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Russland
Verfassungsänderung in Russland: „Es ist Putins Verfassung”

Im Interview mit Freiheit.org erklärt unser Russland-Experte Julius von Freytag-Loringhoven welche Konsequenzen die Verfassungsänderung hat
Der russische Präsident Putin bei seiner Ansprache in der Duma
Der russische Präsident Putin bei seiner Ansprache in der Staatsduma © picture alliance/Alexei Nikolsky/TASS/dpa

In der russischen Staatsduma wurde heute über die von Präsident Wladimir Putin initiierten Verfassungsänderungen abgestimmt. Da seit 2007 nur Abgeordnete der sogenannten “Parteien der Macht” und “Systemopposition” in der Duma sitzen, hielt sich Kritik am bestehenden Vorschlag in Grenzen. Wie bei allen wichtigen Abstimmungen stimmten die Abgeordneten geschlossen für die Vorschläge des Kremls. Am 22. April soll die russische Bevölkerung dann endgültig über die Verfassungsänderungen abstimmen. Wir haben mit unserem Russland-Experten Julius von Freytag-Loringhoven über die Hintergründe und Folgen der Verfassungsänderung gesprochen.

Noch 2008 hatte sich Wladimir Putin vehement gegen eine Verfassungsänderung ausgesprochen. Woher kommt der scheinbare Sinneswandel?

Julius von Freytag-Loringhoven (JFL): Es geht ihm vor allem um den Machtumbau ohne Machtverlust. Nach dem inszenierten Vorschlag, dass Putin zur ersten Wahl nach der Verfassungsänderung wieder Präsident werden könnte, hat er zum ersten mal offiziell in Erwägung gezogen tatsächlich im Amt zu bleiben. Bis vor wenigen Jahren war das Schlüsselversprechen von Wladimir Putin „Stabilität” und bis 2013 moderates Wirtschaftswachstum. Das hat sich mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim 2014 geändert, plötzlich war das Versprechen imperialer Stärke vor beides getreten. Seitdem tobte der „Kampf des Kühlschranks gegen den Fernseher”, wie der russische Soziologe Lew Gudkow so schön die imperialen Durchhalteparolen im Fernsehen gegen die wirtschaftliche Realität beschrieb. Seit 2018 ist das Vertrauen in Putin fast um die Hälfte auf 35% gesunken und seit Juli 2019 zeigen Umfragen des unabhängigen Lewada Zentrums, dass der Anteil in der russischen Bevölkerung, der „tiefgreifende und umfassende Veränderungen” erwarte auf 59 Prozent und damit um 17 Prozent zu zwei Jahren vorher gestiegen war. Putin will die Verfassung offensichtlich ändern, um an der Macht bleiben zu können, aber auch um wieder Vertrauen in die Reformfähigkeit seines Systems zu schaffen.

Wladimir Putin hatte in seiner Rede an die Nation am 15. Januar die Bedeutung der Verfassungsänderungen runtergespielt, aber gleichzeitig den Wunsch der Bevölkerung nach Veränderungen aufgegriffen. Wieviel echte Veränderung bringen die Verfassungsänderungen?

JFL: Russische Liberale bewegt, dass Putin bis 2036 im Amt bleiben könnte, dass internationales Recht und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, ihre herausragende Bedeutung in der Verfassung verlieren und von russischen Gerichten überstimmt werden können. Anders als in den ersten Entwürfen wird auch die Macht des Präsidenten weiter gestärkt. In den russischen Sozialen Netzwerken scherzt man viel über die seltsame Idee, wichtige Momente der russischen Geschichte in die Verfassung zu schreiben. Die Verfassungsrechtlerin Elena Lukyanova hat jedoch deutlich gemacht, dass daneben keine Bagatellen vorgeschlagen werden. Viele der Änderungsvorschläge kreieren fundamentale Widersprüche in der Verfassung. Die ehemals unabhängige kommunale Selbstverwaltung wird der vertikalen Machtdurchsetzung unterstellt. Richter werden in Zukunft von den Strukturen des Präsidenten ernannt, was der Verfassungsgrundlage zu Unabhängigkeit widerspricht. Es mag wegen der grassierenden Korruption populär sein, dass wichtigen Staatsdienern in Zukunft verboten wird, langfristige Aufenthaltsgenehmigungen oder Konten im Ausland zu haben, diese Maßnahme widerspricht aber gleichzeitig dem Geichstellungsgebot der Verfassung.

Sie haben angesprochen, dass eine sinkende Bedeutung beispielsweise des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte das Leben von Zivilgesellschaft und Opposition verändern kann. Ebenso die weitere Ausweitung der Präsidialmacht gegenüber der Justiz. Wie groß ist der Widerstand in der Bevölkerung und wie groß in der Opposition?

JFL: Die Mischung aus einschüchternder Gewalt, repressiven Gesetzen und Fernsehpropaganda führt dazu, dass der Großteil der Bevölkerung, auch bei mangelndem Vertrauen in den Präsidenten, nicht daran glaubt selbst etwas verändern zu können. Deswegen sind keine Massendemonstrationen zu erwarten. Aber deswegen wird es auch für Putin schwer sein, die Menschen zu mobilisieren der Verfassungsänderung im April zu zustimmen. In diesem Staat ohne Wahlfreiheit bleibt Zustimmung dennoch zentrales Legitimationsinstrument. Unabhängige Wahlbeobachter klagen jetzt schon, dass sie an ihrer Arbeit gehindert würden.

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Nikolay Rybakov, Vorsitzender von Jabloko, mit dem Schild “Die Macht muss sich ändern, nicht die Konstitution!”

Der Slogan der liberalen russischen Partei Jabloko, die wie die FDP Mitglied der europäischen ALDE-Partei ist, lautet: “Die Macht muss sich ändern, nicht die Konstitution!”. Der bekannteste Oppositionelle Alexey Navalny dagegen argumentiert, dass auch die alte Konstitution schon zu viel präsidiale Macht beinhalte und es sich für diese nicht zu kämpfen lohne. Aber die gesamte russische Mittelklasse und Opposition hat Angst vor der Vorstellung, dass Putins wirtschaftliche Stagnation, Repression und außenpolitische Aggression ewig weitergehen.

 

Julius von Freytag-Loringhoven ist Leiter des Moskauer Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung.