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Sterbehilfe
Die Freiheit hört bei Ärzten nicht auf

Hilfe zur Selbsttötung darf jeder leisten, egal ob Angehöriger, Freund oder eben Arzt, meint Katrin Helling-Plahr MdB.
Ein Arzt hält die Hände einer Patientin
Ein Arzt hält die Hände einer Patientin

Bis vor Kurzem war die geschäftsmäßige Hilfe zur Selbsttötung noch strafbar. Danach sollte bestraft werden, wer geschäftsmäßig bei einer Selbsttötung eines anderen hilft oder diese unterstützt, ohne die Tötungshandlung selbst aktiv vorzunehmen. Von der Strafbarkeit waren nur Angehörige und dem Suizidenten nahestehende Personen ausgenommen. Im Gesetzgebungsprozess wurde insbesondere das Tatbestandsmerkmal der Geschäftsmäßigkeit kritisiert. Diese sollte bereits mit der ersten Hilfeleistung zu einem Suizid verwirklicht sein, wenn der Hilfeleistende mit dem Vorsatz handelte, dies in einem gleich gelagerten Fall ein weiteres Mal zu tun. Ebenso wurde kritisiert, dass kein Ausnahmetatbestand für ärztlich begleitete Suizidhilfe implementiert wurde.

Die Strafbarkeit führte dazu, dass sich Menschen, die freiverantwortlich sterben wollten, keiner Hilfeleistung mehr sicher sein konnten. Sie wurden mit ihrem Sterbewunsch alleine gelassen. Für viele Menschen, insbesondere auch jene, die ihre Angehörigen nicht mit der Bitte einer Hilfeleistung belasten wollten, war der Gang ins Ausland unumgänglich und somit der letzte Ausweg. Dass das nicht geht, stellte das Bundesverfassungsgericht diesen Februar fest und erklärte die Strafnorm (§ 217 StGB) für verfassungswidrig. Ein wegweisendes Urteil, das in seiner so weit gehenden Liberalität von niemanden erwartet wurde. Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass es einen gegen die Autonomie gerichteten Lebensschutz, der durch § 217 StGB garantiert werden sollte, nicht geben darf. Das Urteil der Karlsruher Richter hat ungerechtfertigt eingeschränkte Freiheit zurückgebracht. Seitdem besteht wieder die Situation wie vor der Einführung des § 217 StGB. Die Hilfe zur Selbsttötung ist straflos möglich.

Trotz des Urteils bestehen weiterhin faktische Hürden, sodass sich die Menschen mit Sterbewunsch immer noch nicht sicher sein können, Hilfe zu erhalten. Die schwerwiegendste faktische Hürde ist das Verbot der ärztlichen Suizidhilfe durch die Berufsordnungen der Ärzte. Das Verbot in § 16 S. 3 der Muster-Berufsordnung der Bundesärztekammer ist zwar rechtlich nicht bindend, hat aber enorme Signalwirkung. 10 Landesärztekammern sind dem Verbotsvorschlag gefolgt, ausweislich zwei Landesberufsordnungen sollen Ärzte keine Suizidhilfe leisten und nur fünf Landesberufsordnungen enthalten sich einer eindeutigen Vorgabe. Ärztliche Suizidassistenz hängt letztlich von zwei Faktoren ab: zum einen vom Wohnort und der korrespondierenden landesrechtlichen Regelung, zum anderen von der Bereitschaft des Arztes, sich gegebenenfalls auch über ein berufsrechtliches Verbot hinwegzusetzen.

Dass dieser Flickenteppich nicht in Kongruenz mit den liberalen Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts zu bringen ist, ist offensichtlich. Deshalb ist es wichtig und richtig, dass die verfasste Ärzteschaft handeln will und angekündigt hat, über eine Änderung des Berufsrechts zu diskutieren. In dieser Diskussion sollten folgende Dinge berücksichtigt werden: Erstens besteht innerhalb der Ärzteschaft kein einheitliches Selbstverständnis hinsichtlich des Umgangs mit Suizidhilfe und im Einzelfall wird diese doch geleistet. Zweitens kann die Sterbebegleitung nicht künstlich aufgespalten werden. Das derzeitige berufsrechtliche Verbot erzwingt eine Unterscheidung zwischen zulässiger Sterbebegleitung, bis hin zu palliativmedizinischen Maßnahmen, die auch bis zum Tode führen, und unzulässiger Sterbebegleitung durch die Verschreibung eines Medikaments zur Selbsttötung und der Begleitung des Suizidenten dabei. Drittens kann nach meinem Verständnis zu dem Beistand, den Ärzte Sterbenden leisten, auch die Begleitung in den Tod gehören und viertens sollte diskussionsleitend sein, wie wir dem ernstlichen und dauerhaften Wunsch von Menschen, ihrem Leben selbst bestimmt ein Ende zu setzen mit Respekt und ohne staatliche Bevormundung begegnen.

Ich möchte nicht falsch verstanden werden: Selbstverständlich habe ich größten Respekt vor Ärzten, die aus Gewissensgründen keine Suizidhilfe leisten möchten. Gleichen Respekt habe ich aber auch vor Ärzten, die bereit sind, Menschen in ihrem selbst bestimmten Sterbewunsch zu begleiten. Deshalb sollte sich das Berufsrecht wie auch jede andere Neuregelung des Sterbehilferechts nur an den Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts orientieren und nicht an anderen handlungsleitenden Nebenmotiven. Denn Hilfe zur Selbsttötung darf jeder leisten, egal ob Angehöriger, Freund oder eben Arzt."