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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Soziale Marktwirtschaft
Liberal oder Grün?

Jedenfalls bitte klar und konkret!
Karl-Hein Paqué

August 2020: Wo ist nur das politische Sommerloch geblieben? Wichtiges ist passiert: Die SPD hat den unideologischen Pragmatiker Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten designiert; und die FDP erhält einen neuen Generalsekretär, den Wirtschaftsminister von Rheinland-Pfalz Dr. Volker Wissing. Und siehe da: Plötzlich sprudeln die Spekulationen über neue Koalitionsvarianten. Neben den üblichen Varianten Schwarz/Grün, Rot/Rot/Grün und „Jamaica“ aus CDU, FDP und Grünen taucht plötzlich auch die Ampel aus SPD, FDP und Grünen wieder auf, so wie in Rheinland-Pfalz. Für derartige Rechenspiele ist es viel zu früh, so die Meinung unseres Vorstandsvorsitzenden Professor Paqué. Er plädiert stattdessen nach Corona für eine intensive und inhaltsreiche Programmdiskussion über die Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft – zwischen liberal und grün.

In einem Jahr findet die Bundestagswahl statt. Alle Parteien begeben sich derzeit zu den programmatischen Startblöcken, um ihre Ziele zu formulieren – und die Mittel, mit denen sie diese erreichen wollen. Die Zeit der Allgemeinplätze ist vorbei. Und das ist gut so, es war höchste Zeit.

Dies gilt vor allem für die Wirtschaftspolitik. Corona hat uns nämlich die lang gehegte Illusion genommen, in Deutschland und Europa gehe es mit Vollbeschäftigung und Prosperität einfach so schön weiter wie im gerade vergangenen Jahrzehnt. Hierzulande gibt es derzeit mehrere Millionen von Kurzarbeitern – vor allem in der Automobilindustrie und deren Zulieferbranchen sowie bei lokalen und regionalen Dienstleistern bis hin zu den Anbietern von Kunst und Kultur. Es droht eine gewaltige Welle von Insolvenzen über das Land hereinzubrechen. Und sowohl die Bundesregierung als auch die EU sind dabei, mit riesigen schuldenfinanzierten Ausgabenprogrammen Konjunktur und Wachstum zu stützen. Es kommt auf die Politik eine große Verantwortung zu. Verlangt ist programmatisch Klares und Konkretes.

Als erste haben dies die Grünen zu spüren bekommen. Ende Juni legten sie ihren Entwurf für ein Grundsatzprogramm in der Wirtschaftspolitik vor. Die Resonanz aus der Wirtschaft war höflich, aber sehr kritisch: Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) bemängelte zu Recht die durchwegs fehlende Präzision in der Wahl der Mittel, quer durch alle Bereiche der Wirtschaftspolitik – von Energie, Klima, Umwelt und Technik über Mobilität und Logistik bis hin zu Steuern und Finanzen sowie Europa-, Außen- und Sicherheitspolitik. Die Ziele selbst, ob ökologisch oder gesellschaftlich, sind ambitioniert: fast überall soll es eine radikale „Wende“ geben, in kürzester Zeit, hin zu mehr Schonung von Ressourcen, staatlicher Lenkung und steuerlicher Zusatzbelastung. Wie die Wirtschaft dies leisten kann und soll, bleibt offen – genauso wie die Zumutungen an die Menschen im Land.

Dies passt alles nicht in die ernste Lage. Es braucht stattdessen eine realistische Perspektive nachhaltiger Modernisierung, die in den Jahren von und nach Corona die Gesellschaft und die Wirtschaft mitnimmt – und zwar von dem Punkt, an dem diese heute stehen. Das ist die zentrale Aufgabe der Freien Demokraten als liberaler Oppositionspartei, die sich natürlich ebenfalls an die Ausarbeitung ihres Programms für die Bundestagswahl gesetzt hat. Es geht dabei eher um einen großen „Smart Deal“, der den sprichwörtlichen „Green Deal“ umfasst und eigentlich erst möglich macht – durch liberale Mobilisierung und Motivation der kreativen Innovationskräfte, die in Forschung und Wissenschaft sowie Wirtschaft und Gesellschaft stecken.

Wenn dies der FDP gelingt, liefert sie das nötige freiheitliche Gegenstück zum grünen Weltbild. Der Wahlkampf könnte dann höchst spannend werden: zwei Zukunftsvisionen in der Wirtschaftspolitik als Leitbilder für die Soziale Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts, im konstruktiven Diskurs. Das böte eine schöne Alternative zum GroKo-Einheitsbrei samt GroKo-Koalitionsstreitereien! Und es würde dem Wahlkampf Substanz geben.