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Rumänien
100 Jahre nach „Trianon“ – Spannungen in den rumänisch-ungarischen Beziehungen

Statue des ungarischen Bildhauers Peter Matl
Statue des ungarischen Bildhauers Peter Matl, die zum 100. Jahrestag des Trianon-Friedensvertrags errichtet wurde. © picture alliance

Welche politische Brisanz der Vertrag von Trianon noch heute besitzt, zeigte ein Auftritt des rumänischen Präsidenten Klaus Johannis Ende April. Er warf der sozialdemokratischen PSD und der ungarischen Minderheit vor, „Siebenbürgen an Ungarn verkaufen zu wollen“. Auslöser für die ungewöhnlich harschen Worte des diesjährigen Karlspreisträgers war ein Gesetzesentwurf der Partei der ungarischen Minderheit (UDMR), der mehr Selbstbestimmung für das größtenteils von ethnischen Ungarn bewohnte Szeklerland einforderte. Darüber hinaus hatte die UDMR wiederholt Initiativen der sozialdemokratischen PSD unterstützt und dadurch politischen Vorhaben des Präsidenten entgegengewirkt. Das Gesetz scheiterte letzten Endes im Senat – trotzdem blieben die innen- und außenpolitischen Reaktionen nicht aus. Politische Kommentatoren sehen in Iohannis Auftritt einen Versuch, den fallenden Umfragewerten seiner zur konservativen EVP-Parteienfamilie gehörenden Nationalliberalen Partei (PNL) entgegenzuwirken und sich als Patriot zu inszenieren, nachdem die PSD ihn in der Vergangenheit wiederholt angegriffen hatte, „kein Rumäne“ und vor allem kein „Orthodoxer“ zu sein.

Zwischen Realpolitik und dem Traum von Großungarn

Über die innenpolitischen Gründe hinaus dürfte der Auftritt vor allem auch eine direkte Botschaft an den ungarischen Premierminister Viktor Orbán gewesen seien, der den Vertrag von Trianon seit Jahren für nationalpopulistische Propaganda nutzt. Ungarns Regierung bestellte daraufhin den rumänischen Botschafter ein und auch Orbán reagierte postwendend mit einem Facebook-Post anlässlich der diesjährigen Abiturprüfungen, in dem er eine Karte von Großungarn im Jahr 1918, die auch Siebenbürgen umfasst, veröffentlichte.

Das politische Potential der ungarischen Bevölkerung in Rumänien hat Viktor Orbán schon lange für sich erkannt und führte bereits 2011 ein Verfahren ein, das es den in Rumänien lebenden ethnischen Ungarn unkompliziert ermöglicht, die ungarische Staatsbürgerschaft – und somit auch das Wahlrecht – zu erlangen. Während diesen neuen Staatsbürgern damit der Weg an die Wahlurne erleichtert wird, würde er den in westliche Staaten ausgewanderten, meist Orbán-kritischen Bürgern durch immer höhere bürokratische Hürden verwehrt, sagte jüngst die EU-Parlamentarierin Katalin Cseh von der liberalen ungarischen Oppositionspartei Momentum.

Laut dem ungarischen Außenminister Szijjártó Péter „sind die Ungarn im Ausland Teil der ungarischen Nation“. Dieses von der ungarischen Regierung propagierte Staatskonzept dürfte mit den Interessen Rumäniens kollidieren, die in der ungarischen Minderheit ihre eigenen Bürgerinnen und Bürger sieht. Gleichzeitig haben alle rumänischen Regierungen seit dem Fall des Eisernen Vorhangs die wirtschaftliche Entwicklung der ungarischen Region Rumäniens eher verhindert als gefördert. Nun möchte Viktor Orbán „den vitalen Lebensraum Ungarns“ zum Wohle der gesamten Region entwickeln und bezieht sich dabei konkret auf den Vertrag von Trianon: „Es enden die hundert Jahre ungarischer Einsamkeit. Wir sind wieder stark, wir haben Entschlossenheit, wir sind mutig, wir haben Stärke, wir haben Geld, und wir haben Ressourcen", sagte er erst jüngst.

Ungarische Einflussnahme in Rumänien

Zu weiteren Spannungen führen auch die wiederholten Versuche Ungarns, wirtschaftlich größeren Einfluss auf Rumänien zu nehmen. Bereits Ende des vergangenen Jahres hatte sich der rumänische Botschafter in Budapest an das ungarische Außenministerium gewendet, nachdem dieses mehrere Millionen Euro an Förderprogrammen für Landwirte der ungarischen Minderheit in Siebenbürgen ausgeschrieben hatte, ohne sich dabei mit der rumänischen Regierung zu beraten. Es fehle jegliche Art von zwischenstaatlichem Abkommen und Transparenz, wetterte damals Rumäniens Botschafter Marius Lazurca in Budapest.

Bereits 2017 veröffentlichte die ungarische Regierung den sogenannten Kos-Karoly-Plan – ein mit Hilfe der UDMR erarbeitetes Entwicklungskonzept zur wirtschaftlichen Ausrichtung der von Ungarn bewohnten Region in Rumänien. Dabei dürfte die Förderung sogar noch weit höher liegen, als es die offiziellen Zahlen nahelegen. Recherchen von Journalisten des investigativen Portals „Atlatszo“ fanden heraus, dass alleine im Jahr 2018 etwa 148 Mio. Euro in Projekte von ungarischen Stiftungen für Wirtschaftsförderung, Kirchen, Universitäten, Fußballverbänden, Medien und anderen ähnlichen Vorhaben nach Rumänien flossen.

Vor einer Woche stimmte nun das rumänische Parlament auf Initiative der sozialdemokratischen PSD mit großer Mehrheit dafür, den 4. Juni, den Jahrestag des Trianoner Vertrages, zum rumänischen Feiertag zu erklären. Das Gesetz landete zur Verabschiedung auf dem Tisch von Präsident Iohannis, der es jedoch vorerst als verfassungswidrig zur Begutachtung an das Verfassungsgericht zurückschickte. Damit wollte er wohl den Stimmen entgegenwirken, die ihn nach seinem Auftritt im April als Nationalist bezeichnet hatten.