die Welt nicht mehr wiedergab. Von Marschall sieht Deutschlands Erfolgsmodell und -basis bedroht. Als viertstärkste Wirtschaftsmacht und Exportnation hinge Deutschland wie kaum eine andere Nation von einer funktionierenden liberalen Weltordnung ab. Diese sei allerdings durch zahlreiche Krisen in Gefahr. Als Beispiele nannte er das rückläufige Engagement der USA, die Eurokrise, die Flüchtlingskrise, populistische Bewegen sowie das Aufstreben autoritäre Strömungen in China, Russland und der Türkei.

Anstatt sich diesen Herausforderungen zu stellen und die liberale Weltordnung zu verteidigen, beschränke sich Deutschland darauf, den US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump für diese Probleme verantwortlich zu machen und als Sündenbock darzustellen. Dabei zeichnet von Marschall ein anderes Bild. Ihm zu Folge sei Trump zwar ein Problem. Allerdings mache er auch einiges richtig, z.B. in seinem konsequenten Umgang mit China sowie einer guten Wirtschaftspolitik. Daraus leitet von Marshall ab, dass nicht Trump, sondern die Europäer und insbesondere Deutschland das Problem seien. Er wirft Deutschland vor, egoistisch zu handeln und Partikularinteressen zu verfolgen, z.B. mit Bezug auf Nord Stream 2. So würde Deutschland weitere europäische Integration und Konsensbildung behindern. Dies führe dazu, dass die EU den Rückzug der USA nicht kompensieren könne und dem Recht des Stärkeren, welches wieder Einzug in die Internationale Politik genommen habe, nichts entgegenzusetzen hätte, insbesondere im Vergleich mit den anderen Großmächten dieser Welt. Ausgehend von dieser Analyse appelliert von Marshall an die deutsche Politik, die regelbasierte liberale Weltordnung konsequenter zu verteidigen und als Europa selbstständiger zu werden, z.B. durch höhere Investitionen in die gemeinsame Sicherheit. Dies müsse allerdings nicht in Konkurrenz, sondern in Zusammenarbeit mit den USA geschehen, die von Marshall weiterhin als unsere engsten Verbündeten ansieht. Koalitionen mit Russland oder China könnten die transatlantischen Beziehungen nicht ersetzen, so der Tagesspiegel Korrespondent.

In der anschließenden gemeinsamen Diskussion widersprach Lechte dem Journalisten vehement. Der Bundestagsabgeordnete bestand darauf, dass die aktuelle Sachlage differenzierter betrachtet werden müsse. So müsse z.B. die besondere Historie Deutschlands berücksichtigt werden. Ebenso dürfe das aktuelle Engagement Deutschlands nicht unterschätzt werden. Lechte führte weiter aus, dass das Problem vor allem die USA bzw. Trump seien, da dieser sich über Vereinbarungen hinwegsetze, Konventionen breche und so ein Vakuum erschaffe, dass die Europäer nicht füllen könnten.

Allerdings sieht auch Lechte einige Probleme, z.B. kritisiert er, dass sich die Deutschen lieber mit innenpolitischen Themen beschäftigten, anstatt auf die Krisenherde dieser Welt zu schauen. Auf europäischer Ebene attestiert er der Gemeinschaft Resignation. Die EU sei nicht fähig, sich in den zentralen Punkten zu einigen. Daran könnte auch deutsche Außenpolitik wenig ändern. Dem entgegnete von Marschall, dass gerade diese Schwierigkeiten die deutsche Regierung dazu motivieren sollte, mehr zu tun und besser zu werden, anstatt sich mit der Ausrede zu begnügen, dass unter den aktuellen Bedingungen nicht mehr getan werden könne. Hitzig wurde die Debatte, als es um eine gemeinsame europäische Position bezüglich der Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien ging. Während von Marschall den Widerstand der Bundesregierung nicht nachvollziehen konnte und feststellte, dass diese der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik weiter schaden würde, vertrat Lechte die Position, dass die überparteiliche Entscheidung, der auch Grüne und FDP zustimmten, auf breitem Konsens in der deutschen Bevölkerung stehe und moralisch richtig gewesen wäre. Abschließend und ebenfalls kontrovers reagierte Lechte auf die Forderung von Marschalls, dass sich Deutschland im Rahmen seiner Mitgliedschaft im UN Sicherheitsrat stärker auf die hard facts konzentrieren müsse, anstatt Themen wie Klimaschutz und Frauen in Konflikten zu thematisieren. Dem hielt Lechte entgegen, dass gerade dies die entscheidenden Themen seien, um die Konflikte von heute zu lösen.

Michael Bayer, Sicurity Risk Management in Kopenhagen

19.06.2019

Sicherheitsföderalismus, Kriminalstatistiken und ein Faktencheck der Polizei

Am dritten Tag unserer Inlandsakademie sind wir zu Gast bei Prof. Dr. Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Für die im Jahr 1957 erfolgte Gründung der Akademie am Starnberger See hatte sich u.a. die FDP Landtagsabgeordnete Hildegard Hamm-Brücher nachdrücklich eingesetzt. Durch ein vielfältiges Angebot an politischer Bildung sollte die damals noch junge Nachkriegsdemokratie gefestigt werden. Eine Idee, die uns von Friedrich Naumanns Staatsbürgerschule bekannt war. Wir sind also unterwegs auf heimischem Terrain.

Der Sicherheitsföderalismus ist besser sein Ruf

Die Politikwissenschaftlerin Prof. Münch leitete ihren Vortrag mit einer kurzen Übersicht zur vielseitigen Sicherheitsarchitektur Deutschlands, die aus Dutzenden Bundes- und Landesbehörden besteht, ein. In dieser Vielzahl erkannte sie aber nicht per se ein Problem. Im Gegenteil: Der deutsche Sicherheitsföderalismus sei besser als sein Ruf. Er müsse allzu häufig und vorschnell als Sündenbock herhalten und verdecke damit den Blick auf andere, wesentliche Probleme. Beispielsweise darauf, dass rechtsextreme Strukturen innerhalb der Sicherheitsbehörden wie der NSU und seine Unterstützer lange verdeckt geblieben sind. Ermittlungsfehler wie im Fall des Attentäters vom Berliner Breitscheidplatz stellten vor allem ein Erkenntnisproblem der zuständigen Sicherheitsbehörde. Das sei nicht dem Föderalismus anzulasten.

Eine solche vereinfachte Fehleranalyse zu Lasten des Sicherheitsföderalismus werde dennoch immer wieder verbreitet, darunter auch von der Kanzlerin und dem ehemaligen Bundesinnenminister de Maizière. Zentralisierung wirke aber nicht automatisch problemlösend. Natürlich hätten sich die Anforderungen an die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit verändert, was zum Beispiel zu einer Angleichung von Rechtsgrundlagen in den Landespolizeigesetzen führen sollte.

Der Föderalismus ist nicht perfekt. Aber es sei ein kurzsichtig, ihn – wie in der Bildungs- und Sicherheitspolitik – immer wieder vorschnell in Frage zu stellen. Denn er habe sich historisch bewährt und sei auch nicht aus der Zeit gefallen. Der Grundgedanke des Sicherheitsföderalismus, Machtmissbrauch durch Gewaltenteilung und Gewaltenhemmung zu erschweren, ist aktueller denn je. Das zeige uns ein Blick nach Ungarn, Polen und in die Vereinigten Staaten von Amerika, deren Regierungschefs allesamt daran arbeiteten, rechtsstaatliche Kontrollen auszuschalten, um ungehindert durchregieren zu können. Deswegen sollte uns die vieldeutige Maxime „le pouvoir arrête le pouvoir“ (Montesquieu) auch bei der Weiterentwicklung der deutschen Sicherheitsarchitektur immer begleiten. Ergo: Die vertikale Gewaltentrennung hat einen hohen Wert, ihre Aufgabe einen teuren Preis.

Wie sicher ist Deutschland? Faktencheck und Kriminalstatistiken

Prof. Dr. Heinz hat uns an dem Nachmittag mit dem spannenden Vortrag zu der Kriminalstatistik begleitet. In dem ging es zunächst um den Vergleich mit Medizin, dass bei einer besonderen Art der Gefährdung auch eine besondere Art der Profilaxe eingesetzt werden soll. Wie bei einer Auslandsreise in die weiten Länder eine Impfung oder eine Schulung gemacht wird, sollte man im Voraus zur Sicherheit vor Straftaten einige Präventionsmaßnamen ergreifen. Zum Beispiel mit den Änderungen in der Sozialpolitik, Wohnraumpolitik, Bildungspolitik, wird die Sicherheitsarchitektur langfristig bestärkt. Dieses Thema wurde im Laufe des Vortrags weiter beleuchtet.

Aber zunächst ging es um die Kriminalstatistiken. Welche Daten werden unter welchen Voraussetzungen erfasst? In dem Bereich der registrierten Kriminalität gibt es eine „Verdachtsstatistik“, in der eine Schätzung über die Anzahl der Anzeigen abgebildet wird. Die Häufigkeitszahlen werden pro 100.000 Einwohner angegeben, um die Kriminalität in Bezug auf den demografischen Wandel zu zeigen. Allerdings werden nicht alle Vorfälle angezeigt. So allein, wenn die Anzeigerate steigt, wird es in der polizeilichen Kriminalstatistik als Anstieg der Kriminalität erfasst, was aber nur die Verschiebung der Hell- und Dunkelziffer abbildet.

Die Kriminalität in Deutschland hat seit Jahren abgenommen, wobei in den einzelnen Delikten wie gefährliche Körperverletzung und Betrug es einen Zuwachs gab. Unter Gewaltkriminalität werden folgende Delikte erfasst: Mord und Totschlag, die in der Statistik relativ stabil sind und nicht so prävalent; Raub – rückläufig in den Zahlen; gefährliche Körperverletzung (ohne Tötungsversuch) – nimmt allerdings seit Jahren zu. Die allerschwersten Delikte haben abgenommen, so die Polizeistatistiken, wo nur die Fälle abgebildet sind, in denen es zu einer Anzeige kam. Eine andere Statistik der Verletzungsgeschehen an den Schulen ist viel „härter“, da die Lehrer verpflichtet sind jeden Vorfall zu melden. Zumindest die harten Fälle sind also seit 1993 auch rückläufig, wobei hier die Differenzierung nach Schulen nicht gemacht ist und Mobbing auch nicht erfasst ist. Die These, dass Jugendkriminalität ein sicherer Einstieg in die Kriminalität ist, wird laut Statistik nicht bestätigt. Die Verteilung nach Altersgruppen hat ihre Spitze zwischen 16 und 23 j.a., danach flacht aber die Kurve wieder ab. Die Jugendlichen testen ihre Grenzen aus. Die Jugendkriminalität geht seit 2000 zurück, wobei nur die gemeldeten Fälle erfasst sind. Wenn wir die Zahlen auf die Gesamtbevölkerung extrapolieren würden, dann kommen wir auf 5% der Jugendliche, die kriminell sind. Bei einer anonymen Befragung würde man allerdings viel höhere Zahlen bekommen, da einige Delikte, wie z.B. Schwarzfahren, sehr selten polizeilich erfasst wird.

Hier noch ein paar Facts: Die Anzeigerate zeigt uns den Unterschied bei den Tätern. Nicht deutsche Täter werden häufiger angezeigt. Die versicherungsbedingten Anzeigen nehmen stetig zu. Die Fälle der Wirtschaftskriminalität machen nur 2% im Vergleich mit anderen Eigentums- und Vermögensdelikten aus, diese 2% machen aber 46% des gesamten Schadens. Die Aufklärungsrate liegt im Durchschnitt bei 55%. Wenn nach Delikten unterschieden wird, dann sind es beim Diebstahl nur noch 7-10%.

Aus der Rückfallstatistik möchte man Schlüsse ziehen, ob unterschiedliche Prognose der Rückfälle im Verhältnis mit den Sanktionen stehen. Es zeigt sich: je härter die Sanktion, desto höher ist die Rückfallrate. Laut Prof. Heinz ist die beste Lösung zur Reduzierung der Anzahl an Straftaten, mehr in dem Bereich der Prävention zu tun. Allerdings muss man bedenken das Prävention Folgen hat. Z.B. als mehr Polizistinnen zur Anzeigeaufnahme für Vergewaltigungen geschult wurden, hatten Frauen mehr Vertrauen zu dem Prozess und es wurde mehr angezeigt. Das kann wieder aus der Polizeistatistik als Zuwachs der Kriminalität interpretiert werden, da dort nur die angezeigte Kriminalität abgebildet wird. Ob mehr Polizeipräsenz auf der Straße präventiv wirkt? Die Kriminalitätfurcht ist etwas Irrationales und basiert nicht auf dem Wissen der Statistik, sondern wird eher durch die Presse beeinflusst. Die Furch wird oft in der Politik als Mittel zur Beeinflussung von Meinungen eingesetzt, wobei man ganz genau dabei auf die Statistikzahlen schauen soll. Und wie wir heute gelernt haben: ist Statistik nicht gleich Statistik.

Wer steht für unsere Sicherheit ein?

„Wer steht für unsere Sicherheit ein?“ Die mit Spannung erwartete Diskussion dieser Leitfrage mit dem Bundesvorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) Rainer Wendt setzte den Schlusspunkt am heutigen Dienstag. Direkt zu Beginn kommentierte er den Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke durch einen mutmaßlich rechtsextremistischen Täter mit dem Verweis auf die Nützlichkeit einer möglichen Vorratsdatenspeicherung. Diese könne, so Wendt, dabei helfen, schnelle und umfassende Ermittlungen im Personenkreis des dringend Tatverdächtigen durchzuführen. Auch im Bereich der Pädokriminalität erhält das Bundeskriminalamt beispielsweise jährlich knapp 8000 Hinweise auf mögliche Täter durch ausländische Dienste, die jedoch aufgrund einer fehlenden Rechtsgrundlage nicht weiterverfolgt werden dürfen. Dieser Missstand sollte durch die Einführung der Vorratsdatenspeicherung aufgehoben werden. Hiermit war bereits der erste zu diskutierende Themenkomplex eröffnet: Möglichkeiten einer Kompetenzerweiterung für die Polizei. Aufseiten des Publikums wurde kritisch angemerkt, dass Frankreich beispielsweise eine solche Vorratsdatenspeicherung bereits besitzt, diese jedoch nicht dazu in der Lage war, Terroranschläge zu verhindern. Zusätzlich sei die Einführung einer solchen aufgrund verfassungsrechtlicher Vorgaben schlichtweg nicht in der gewünschten Form möglich. Unbeeindruckt von diesen Einwänden appellierte Herr Wendt an die Notwendigkeit einer derartigen Kompetenzerweiterung für die Polizei, weil sich die Komplexität der Welt und die Gefahrenlage durch die Existenz salafistischer Gefährder verändert habe. In diesem Zuge verwies Herr Wendt ebenfalls auf die Nützlichkeit der derzeitigen Novellierung von Landespolizeigesetzen und ging auf die besonders umstrittenen Inhalte wie Quellen-Telekommunikationsüberwachung und die Rechtsfigur „Drohende Gefahr“ ein. Auch eine Erweiterung der polizeilichen Ausrüstung durch Elektroschockpistolen hält der Vorsitzende der DPolG für durchaus sinnvoll, sofern der Gesetzgeber in diesem Bereich Handlungsbedarf sieht.

In einem zweiten Themenkomplex ging es anschließend um die allgemeine Sicherheitslage und die Kriminalitätsfurcht in Deutschland. Angesprochen auf die tendenziöse Berichterstattung seines Facebook-Auftritts, in dem die Kriminalität durch Ausländer und Deutsche mit Migrationshintergrund eine erhebliche Aufmerksamkeit erfährt, plädierte Herr Wendt an eine Versachlichung dieser Debatte. Selbstverständlich muss bei der Betrachtung der Ausländerkriminalität berücksichtigt werden, dass Alter und Geschlecht, sowie Unterbringung von beispielsweise Flüchtlingen in dicht bewohnten Heimen, erheblichen Einfluss auf kriminelles Verhalten haben. Zur weiteren Versachlichung könne man sich beispielsweise am vom BKA herausgegebenen Bundeslagebild „Kriminalität im Kontext von Zuwanderung“ orientieren. Der aus dem Publikum erhobene Vorwurf, Herr Wendt schüre mit seiner einseitigen Kommentierung in den sozialen Medien die Angst vor Ausländerkriminalität, versuchte er zu entkräften, indem er darauf verwies, dass solche Ängste ohnehin vorhanden seien.

Im abschließenden Themenkomplex „Möglichkeiten der Entlastung der Polizei“ wurden von Herrn Wendt unter anderem die Einführung der Halterhaftung bei Vergehen im Straßenverkehr sowie die Videoüberwachung in die Diskussion eingebracht. In Anbetracht neuartiger Techniken der automatisierten Überwachung sei es mittlerweile nicht mehr notwendig, dauerhaft öffentliche Plätze zu filmen, sondern lediglich bei bestimmten auffälligen Verhaltensweisen die automatische Alarmierung der Einsatzkräfte vor Ort zu veranlassen. Auch in der Rauschmittelnutzung sollte die gesetzlich verfügte Strafverfolgungspflicht überarbeitet werden, um den Zwang zur Erstellen von Anzeigen bei geringen Mengen von Cannabis abzuschaffen, die sowieso später von der Staatsanwaltschaft eingestellt werden. Eine Legalisierung des Cannabiskonsums lehnt Herr Wendt jedoch weiterhin strikt ab und verweist stattdessen auf die Wichtigkeit der Aufklärung im Bereich des Drogenmissbrauchs durch Jugendliche.

 

Liubov Krant, Pharmaziestudentin

 

18.06.2019 

Grundrecht auf Sicherheit?

Der zweite Tag der Inlandsakademie begann mit einem Vortrag von Prof. Dr. Josef Lindner zum Thema „Sicherheit – ein „Super-Grundrecht?“. Prof. Dr. Josef Lindner unterrichtet Öffentliches Recht, Medizinrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Augsburg und hat uns die verfassungsrechtliche Perspektive auf das Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit dargelegt. Mit dem Thema beschäftige er sich seit ungefähr 30 Jahren.

Asymmetrien in der Sicherheitspolitik oder: das Paradox der Freiheit

Zu Beginn erläuterte Lindner die Asymmetrien in der Sicherheitspolitik. Darunter verstehe man zwei wesentliche Probleme: Einmal die materielle, rechtliche und finanzielle Überlegenheit, den Angreifer (z.B. Hacker) gegenüber der Verteidigung, dem Staat, haben. Auf der anderen Seite gäbe es den Wettlauf zwischen dem Gesetzgeber, dem Parlament, und dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Der Gesetzgeber erteile Eingriffsbefugnisse an die Exekutive zur Gewährleistung der Sicherheit (z.B. Handydurchsuchungen). Das BVerfG setze diesen Befugnissen wiederum Grenzen. Der Höhepunkt in diesem Wettlauf wurde mit dem Gesetz über das Bundeskriminalamt erreicht. In dem wurde beschlossen, dass inländische Behörden Daten an ausländische Sicherheitsbehörden übermitteln sollten. Das BVerfG entschied diesbezüglich: Es dürfe nur übermittelt werden, wenn ähnliche Standards in den zu übermittelnden Ländern gelten. Dies wurde öffentlich dann auch als Datenschutzimperialismus bezeichnet, zumal einige Anschläge in Deutschland vor allem durch die Informationen ausländischer Sicherheitsbehörden verhindert worden seien. Deutschland nehme sich in diesem Zusammenhang die Rolle eines Trittbrettfahrers heraus.

Zusätzlich zu diesen Asymmetrien kommt, dass Freiheit immer Gefahren mit sich bringe. Dieses Phänomen nannte Lindner das „Paradox der Freiheit“. Man könne die Freiheit nur langfristig auch durch Freiheitsbeschränkung sichern. Das erklärte er mit der Parabel von der „Ratte in der Bildsäule“: In einer Bildsäule befinden sich Ratten, die diese von innen zerstören würden. Maßnahmen zur Bekämpfung der Ratten würden aber auch wiederum die Bildsäule beschädigen. Das Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit könne damit gut beschrieben werden. Unter einem Eingriff verstehe man die Einschränkung der Freiheit aller, um diejenigen zu bekämpfen, die diese Freiheit missbrauchen (Ratten).

Wie kann man nun dieses Spannungsfeld auflösen? Zunächst einmal ist anzumerken, dass es kein „Grundrecht auf Sicherheit“ gibt. Sicherheit sei im verfassungsrechtlichen Sinne viel mehr eine der Schutzpflichten des Staates: der Schutz der Grundrechte durch den Staat. Sicherheit sei also eine Staatsaufgabe. Der Staat darf (Freiheits-)Grundrechte einschränken, um Sicherheit zu gewährleisten. Dies geschieht jedoch immer unter dem Verhältnismäßigkeitsgebot. Was ist jedoch in diesem Zusammenhang verhältnismäßig? Hier ergebe sich ein Wertungsproblem mit viel Interpretationsspielraum. Anschließend legte Linder dar, wie man im Einzelfall entscheiden könne, welches der Rechtsgüter Vorrang hat. Da das Grundgesetz dazu keine eindeutige Antwort findet, betrachten wir andere Bereiche der Rechtslehre: Die Staatsphilosophie, das transzendentale Interesse und das Gebot der praktischen Konkordanz. Zunächst erläuterte Lindner, dass man auch aus der Staatsphilosophie keinen eindeutigen Vorrang ableiten kann. Das transzendentale Interesse, also die „Bedingung einer Möglichkeit“ (Kant) (z. B. körperliche Unversehrtheit, um andere Interessen zu ermöglichen) gibt keine Vorfahrtsregel.

Zuletzt gibt es noch die Möglichkeit der praktischen Konkordanz, welche zwischen den beiden Rechtsgütern abwägt „Das Pendel schlägt also entweder in die Richtung „Freiheit“ oder die Richtung „Sicherheit“ aus“, so Lindner. Er nannte als Beispiel für eine solche Abwägung, dass Daten aus persönlichen Kernbereichen nicht verarbeitet werden dürften. Wie sieht nun die Umsetzung in der Praxis aus? Das Parlament soll nun das Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit durch die Gesetzgebung auflösen. Das BVerfG wiederum kassiert die Entscheidungen des Gesetzgebers, wenn der Gesetzgeber nach eigener Beurteilung über das „Ziel hinausgeschossen ist“. In der anschließenden Diskussion mit den Stipendiaten kam vor allem aktuelle sicherheitspolitische Themen wie die Vorratsdatenspeicherung zur Sprache. Laut Lindner sei hierbei nicht das Ansammeln von Daten, sondern die Verarbeitung von Daten problematisch, wie z. B. das Anlegen von Bewegungsprofilen. Laut Lindner sei die Handyüberwachung ein deutlich stärkerer Eingriff in die Freiheitsrechte als die Vorratsdatenspeicherung. Auch die Evidenzprüfung kam noch einmal zur Sprache, in der das BVerfG schaut, ob etwaige Fehlgewichtungen vorliegen.

Das Grundgesetz als Hüter der Freiheit

Gerade die politikweisenden Urteile des Bundesverfassungsgerichts (BVG) sind im Gegensatz zu Herrn Linder für Frau Leutheusser-Schnarrenberger ein Zeichen, dass das BVG seiner Aufgabe als Wächter und Hüter des Grundgesetzes nachkommt. Das BVG sichert die Freiheitsrechte des Individuums gegen zu starke Eingriffe im Namen der Sicherheit durch den Gesetzgeber. Denn anderes als Herr Lindner sieht Frau Leutheusser-Schnarrenberger das Grundgesetz ganz klar als Freiheitsverfassung für den Einzelnen. Die Bewahrung dieser Freiheitsrechte ist für sie permanent in Gefahr. Die Politik schießt immer wieder über das Ziel hinaus und versucht immer wieder bestehende Rechte im Namen der Sicherheit einzuschränken. Ein Beispiel hier ist die Vorratsdatenspeicherung. Diese ist besonders problematisch, weil Daten anlasslos und ohne kausalen Zusammenhang zu potentiellen Straftaten gespeichert werden sollten. Nach einem ersten Urteil des BVG in welchem das Gesetz als verfassungswidrig aufgehoben wurde, versuchte die Politik wieder ein Gesetz, welches auf anlasslose Vorratsdatenspeicherung abzielte, jedoch einen kürzeren Speicherzeitraum vorsah durchzubringen. Frau Leutheusser-Schnarrenberger merkte an, dass dieses Vorgehen das Vertrauen in die Grundrechte schwächt und zeigt, dass die Politik versucht Schranken des Grundgesetztes zu umgehen, anstatt Freiheitsrechte zu achten.

Einen Deckel der Sicherheit gibt es nicht und vor dem Hintergrund neuer Techniken und Angriffsmöglichkeiten auf unsere Freiheit darf die Gefahr einer stetig wachsenden Sicherheitsspirale nicht unterschätzt werden. Vor allem die Privatsphäre dürfe man nicht im Namen der Sicherheit aufopfern. Zu glauben, man habe nichts zu verbergen und deswegen als gläserner Bürger nichts zu verlieren, sei naiv und blauäugig. Frau Leutheusser-Schnarrenberger betonte die Bedeutsamkeit des Rechtes sein privatestes verbergen zu können, auch um zu entscheiden, wie man in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Auch betonte sie die Unabdingbarkeit eines sicheren Raumes, in welchem man seine Ideen und Gedanken äußern, verwerfen und korrigieren kann. Hier ist besonders die in Artikel 13 des Grundgesetztes gesicherte Unverletzlichkeit der Wohnung und die Unverwertbarkeit von Daten zu Inhalten des privaten Lebens relevant. Diese Privatsphäre muss gesetzlich geschützt werden und wenn der Gesetzgeber diesen Schutz nicht mehr gewährleisten will, dann muss das BVG einspringen. Auch wenn Individuen immer mehr Informationen über sich freiwillig teilen, sei es in sozialen Medien oder durch die Nutzung von Siri oder Alexa, rechtfertigt dies für Frau Leutheusser-Schnarrenberger keinen unverhältnismäßigen Eingriff des Staates in die Privatsphäre seiner Bürger. Man habe ihr einmal Alexa geschenkt, sie habe das als Beleidigung empfunden.

Sicherheit ist eines der Kernthemen der aktuellen politischen Debatte und so wird auch die Angst vor mangelnder Sicherheit der Bürger in Deutschland oft für politische Zwecke instrumentalisiert. Nun ist in den vergangenen Jahren die Kriminalitätsfurcht in der Bevölkerung stetig gestiegen, obwohl die tatsächliche Anzahl der Straftaten nicht zugenommen hat. Tatsächlich ist das Sicherheitsniveau in Deutschland nach wie vor auf einem historisch hohen Stand. Betroffene schränkt diese Angst aber dennoch  klar in ihrem Alltag ein, indem sie sich beispielsweise abends nicht mehr allein auf die Straße trauen oder Weihnachtsmärkte aus Angst vor Terroranschlägen meiden. Worin liegt diese Entwicklung begründet und was sind Mittel gegen die Ängste in der Bevölkerung?

Die politische Instrumentalisierung der Angst

Zur Beantwortung dieser Fragen hatten wir nach der Mittagspause Dr. Dina Hummelsheim-Doß vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht zu Gast, die für uns die gefühlte Sicherheit in Deutschland und Europa schilderte. Eine wichtige Kernaussage des Vortrags war, dass es eine klare Diskrepanz zwischen Kriminalitätsrisiken und der gefühlten, subjektiv wahrgenommenen Sicherheit gebe. Zudem lasse sich die Angst vor Kriminalität im Allgemeinen nicht nur durch tatsächliche Bedrohungen erklären, sondern habe noch viele andere individuelle und gesellschaftliche Ursachen.

Zu nennen seien hier zunächst einmal die direkte oder indirekte persönliche Erfahrung mit Verbrechen, die Ängste verursachen können und so auch das Fühlen und Verhalten Betroffener beeinflussen können. Andere sehen sich als physisch verhältnismäßig schwach an und dadurch von besonders schweren Folgen durch Gewalttaten bedroht oder fürchten, ihre gesamte Existenzgrundlage durch Einbrüche oder Raubüberfälle zu verlieren. Diese Vulnerabilität, oder auch Verletzbarkeit, könne etwa als Erklärungsversuch dafür dienen, dass Frauen in Umfragen angeben, sich viel mehr vor Kriminalität zu fürchten oder dass ärmere Menschen größere Angst vor Einbrüchen haben.

Für ein Wohlbefinden und Sicherheitsgefühl in der eigenen Wohngegend sei es zudem sehr entscheidend, dass diese den Eindruck eines funktionierenden, wertewahrenden Umfelds verschafft. Je nach persönlicher Wahrnehmung könne etwa der Konsum und Handel von Drogen, Graffitis an den Hauswänden oder vermüllte Parks ein Bild von einem rechtslosen Raum erzeugen, das dann zu gesteigerter Angst vor Kriminalität und fehlender staatlicher Ordnung führe. Dem könne laut der Referentin schon durch einfache Mittel wie dem Beseitigen von Graffitis nachgekommen werden.  Durch einen sachlicheren Umgang mit Gefahren würden zudem bestehende Ängste nicht weiter geschürt werden. Hier können aber gerade im Zeitalter von Social Media und Fake News Probleme gesehen werden, da bestehende Bedenken viel leichter bestärkt werden können.

Die Gesamtheit dieser Faktoren zeige auch, dass Kriminalitätsfurcht durchaus sozial und räumlich sehr ungleich verteilt sein kann. Die Statistiken zeigen vor allem eine klare geschlechtliche Diskrepanz in der Wahrnehmung von Kriminalität, wobei Frauen deutlich größere Furcht angeben als Männer. Ein klarer Trend zeigt sich auch in der Entwicklung von 2012 bis 2017, in der die Angst im Allgemeinen in allen Bereichen angewachsen ist. Hierbei haben vermutlich die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre eine große Rolle gespielt. Zur Beantwortung der Frage nach Mitteln zur Bekämpfung der Furcht stellte uns Frau Dr. Hummelsheim-Doß eine Analyse der Befragung in verschiedenen europäischen Ländern vor, wobei vor allem die skandinavischen Länder, Slowenien und die Schweiz als wenig betroffen von der Kriminalitätsfurcht herausstachen. Erklärt werden können diese Unterschiede laut Dr. Hummelsheim-Doß vor allem durch staatliche Ausgaben für Bildung und Kinderbetreuung. Die Bewältigung des Problems der Angst vor Kriminalität müsse also vor allem durch sozialpolitische Änderungen angegangen werden und ist weniger in konkreten Bedrohungen begründet. Das Sicherheitsgefühl ist von großer Bedeutung für die Lebensqualität des Einzelnen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt und muss deswegen klar thematisiert werden.

 

Maximilian von Poser und Groß Naedlitz, VWL in Mannheim, Zoë van Doren, Legal and Political Theory in London, und Anton Stall, Physik

17.06.2019

Sicherheit: Eine historisch-politische Begriffseinordnung

Nachdem vor ein paar Monaten das Thema der diesjährigen Inlandsakademie veröffentlicht wurde, trafen heute die Teilnehmer mit unterschiedlichen Erwartungen und Einstellungen zum Thema Freiheit und Sicherheit in München ein, aber alle mit einer großen Vorfreude auf die kommenden Tage. Diese werden bestimmt mit unzähligen guten Gesprächen, spannenden Unterhaltungen und Diskussionen, sowie mit prominenten Gastrednern gefüllt sein und wir können uns sehr auf die kommenden Themengebiete freuen.

Zu Beginn sollte allerdings der Begriff der Sicherheit in seinen historisch-politischen Kontext eingeordnet werden und dies übernahm kein anderer als Herr Dr. von Kieseritzky ganz persönlich und wir durften mal wieder an seinem großartigen Wissensschatz im Bereich der Historie teilhaben.

Um das Thema der Sicherheit greifbarer werden zu lassen, beschäftigten wir uns in einem interaktiven Warm-up mit dem Thema der persönlichen Unsicherheiten, welche von Wirtschafts- und Klimakrise bis hin zu Einsamkeit, Krankheit und Krieg umfassend aufgegriffen wurden. Daraufhin eröffnete Dr. von Kieseritzky mit einem Zitat zur Einordnung des Begriffs der Unsicherheit aus dem Freiraum Magazin „Risiko“ seinen Vortrag, denn „nur das Abenteuer und die Ungewissheit machen den Menschen wirklich frei.“ Ob diese Haltung auch das goldene Zeitalter der Sicherheit geprägt hat, ist zu bezweifeln, aber immerhin hatte Sicherheit dort den Stellenwert eines Lebensideals, welches mit einem großen Maße an Optimismus einen wichtigen Aspekt in Stefan Zweigs „Die Erinnerungen eines Europäers“ Einzug erhielt, bevor sie durch den Ausbruch des ersten Weltkrieges zu Nichte gemacht wurden.

Relativ zügig konnte Sicherheit als ein soziales Konstrukt eingeordnet werden, welches weder wahrhaftig noch real, sondern immer eine subjektive Einschätzung ist und einem relativem Wertmaß unterliegt. Doch gerade dabei gilt es zu beleuchten, was mit positiver oder negativer Sicherheit assoziiert wird – denn anhand des Wandfreskos im Rathaus von Siena zeigt die engelsgleiche Abbildung der Sicherheit in Form der Securitas nur ein Abbild der Personifikation von Recht und Gerechtigkeit, welche für das Schaffen von Sicherheit zuständig ist und greift damit zum ersten Mal auch den Staat als regelndes und rechtsprechendes Organ für die Zuständigkeit von Sicherheit auf. Geht man noch ein Stück in der Geschichte zurück, so umfasst das Thema Sicherheit sogar die Komponente der Sorglosigkeit, welche aus liberaler Perspektive mit Fürsorge verbunden ist und deshalb eine zu gering ausgeprägte Risikobereitschaft mit sich bringt kritisch hinterfragt werden muss. Doch auch die potentielle Glaubenssicherheit vor Luthers Reformation ist keineswegs eine Anzustrebende, denn auch in ihr finden sich trügerische Sicherheitsversprechen.

Deshalb befürwortet die liberale Perspektive genau die Idee der Securitas, welche eine Instanz, eine staatliche Ordnung zur Gewährleistung der Sicherheit schafft und mit ihr ein Vertrauen in die Rechtssicherheit aufbaut. Jedoch stellt sich auch hier die Frage, inwiefern Individuen in diesem Rechtsmonopol das Thema Freiheit ausleben können. An dieser Stelle war das Bild von Thomas Hobbs sehr prägend, welches der gottgleichen Darstellung des Staates eine sterbliche Silhouette bestehend aus vielen gerichteten Menschen gegeben hat. Seine Machtlegitimation ist also nur durch seine Mitglieder zu begründen und seine einzige Aufgabe als Souverän für die Sicherheit des Volkes zu sorgen. Dabei umfasst der Begriff der Sicherheit auch Aspekte wie Stabilität, Schutz aber auch Prävention oder, um es mit Willy Brandts Worten zu sagen, es umfasst auch Geborgenheit, denn nur durch kontinuierlichen Wandel von Verhältnissen, kann Sicherheitgewährleistet werden.

 

Hanna Wingberg, Masterstudiengang International Management.