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Polen
Der Staatsumbau in Polen geht weiter

Die Wiederwahl des nationalkonservativen Präsidenten Andrzej Duda offenbart die Schwäche der Opposition
Polen nach der Wahl
Amtsinhaber Andrzej Duda hat die Stichwahl denkbar knapp gewonnen © picture-alliance

Starker Präsident in Polen

Der polnische Präsident ist nicht nur ein zeremonieller Repräsentant des Landes. Er ist Oberkommandierender der Streitkräfte und kann ohne Angabe von Gründen gegen Gesetzesbeschlüsse ein Veto einlegen. Um Gesetze gegen sein Veto dennoch durchzuboxen, bedarf es einer 3/5-Mehrheit im Parlament (Sejm) – und eine solche Mehrheit gibt es in Polen zurzeit nicht. Erschwerend kommt für die PiS hinzu, dass sie 2019 die Mehrheit im Senat verloren hat, der Beschlüsse des Sejm rückverweisen und somit verzögern kann. Für die Umsetzung ihres nationalkonservativen Kurses brauchte die PiS also einen eigenen Mann im Präsidentenpalast.

Die PiS hat sich seit ihrem Regierungsantritt 2015 konsequent dem Umbau des Staates im Sinne eines autoritär anmutenden Demokratieverständnisses angenommen. Justiz und öffentliche Medien sind kaum mehr als unabhängig zu erkennen. Mit den privaten Medien – von denen viele regierungskritische im Besitz nicht-polnischer Verlage sind – plant man nun im Sinne einer „Polonisierung“ offenbar Ähnliches. Gegen diese staatliche Einflussnahme auf die polnische Medienlandschaft laufen vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Verfahren wegen Nichteinhaltung rechtsstaatlicher Standards. Die bisweilen gepflegte Rhetorik gegen Deutschland hat es Donald Trump leicht gemacht, mit der angekündigten Verlegung von US-Truppen von Deutschland nach Polen einen weiteren Spaltpilz in die NATO zu tragen, was sich letztlich nur negativ auf die Sicherheitslage Europas, aber letztlich auch Polens auswirken kann.

Hätte Trzaskowski im zweiten Wahlgang gewonnen, hätten es rechtlich bedenkliche Vorhaben der Regierung schwerer gehabt. Europäische Standards würden Geltung behalten. Die Chance auf ein Ende der Polarisierung der Politik im Lande wäre greifbar gewesen. Mit der Wiederwahl Dudas sieht es aus, als ob der Staatsumbau nunmehr ungebrochen fortgesetzt werden kann. Trzaskowski und die Opposition haben ihre Chancen verspielt. Dabei lag am Ende des Wahlkampfes der Sieg des Kandidaten durchaus in Reichweite.

Duda: Kandidat mit Schwächen

Noch im Frühjahr sah es so aus, als ob ein Sieg des von der PiS unterstützten Präsidentschaftskandidaten Andrzej Duda eine ausgemachte Sache sei. Zum Schluss wurde es in den Umfragen doch ein Kopf-an-Kopf-Rennen und letztlich auch ein knappes Endergebnis. Zwei Faktoren waren dafür wesentlich:

Die anfänglich unbesiegbar scheinende Kampagnenmaschinerie des Amtsinhabers Duda war am Ende doch ins Stottern geraten. Der erste Wahlgang war eigentlich für den 10. Mai vorgesehen – also auf dem Höhepunkt der Coronakrise. PiS-Vorsitzender Jarosław Kaczyński beharrte zunächst ausgesprochen hartnäckig auf einer Beibehaltung dieses Termins, weil er den Wahlkampf (vor allem Großveranstaltungen) der Opposition behinderte, während „sein“ Kandidat Duda die regierungstreuen öffentlichen Medien beherrschte. Umfragen zufolge fanden das selbst die meisten PiS-Anhänger unfair. Zudem führte es zu internen Machtkämpfen im Regierungsbündnis der Rechten. Am Ende wurde der Wahlgang doch auf den 28. Juni verschoben. Die Folge: Ein erster Stimmeneinbruch bei Duda.

Zweitens: Als die Umfrageergebnisse zurückgingen, gab sich Duda aggressiver und bemühte sich mehr um den rechten Kern der PiS-Wählerschaft. Ausfälle gegen die LGTBI-Community machten den Anfang. Zuletzt zeigte es sich in Angriffen gegen private Medien, die deutschen Eignern (mit-)gehören. In Teilen des extremeren Elektorats kommen antideutsche Parolen über deutsche Medienverschwörungen zwar an, aber selbst große Teile der PiS-Wähler folgen dem nicht. Das brachte Dudas lang gehegtes Imagekonzept durcheinander, das ihn als das „nette Gesicht“ der PiS präsentierte. Es erschwerte ihm dadurch den Zugriff auf zentristische Wähler. Und wieder sanken die Umfrageergebnisse.

Schwache Unterstützung für Trzaskowski

Nachdem es lange Zeit so aussah, als ob das Oppositionsbündnis Bürgerkoalition (KO), bestehend aus der moderat-konservativen Bürgerplattform (PO) und der liberalen Nowoczesna, nicht einmal die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen erreichen würde (eine Stichwahl der Besten der ersten Runde, die nötig wird, wenn kein Kandidat mehr als 50 Prozent der Stimmen erhält), gab es einen Wechsel an der Spitze: Trzaskowski, der populäre und charismatische Oberbürgermeister Warschaus, ersetze die bisherige KO-Kandidatin Małgorzata Kidawa-Błońska, die schon bei den Parlamentswahlen als eher schwach wahrgenommen wurde. Der Plan schien aufzugehen: Mit 30,46 Prozent schlug sich Trzaskowski unerwartet gut und erreichte die zweite Runde spielend. Die Umfrageergebnisse zwischen ihm und Duda für die zweite Runde begannen sich vollständig anzugleichen, je mehr sein Gegner sich irrlichternd ins rechte Lager bewegte.

Doch auch Trzaskowski hatte im Wahlkampf zur zweiten Runde Schwierigkeiten. Vielleicht wäre das Endergebnis ein anderes gewesen, wenn alle im ersten Wahlgang aus dem Rennen ausgeschiedenen Kandidaten ihn vorbehaltlos unterstützt hätten. Das Votum des im ersten Wahlgang drittplatzierten Kandidaten, des unabhängigen Szymon Hołownia (13,86 Prozent), fiel jedoch enttäuschend aus. Im Vorfeld des zweiten Wahlgangs verkündete er, dass er zwar gegen Duda, aber „ohne Überzeugung“ für Trzaskowski stimmen werde. Dem enttäuschenden Endergebnis zufolge haben letztendlich nicht ausreichend viele seiner Anhänger für Trzaskowski votiert.

Opposition in der Krise

Damit ist man beim eigentlichen Problem: die Schwäche der Opposition ist die eigentliche Stärke Dudas. Die KO, deren Kernpartei PO 2015 für viele Beobachter zu Recht abgewählt wurde, ist zwar immer noch die größte Oppositionspartei, aber ihre Umfragewerte fallen seit Langem kontinuierlich. Kommentatoren sprechen von einer latenten Existenzkrise. Sie findet als liberal-marktwirtschaftliche Partei keine Antwort auf die sozialpopulistischen Wahlgeschenke der Regierung (die ironischerweise wohl deshalb möglich wurden, weil die PO der PiS 2015 einen soliden Haushalt hinterließ) und bietet auch keine überzeugende Antwort auf die offen nationalklerikale Gesellschaftspolitik der Regierung. Da auch in der PO in Fragen von LGTBI-Rechten eine konservative Strömung vorherrscht, konnte sich Trzaskowski nicht zu einer Befürwortung der gleichgeschlechtlichen Ehe hinreißen lassen. Er lavierte und sein Profil blieb schwach.

Hinzu kommt, dass das restliche Oppositionslager sich immer weiter zersplittert und radikalisiert. Die radikale Rechte (die Partei Konfederacja), radikale Linke (Wiosna) und Antiparteien (Kukiz’15 und die Partei Szymon Hołownias) sind alle im Parlament vertreten oder zumindest in Umfragen stark. Der KO fehlt die Kraft, diese Kräfte gegen die PiS zu einigen und einen Konsens herzustellen. Und die PiS-Regierung wird nach dieser Präsidentenwahl alles tun, um ihre Position durch einen weiteren Staatsumbau institutionell zu festigen. Die Chancen der Opposition werden in Zukunft noch weiter strukturell gemindert, etwa durch die Medienpolitik.

Es dürfte in nächster Zeit für die Opposition schwierig werden, dagegen eine Strategie zu finden – und noch schwieriger sie umzusetzen. Der ehemalige KO-Vorsitzende Grzegorz Schetyna verkündete unmittelbar nach der Wahl, dass sich die Opposition nun zusammenraufen und demnächst geschlossen antreten müsse, um Schlimmeres für das Land zu verhindern. Ein richtiger Gedanke, aber er kam leider ein wenig spät.
 

Dr. Detmar Doering ist Projektleiter für Mitteleuropa und die Baltischen Staaten der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.