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Steiniger Weg zur stabilen Regierung

In Tschechien ist die politische Lage weiterhin unübersichtlich
Karlsbrücke Prag
Es ist ein steiniger Weg bis zur stabilen Regierung in Tschechien. © CC BY-SA 2.0 flickr.com/ Anton Bielousov

Wahlsieger sein ist schwer – zumindest in Tschechien. Das muss gerade Andrej Babiš erfahren, dessen Partei ANO bei den Parlamentswahlen Ende Oktober mit Abstand die stärkste Partei wurde. Babiš ist zwar inzwischen zum Ministerpräsidenten einer Minderheitsregierung ernannt, aber die Bildung einer stabilen Regierung mit Durchsetzungskraft steht noch aus. Viele Feinde, einige falsche Freunde und ein unberechenbarer Präsident im Wahlkampfmodus machen die Sache nicht leicht.

Ohne Andrej Babiš geht in Tschechiens Politik nichts mehr. Bei den Wahlen erreichte seine ANO-Partei mit rund 30 Prozent fast dreimal so viele Stimmen wir die nächststärkste Partei, die konservative ODS.

Es rächt sich jetzt, dass der Wahlkampf fast ausschließlich von wechselseitigen persönlichen Attacken und nicht von inhaltlicher Auseinandersetzung geprägt war. Babiš, der oft als Populist bezeichnet wurde, teilte hart gegen die „politische Klasse“ und das „Establishment“ aus. Seine Gegner ersetzten meist jedwede politische Positionierung durch das Diktum, Babiš müsse verhindert werden. Zudem läuft gegen den Milliardär und Medienunternehmer ein Verfahren wegen Subventionsbetrugs, das für ihn noch nicht ausgestanden ist, und gerade bei einem früheren Finanzminister nicht gerade für gute Presse sorgt.

Kurzum: Nicht nur seine Koalitionspartner aus der vorherigen Regierung (Sozialdemokraten und Christdemokraten) weigern sich, als Juniorpartner mit ihm zu regieren. Auch alle anderen Parteien, die dies rechnerisch könnten, gaben Babiš eine Abfuhr – bis auf zwei, die sich durchaus vorstellen können, ihn in irgendeiner Weise zu unterstützen. Das sind ausgerechnet die beiden Extremparteien, die rechtsradikale SPD und die Kommunisten.

Der Präsident am Zuge

Was nun? Gehandelt hat am 5. Dezember zunächst einmal Präsident Miloš Zeman. Er befindet sich zurzeit im Wahlkampfmodus, denn am 18. Januar soll das Volk einen neuen (oder alten) Präsidenten wählen. Nicht wenige Kommentatoren denken, dass Zeman darauf spekuliert, ein Wohlverhalten gegenüber Babiš könne ihm Stimmen aus der großen ANO-Wählerschaft zutragen. Die Unterstützungsbereitschaft des umstrittenen und zu populistischer Putin-Verehrung neigenden Präsidenten ging sogar so weit, dass er andeutete, auch eine Koalition von ANO mit Rechtsradikalen und Kommunisten zu ernennen, falls sie zustande käme. Ja, er hat sie Babiš sogar nahegelegt.

Darauf hat sich Babiš allerdings nicht eingelassen. Und so hat Zeman ihn zunächst einmal mit der Bildung einer Minderheitsregierung beauftragt. Die ANO-Partei befindet sich damit in einer Zwickmühle.

Denn, erstens, ist Babiš trotz seines manchmal populistischen Auftretens kein Ideologe, sondern eher ein technokratischer Pragmatiker, der vor allem einen effizienten Staat verspricht, der „wie ein Unternehmen geführt“ werden soll. Seine Partei gehört der liberalen europäischen Parteienfamilie an. Aber er braucht, zweitens, selbst für den alltäglichen politischen Parlamentsbetrieb Unterstützung, die er aber nur von den extremen Rändern links und rechts bekommt. Das zeigte sich bereits bei der nach der Wahl unumgänglichen Besetzung der Parlamentsausschüsse. Hier wählten Kommunisten und Rechtsradikale konsequent die ANO-Kandidaten als Ausschussvorsitzende mit. Gleichzeitig bekamen sie (mit ANO-Unterstützung) einen Anteil an Vorsitzpositionen, der ihren vergleichsweise geringen Stimmenanteil bei der Wahl übertraf. Die zweitstärkste Partei, ODS, die sich stark gegen Babiš positioniert hatte, ging (entgegen dem Usus) leer aus. Babiš bestreitet eine Absprache zwischen ANO und den Extremparteien, obwohl das Ganze klar nach einem informellen Unterstützungspakt aussieht.

Auch deshalb reiben sich viele Gegner daran, dass er nunmehr die Besteuerung der Entschädigungszahlungen des tschechischen Staates an die katholische Kirche für die unrechtmäßigen Enteignungen in der Zeit des Kommunismus unterstützt – eine Forderung, die bisher eigentlich nur die Kommunisten vehement vertreten hatten. Eine Konzession an die Kommunisten? Am schlimmsten stößt jedoch die Benennung von Radek Koten von den Rechtsradikalen zum Vorsitzenden des hochsensiblen Sicherheitsausschusses auf – ein strammer Putinist, der an eine Weltverschwörung der Illuminaten und Amerikaner glaubt und Tschechien außerhalb von EU und NATO sehen möchte.

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Pro-europäisches Kabinett

Mit dieser bedenklichen Personalentscheidung kontrastiert jedoch die eigentliche Regierungsbildung deutlich. Hier setzt Babiš auf vertrauensbildende Maßnahmen – insbesondere in Richtung EU. Auch wenn einige wenige Personalien problematisch sein könnten (etwa Innenminister Lubomír Metnar, der Zeman nahesteht und eher euroskeptisch orientiert ist), so sind zumindest die außenpolitisch relevanten Besetzungen klare Signale, dass man den bisherigen Kurs zunächst nicht in Frage stellen will. Viele Befürchtungen, die man deutschen Medien nach der Wahl entnehmen konnte, scheinen sich zumindest im Augenblick nicht zu bewahrheiten.

Babiš setzt bei seinem Kabinett auf altbewährte Kräfte. Die fünf bisherigen ANO-Minister sind weiter im Kabinett vertreten, darunter der bisherige Verteidigungsminister Martin Stropnický, nun als Außenminister. Stropnický gilt als konsequenter Befürworter der EU und der Westbindung und sieht in Putins Russland die politische Hauptgefahr für das Land – eine Besetzung, die zunächst einmal aufatmen lässt. Ein Kurs à la Orbán oder Kaczyński ist von ihm kaum zu erwarten. Sein „Härtetest“ könnte aber bald kommen, wenn die EU gegen Polen das Verfahren wegen Verletzung der Grundwerte der Europäischen Union einleitet. Es wird durchaus für möglich gehalten, dass Tschechien hier gegen Polen stimmen wird – trotz der Differenzen mit der EU-Regelung zu den Flüchtlingsquoten. Die restlichen neun Minister im Kabinett sind allesamt Parteiunabhängige. Und viele Vorhaben der Regierung, darunter die Vereinfachung des Steuersystems und die Einführung der Online-Steuererklärung, nehmen sich recht liberal aus.

Das Parlament ist gefragt

Die Frage ist, ob sich diese Politik durchsetzen lassen wird, und wie lange die Minderheitsregierung durchhält. Die Unterstützung des Präsidenten reicht dazu alleine nicht aus. Anfang Januar muss Babiš das erste Mal im Parlament die Vertrauensfrage stellen. Sollte er das Vertrauen nicht ausgesprochen bekommen, darf der Präsident ihn (oder jemand anders) zum zweiten Mal ernennen. Wann er das tut, liegt weitgehend in seinem Ermessen, da er hier eine starke Machtposition hat.

Während dieser Frist amtiert die Minderheitsregierung weiter. Wenn auch die zweite Vertrauensabstimmung erfolglos bleibt, wiederholt sich das Verfahren. Für die dritte Abstimmung erfolgt aber der Vorschlag nicht mehr durch den Präsidenten, sondern durch den Parlamentspräsidenten. Da er ebenfalls ein ANO-Mitglied ist liegt die Vermutung nahe, dass auch er Babiš benennen würde. Gelingt es dem neuen Ministerpräsidenten auch beim dritten Anlauf nicht, das Vertrauen des Parlamentes zu gewinnen, gibt es Neuwahlen.

Babiš kann sich also mit Hilfe des Präsidenten einige Zeit im Amt halten, aber am Ende zählt doch die parlamentarische Unterstützung. Die ist zurzeit schwer zu bekommen. Rechtsradikale und Kommunisten werden eine dauerhafte Unterstützung mit Sicherheit an harte Bedingungen knüpfen. Der Vorsitzende der Rechtsradikalen, Okamura, machte sie bereits von einer Kabinettsbeteiligung seiner Partei abhängig. Die Kommunisten blieben bislang etwas zurückhaltender. Aber wie lange noch? Nicht nur gegenüber Diplomaten hat Babiš betont, dass er ein derartiges Zusammengehen insbesondere mit den Rechtsradikalen, trotz punktueller Übereinstimmung in Sachen Flüchtlingspolitik, ablehne. Und selbst wenn dem nicht so wäre, könnte die Präsidentschaftswahl zu neuer Unsicherheit führen, falls etwa der Amtsinhaber Zeman im Januar abgewählt wird. Etliche seiner Gegenkandidaten haben betont, dass sie niemals einen Regierungschef unterstützen würden, der in irgendeiner Form mit Kommunisten oder Rechtsradikalen regieren will. So oder so: Diese Option ist in der gegenwärtigen Lage kaum mehr wahrscheinlich.

Taktische Optionen?

Als gewiefter Taktiker hat Babiš immerhin noch einige andere heiße Eisen im Feuer. Auffallend bei den Ausschusswahlen war nämlich auch die unerwartete Stärke der Piraten, die den eigentlich der ODS zustehenden Anteil bei den Vorsitzendenpositionen bekamen. Die Piraten standen bisher bei den Auseinandersetzungen zwischen Babiš und den „etablierten Parteien“ weitgehend abseits. Es könnte sein, dass Babiš sie derzeit aus diesem Grund hofiert. Einer parlamentarischen Mehrheit (die dann nur noch weniger „Abtrünniger“ in anderen Parteien bedürfte) wäre er damit nähergekommen. Ob diese Rechnung aufgeht, ist äußerst zweifelhaft, denn bisher sind die Piraten nicht auf dieses Spiel eingegangen. Möglich wäre auch, dass seine früheren Koalitionspartner in ein Bündnis mit ihm einsteigen, aber nur, wenn die anstehenden Korruptionsverfahren eindeutig zu seinen Gunsten ausgehen und im Freispruch enden. Ob dies geschehen bzw. zeitig geschehen wird, ist unvorhersehbar.

Sollte all das nicht klappen, sind Neuwahlen unvermeidlich. Allerdings muss sich von allen Parteien, sowohl was die Umfragewerte, als auch die finanzielle Ausstattung angeht, ANO am wenigsten vor einer Neuwahl fürchten. ANO könnte sogar gestärkt daraus hervorgehen, denn einer der Gründe für die schwierige Regierungsbildung ist die Zersplitterung des Parteiensystems. Trotz einer 5-Prozent-Hürde tummeln sich neun Parteien im Parlament. Einige der kleineren Parteien könnten bei Neuwahlen um ihre parlamentarische Existenz gebracht werden, was am Ende die Mehrheitsfindung für die stärkste Partei leichter machen würde.

Fazit: Wer lamentiert, dass zurzeit in Deutschland eine schwierige Regierungsbildung stattfinde, der sollte sich einmal in Tschechien umschauen. Nur eines steht bereits fest: Es wird bestimmt nicht langweilig werden, bis Tschechien eine funktionierende Regierung hat.

Detmar Doering ist Projektleiter für Mitteleuropa und die Baltischen Länder im Stiftungsbüro Prag.