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Spanien
Spanien wählt ein neues Parlament – kommt diesmal eine Regierung zustande?

Spanien wählt am 10. November zum vierten Mal innerhalb von vier Jahren ein neues Parlament
Der Katalonienkonflikt als das entscheidende Wahlkampfthema führt leider auch zu einem weiteren Anstieg der rechtspopulistischen Partei VOX
Der Katalonienkonflikt als das entscheidende Wahlkampfthema führt leider auch zu einem weiteren Anstieg der rechtspopulistischen Partei VOX. © picture alliance / AP Photo

Spanien wählt am 10. November („10N“) zum vierten Mal innerhalb von vier Jahren ein neues Parlament, nachdem zuvor die Bildung einer Koalition zwischen der sozialdemokratischen PSOE und der linkspopulistischen Partei Unidos Podemos gescheitert war. Die Wahlen stehen unter dem Eindruck der sich wieder zuspitzenden Krise in Katalonien, das seit den Urteilen gegen die federführenden Personen hinter dem illegalen Unabhängigkeitsreferendum von 2017 von gewalttätigen Protesten erschüttert wird. Auch am kommenden Wahlsonntag könnte es erneut zu Ausschreitungen in Barcelona kommen. Die Zentralregierung entsendet deshalb zusätzliche Sicherheitskräfte in die Region, um einen möglichst reibungslosen Ablauf der Wahl zu ermöglichen.

Durch den Wahlmarathon der vergangenen Jahre und den politischen „Bloqueo“ (dt. Blockade) ist die Abstimmung am Sonntag in den Augen der meisten Spanier kein demokratisches Hochamt, sondern allenfalls eine fast schon lästige Bürgerpflicht. Viele Spanier werden offenbar auch ganz auf ihr Stimmrecht verzichten – die Briefwahlbeteiligung liegt bereits deutlich unter den Zahlen von April, als zum letzten Mal an die Urnen gerufen worden war. Eine niedrige Wahlbeteiligung schwächt in Spanien traditionell eher die linken Parteien, aber der Ausgang ist insgesamt noch völlig unklar. Ob es dem geschäftsführenden Ministerpräsidenten Pedro Sánchez (PSOE) dieses Mal gelingen sollte, eine stabile Regierung zu bilden, steht in den Sternen. Dieser hatte gehofft, den Frust über die gescheiterte Regierungsbildung bei Unidos Podemos abladen zu können, doch die PSOE kann in den Umfragen allenfalls knapp zulegen. Einige Vorwahlumfragen prognostizieren sogar einen Verlust: Sánchez‘ Rechnung, auf Neuwahlen zu setzen, geht daher möglicherweise nicht auf. Ein Effekt war zudem, dass sich die bislang nur in der Hauptstadt angetretene neue linke Gruppierung Más Madrid („Mehr Madrid“) nun erstmalig auch bei landesweiten Wahlen unter dem Namen Más País („Mehr Land“) dem Wettbewerb stellen wird und sich die Zersplitterung des linken Lagers damit fortsetzt.

Die liberale Partei Ciudadanos („Bürger“) wird sich auf Stimmenverluste einstellen müssen und liegt derzeit in Umfragen bei lediglich 9 Prozent – viele Spanier verübeln Parteichef Albert Rivera insbesondere, dass er eine Koalition mit der PSOE, vor allem aufgrund der Haltung im Katalonienkonflikt, nach den letzten Wahlen ausgeschlossen hatte. Dabei könnte Ciudadanos auch das spanische Wahlrecht zum Verhängnis werden, denn das Verhältniswahlrecht findet nur auf Ebene der Regionen Anwendung, die entsprechend ihrer Größe eine feste Anzahl von Abgeordneten in den Madrider Kongress entsenden. Die Verteilung der Mandate in Madrid spiegelt die landesweite Stimmenverteilung deshalb nur bedingt wider. Wenn eine mittelgroße Partei wie Ciudadanos insbesondere in großen Regionen mit vielen Abgeordneten wie in Katalonien Stimmenverluste verzeichnet, kann sie diese durch bessere Ergebnisse in vielen kleinen Regionen kaum ausgleichen. So könnte Ciudadanos trotz eines akzeptablen Stimmenanteils insgesamt herbe Verluste im Kongress verzeichnen.

Der Katalonien-Konflikt als entscheidendes Wahlkampfthema führt leider auch zu einem weiteren Anstieg der rechtspopulistischen Partei VOX (Latein für „Stimme“). Sie setzt sich u.a. für ein besonders hartes Durchgreifen der Zentralregierung in Katalonien ein und greift damit geschickt die wachsende Ungeduld der spanischen Bevölkerung mit den gewaltsamen Protesten und der Chuzpe der katalanischen Regionalregierung auf. Letztere verurteilt die Krawalle allenfalls halbherzig. Als relativer Überraschungssieger könnte Pablo Casado aus dem „10N“ hervorgehen. Casado ist Oppositionsführer der konservativen spanischen Partido Popular („Volkspartei“), die sich in Umfragen kontinuierlich steigern konnte und ihre Talphase nach der insgesamt unglücklichen Performance ihres letzten Premierministers Mariano Rajoy (2011 bis 2018) überwunden zu haben scheint.

Wahlumfrage der Tageszeitung El Mundo vom 30.10.

Damit könnte es rechnerisch möglichweise zu einer Mitte-Rechts /Rechts-Regierung unter Beteiligung der PP, VOX und möglicherweise sogar Ciudadanos kommen. Doch das Konfliktpotenzial innerhalb der Koalition wäre groß (insbesondere zwischen Ciudadanos und VOX) und ein Ministerpräsident Pablo Casado müsste vor allem in Europa erklären, Rechtspopulisten in kürzester Zeit auf nationaler Ebene hoffähig gemacht zu haben. Man kann zudem davon ausgehen, dass in diesem Fall nicht nur Barcelona gewalttätigen Massendemonstrationen entgegensähe, sondern sich auch in Madrid und anderen Landesteilen Proteste entladen würden. Die Abwehrreflexe gegen jede Art von nationalistischer Rhetorik sind rund 45 Jahre nach der Franco-Ära noch groß.

Am stabilsten wäre eine große Koalition zwischen PSOE und PP, die als Übergangslösung durchaus einige Vorteile für die Bewältigung der drängendsten Probleme des Landes hätte. Denn Spanien braucht nach Lage der Dinge einen neuen Gesellschaftsvertrag, der auf einer breiten politischen Übereinkunft beruhen müsste. Durch die weitgehend friedliche, beispielhafte Transition nach der Diktatur Ende der 70er Jahre und dem zugrundeliegenden Konsens, die Vergangenheit im Sinne eines auf die Zukunft gerichteten Miteinanders ruhen zu lassen, hat es in Spanien nie wirklich eine substantielle Aufarbeitung der Diktatur gegeben. Das rechte und linke Lager stehen sich auch im Vergleich mit anderen europäischen Ländern besonders unversöhnlich gegenüber und eine „Es war doch nicht alles schlecht“-Attitüde mit Bezug auf die Franco-Zeit ist erschreckend weit verbreitet. Auf dieser Grundlage ist eine Wertschätzung des Kompromisses als politischer Wert an sich kaum zu erreichen, so nötig es gerade jetzt wäre.

Und auch für eine langfristige Lösung des Katalonien-Konflikts wäre eine grundlegende Diskussion um eine Verfassungsänderung notwendig. Die Zentralregierung hat Katalonien in den vergangenen Jahrzehnten viele (zu viele?) Autonomierechte zugestanden. De facto gibt es kaum noch etwas in die autonomen Regionen auszulagern, denn Spanien ist mit Deutschland eines der subsidiärsten Länder der Welt. Doch eine verbesserte Beteiligung der Regionen an nationalen Entscheidungsprozessen über eine Aufwertung des spanischen Senats und eine stärkere Finanzautonomie könnten Teil einer Lösung sein. Möglicherweise im Gegenzug für eine Rücknahme einiger Befugnisse im Bildungs- und Medienbereich, die von der nationalistischen katalanischen Regierung notorisch für die Radikalisierung der eigenen Bevölkerung missbraucht werden. Beides ist nur mit verfassungsändernden Mehrheiten im Kongress möglich und auch nicht in vier Jahren zu schaffen. Aber vor dem Hintergrund dieser grundlegenden, das Land lähmenden Herausforderungen verblassen wichtige aktuelle Problemen wie das Haushaltsdefizit und das sich abschwächende Wirtschaftswachstum. Der Auftakt für einen gesellschaftlichen Diskurs über ein überparteiliches Projekt für ein Nation-Rebuilding mit Unterstützung einer breiten Regierungsmehrheit im Parlament wäre ein erster Schritt.

Bislang hat die PSOE aus den genannten Gründen eine GroKo ausgeschlossen und so könnte es durchaus auch zu einem weiteren „Bloqueo“ nach dem 10N kommen. Da bisse sich der Stier zum Leidwesen des ganzen Kontinents erneut in den Schwanz, denn Europa und gerade Deutschland könnten von einem geeinten und starken Spanien ohne zermürbende interne Konflikte extrem profitieren.

 

David Henneberger ist Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Madrid.