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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Speak-up nach Shut-down!
Zeit der Bewährung

Der Neustart muss gelingen. Nach dem Shutdown braucht es Vertrauen, aber keine Experimente.
Karl-Hein Paqué

Die Corona-Krise ist einmalig. Einen derartigen Stillstand der privaten Wirtschaft hat es zu normalen Friedenszeiten in Deutschland noch nie gegeben. Wie viel genau an Wertschöpfung verloren geht, weiß niemand so genau – 10 Prozent der Jahresleistung ist vielleicht eine realistische Größenordnung. Seit einigen Tagen beginnt sich allerdings eine Stabilisierung abzuzeichnen: Die Ölpreise fallen nicht mehr, sondern steigen wieder langsam an. Der Fernverkehr nimmt erkennbar zu, das öffentliche Leben kehrt nach Ende des Shutdowns vorsichtig zurück.

Es ist wie nach einem Winterschlaf: Alles an wirtschaftlicher Ausrüstung ist noch da wie vorher – von den Maschinen der Industrie und den Flugzeugen der Luftfahrtgesellschaften bis zu den Stühlen und Tischen der Gastronomie. Aber niemand weiß, ob die alte Welt zurückkehrt. Ein Grund für die Unsicherheit ist der Staat selbst, denn er muss natürlich weiter Vorschriften durchsetzen, um die Infektionsgefahr in Grenzen zu halten: von der Maskenpflicht bis zu Mindestabständen. Der Hauptgrund sind aber die Menschen selbst: Werden sie in ihrem Konsum- und Investitionsverhalten zu alten Mustern zurückkehren oder sich auf lange Sicht zurückhalten – aus Mangel an Zuversicht und Vertrauen in die Stabilität der neuen Welt?

Manche Beobachter und Kommentatoren wünschen sich geradezu, dass unsere Volkswirtschaft rundherum anders wird – gewissermaßen bei Gelegenheit von Corona. Sie wollen endlich die radikale Weichenstellung hin zu mehr Ökologie und weniger Verbrauch. Man kann davor nur warnen: Eine Volkswirtschaft, die jahrelang im Zustand der Unterbeschäftigung und Arbeitslosigkeit verharrt, ist kein fruchtbarer gesellschaftlicher Platz für gut gemeinte, aber riskante Experimente. Im Gegenteil, die Menschen werden dann ängstlich, konservativ und innovationsfeindlich, vielleicht auch empfänglich für populistische politische Botschaften. Es gilt deshalb, mit voller Kraft zur Vollauslastung der Wirtschaft zurückzukehren, um den Menschen ihre persönliche Zukunftsperspektive schnellstmöglich zurückzugeben.

Was ist zu tun? Ganz zentral ist es, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage anzufachen, und zwar sowohl den Konsum als auch die Investitionen im privaten und gewerblichen Bereich. Dazu braucht es starker steuerliche Entlastungen auf breiter Front. Vor allem die große gesellschaftliche Mitte, also die Masse der 45 Millionen Erwerbstätigen im Land, muss ein deutlich höheres Netto-Einkommen zur Verfügung haben als bisher. Und dies darf natürlich nicht auf Kosten der dringend nötigen Investitionsprojekte gehen, die von Bund, Ländern und Kommunen durchgeführt bzw. angestoßen werden müssen. Von der Digitalisierung in Bildung und Gesundheitswesen bis hin zur Sanierung von Schulen warten nach Corona riesige Vorhaben, die bisher sträflich vernachlässigt wurden.

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Klar ist: Mehr staatliche Investitionen bei niedrigerer Steuerbelastung ergeben zusammen ein größeres staatliches Defizit, also mehr neue Schulden. Auf lange Sicht kann dies natürlich keine Lösung sein. Aber auf mittlere Sicht durchaus: Seit gut drei Jahren ist der Zins, den Deutschland auf zehnjährige Anleihen zahlt, stabil negativ. Es sind die günstigsten Bedingungen, die es jemals für unsere Nation an den Finanzmärkten gegeben hat – nicht zuletzt, weil Deutschlands Schuldenquote dank des Wachstums der Steuereinnahmen seit der Weltfinanzkrise vor gut zehn Jahren um rund 20 Prozentpunkte gesunken ist (von damals über 80 Prozent auf heute etwa 60 Prozent). Deutschlands Bonität ist hervorragend, und eine Inflationsgefahr ist nicht vorhanden, liegt doch die Rate der Preissteigerung gerade mal knapp über null. Es gibt keinerlei Anzeichen für eine Erosion dieser Bonität, und ein moderater Zinsanstieg aufgrund von Steuersenkungen und gesteigerter Nachfrage für rentable Investitionsprojekte wäre sogar für Sparer willkommen – als eine Art Begleitung zielgerichteter Wachstumspolitik.

Auch ein Konflikt mit der Schuldenbremse des Grundgesetzes ist einstweilen nicht zu erkennen: Wann, wenn nicht in den Monaten und Jahren während und nach der Corona-Krise sind jene besonderen gesamtwirtschaftlichen Umstände gegeben, die das Grundgesetz explizit als Abweichung von der Schuldenbremse zulässt? Es sind eben ganz ungewöhnliche Bedingungen, vielleicht nur vergleichbar mit jenen der Deutschen Einheit und des Aufbau Ost nach 1989/90: eine historisch einmalige Herausforderung, für die es keine Orthodoxie des Lehrbuchs gibt. Eine Stunde der Bewährung für die Politik!  

 

Der Artikel ist erstmals am 23. Mai in der Wirtschaftswoche erschienen und ist hier zu finden.