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Staatstrojaner
Per Kuhhandel zum gläsernen Bürger

Bundesregierung beschließt Quellen-TKÜ für die Geheimdienste
Gläserner Bürger

Das lange Tauziehen um die neuen Überwachungsbefugnisse der Geheimdienste haben die Koalitionsparteien vorgestern offensichtlich per Kuhhandel beendet: Die SPD stimmte der Einführung der Quellen-TKÜ zu. Dafür versprach die Union, dass das Bundesinnenministerium eine wissenschaftliche Untersuchung rechter Tendenzen und Netzwerke in den deutschen Sicherheitsbehörden nicht weiter blockieren werde.

Ob es diesen Deal nun gab oder nicht: Die Entscheidung unterstreicht ein weiteres Mal das erschreckend geringe Bewusstsein der Bundesregierung für die tatsächlichen und verfassungsrechtlichen Probleme beim Thema Quellen-TKÜ.

Vorgeblich soll der nun gefundene Kompromiss zwar genau diese Probleme lösen, die in Form von massiver Kritik bereits seit Monaten geäußert werden. So will die Regierung die ursprünglich geplante Onlinedurchsuchung den Geheimdiensten nun nicht mehr erlauben. Stattdessen soll per Quellen-TKÜ „nur“ der Bereich der Onlinekommunikation zugänglich gemacht werden, der heutzutage oft verschlüsselt wird.

Das Kabinett hat eine historisch falsche Weichenstellung vorgenommen

Der Staat darf nicht zum Sicherheitsrisiko werden
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

Doch genau hier liegt das erste Problem: Die Quellen-TKÜ ist technisch erst einmal genau des gleiche wie die Onlinedurchsuchung. Per Staatstrojaner wird eine Überwachungssoftware auf das Zielsystem, also den PC oder das Smartphone einer Zielperson, gebracht, die sodann das Ausspähen aller auf dem System befindlichen Daten ermöglicht. An diesem Punkt sollen sich die Behörden nach der nun beschlossenen Regelung jedoch nur die Kommunikation per Messenger oder Internettelefonie (Voice over IP) vor der Verschlüsselung, bzw. nach der Entschlüsselung direkt auf den Geräten abgreift dürfen.

Abgesehen davon, dass es schwer vorstellbar ist, dass die Schlapphüte von BND bis MAD nicht doch noch in alle anderen Ecken des Zielsystems gucken, wenn sie schon einmal drin sind, ist hierbei auch die technische Grundlage höchst fragwürdig: Für das Aufspielen der Überwachungssoftware müssen die Sicherheitsbehörden nämlich genau die Sicherheitslücken in Soft- und Hardware ausnutzen, die der Staat im Bereich der grassierenden Cyberkriminalität eigentlich so schnell wie möglich schließen lassen muss. Es entsteht also ein Zielkonflikt.

Auch sind die Behörden hier maximal auf die Unterstützung der Softwarefirmen angewiesen was ähnlich wie im Bereich der Bekämpfung von Onlinehass und Desinformation eine unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten problematische Abhängigkeit von privaten Tech-Firmen bedeutet.

Maximilian Spohr war zum Thema Quellen-TKÜ im Interview bei detektor.fm, hier können Sie den Podcast anhören.

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Völlig unklar ist zudem, ob die Quellen-TKÜ den Geheimdiensten tatsächlich so einen großen Nutzen bringen wird in der Praxis wie behauptet. Den Polizeibehörden steht dieses Überwachungsinstrument bereits seit 2017 zur Verfügung. Recherchen des WDR zeigten jedoch im vergangenen Jahr, dass die Quellen-TKÜ dort kaum genutzt wird. Die technische Durchführung ist offenbar häufig zu komplex und den Behörden stehen die dafür erforderlichen technischen Mittel oft schon gar nicht zur Verfügung.

Schließlich wird die Quellen-TKÜ, so wie sie per Rechtsgrundlage in der Strafprozessordnung für die Polizeibehörden eingeführt wurde, momentan, auch auf Betreiben der Liberalen, vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) überprüft. Anstatt aber auf diese absehbaren Klarstellungen des BVerfG zu warten, preschen die Koalitionspartner voran und riskieren wieder einmal ein Gesetz zu verabschieden, dass später durch das BVerfG kassiert werden muss.

Sie haben offenbar nichts aus der letzten Blamage beim Gesetz gegen Hasskriminalität, dem der Bundespräsident aufgrund massiver verfassungsrechtlicher Bedenken die Unterschrift verweigerte, gelernt. Ohne Rücksicht auf die Grundrechte wollen sie so schnell wie möglich das nächste Überwachungsinstrument einführen. Sie umgehen dabei aber eine ehrlichere und – demokratische – Debatte wieviel Freiheit die Bürgerinnen und Bürger noch aufgeben wollen für ein vermeintliches Mehr an Sicherheit. Zudem riskieren sie einen erneuten Zustand der Rechtsunsicherheit für die Behörden, wenn die gerade geschaffenen Rechtsgrundlagen wieder durch das BVerfG aufgehoben werden müssen.