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Rentenpolitik
Wo bleibt die Gerechtigkeit zwischen Generationen?

 Wir brauchen dringend eine nachhaltige Rentenpolitik

Dieser Text wurde zuerst in der aktuellen Ausgabe des ifo Schnelldienst 2/2019  veröffentlicht und ist online auch hier zu finden. 

Wir brauchen dringend eine nachhaltige Rentenpolitik. Davon ist die Große Koalition weiter entfernt denn je. Das Rentenpaket, das zum Jahresbeginn in Kraft trat, beweist es.

Herausforderungen für die Politik: Das sind entweder plötzliche Veränderungen, die als unerwarte Schocks auftreten, oder es sind langfristige Trends, die sich über Jahrzehnte anbahnen. Man könnte meinen: Bei den Schocks ist die politische Antwort schwierig, bei den Trends dagegen recht einfach, gibt es doch genug Zeit, die Lage zu untersuchen, die politischen Stellschrauben zu orten und das Nötige der Bevölkerung zu erklären – und dann richtig zu handeln.

Kaum ein gesellschaftlicher Trend ist so langfristig angelegt und gut voraussehbar wie die demographische Entwicklung. Eine Gesellschaft altert und schrumpft je nachdem, wie viele Geburten und Sterbefälle zu welchen Zeitpunkten zu erwarten sind, und eben dies verändert sich nur sehr langsam und zäh, je nach dem soziologischen Wandel und den medizinischen Fortschritten. Hinzu kommen Zu- und Abwanderungen, die steuerbar sind – einmal unterstellt, die Flüchtlingskrise von 2015 war und bleibt eine Ausnahme. Sie sind damit Gegenstand bewusster politischer Entscheidung, die man als Planer mit Szenarien in den Griff bekommt. Auch was die Zahl der Erwerbspersonen betrifft, fehlt es prognostisch an nichts: Veränderungen der Erwerbsbeteiligung ziehen sich träge über Jahrzehnte hin; und die Altersstufen für den Eintritt ins Erwerbsleben sind gleichfalls bekannt.

Was in den nächsten Jahrzehnten demographisch auf uns zukommt, ist also klar erkennbar: Ab 2020 wird die riesige Generation der Babyboomer aus dem Erwerbsleben Schritt für Schritt ausscheiden. Es sind jene Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, die zwischen 1955 und 1970 geboren sind und im Zeitraum bis 2035 das Rentenalter erreichen werden. Ihr folgt am Arbeitsmarkt eine viel kleinere Generation nach, die bereits geboren ist – an deren Größe lässt sich überhaupt nichts mehr ändern. Das allein ist die wirklich große Veränderung. Sie sorgt für eine drastische Abnahme der Erwerbspersonen und Zunahme der Rentenbezieher. Da sollte man eigentlich erwarten, dass es zu vernünftigen politischen Entscheidungen zwecks gesellschaftlicher Anpassung kommt. Aber weit gefehlt! Was wir 2018 beobachten mussten, ist das genaue Gegenteil.

VERSAGEN DES GESETZGEBERS

Zur Erinnerung: Die Große Koalition hat 2018 ein Rentenpaket beschlossen, das beachtliche Mehrausgaben der Gesetzlichen Rentenversicherung festschreibt oder alternativ den Steuerzahler in die Pflicht nimmt, die Rentenkassen zu stützen. Kernbestandteile des Pakets sind die »Rente mit 63« und die »Mütterrente«. Diese erlauben ausgewählten Gruppen von Erwerbstätigen, vorfristig in Ruhestand zu gehen bzw. eine höhere Rente als nach der bisherigen Gesetzeslage zu beziehen. Bis 2025 geht es dabei um Zusatzkosten von ca. 48 Mrd. Euro, die über die Rentenkasse bzw. zusätzliche Zuschüsse aus dem Staatshaushalt finanziert werden. Die Belastung wurde dabei politisch kleingeredet, weil es derzeit wegen des hohen Beschäftigungsstandes Überschüsse gibt, die für das Rentenpaket verwendet werden – natürlich durch Verzicht auf die sonst möglichen Senkungen der Beiträge. Bis 2045 sind es nach Schätzungen des Prognos-Instituts übrigens Zusatzkosten von 286 Mrd. Euro, wenn die heutigen Beschlüsse nach 2025 bestehen bleiben, was natürlich zu erwarten ist.

Das Paket ist ein verantwortungsloser Faustschlag ins Gesicht der Generationengerechtigkeit.

Paqué
Karl-Heinz Paqué

Also: Exakt zu einer Zeit, in der die mächtige Welle des demographischen Wandels mit massiven Zusatzbelastungen für die junge Generation ansetzt, sattelt die Bundesregierung noch kräftig drauf – zu Gunsten der Älteren und zu Lasten der Jüngeren. Das Prognos-Institut hat kalkuliert, dass alle bis 1974 Geborenen, also auch die komplette Generation der Babyboomer, durch das Rentenpaket netto gewinnen; alle ab 1975 Geborenen dagegen verlieren – und zwar umso mehr, je jünger sie sind. Der »Break-even-point« liegt also bei einem aktuellen Alter von immerhin 53 Jahren. Mag sein, dass man über die ein oder andere Annahme der Modellberechnungen streiten kann. Aber eines ist klar: Das Paket ist ein verantwortungsloser Faustschlag ins Gesicht der Generationengerechtigkeit.

Offenbar wird von der Regierung auf die Wählerstimmen der großen Zahl älterer Menschen geschielt. Dabei wird vielleicht übersehen, dass diese keineswegs nur an ihr eigenes Wohl denken, sondern auch an das ihrer Kinder und Enkel. Vielleicht steckt aber auch der systematische Versuch dahinter, das deutsche Rentensystem immer mehr von einem beitrags- in ein steuerfinanziertes System umzuwandeln. Zumindest die Gedankenspiele und Pläne des sozialdemokratischen Bundesfinanzministers lassen in dieser Hinsicht aufhorchen. Mit Zustimmung der SPD hat er sich dafür ausgesprochen, ein Rentenniveau von 48% des Lohnes zu halten, und zwar ohne längere Lebensarbeitszeit und höhere Beiträge. Dies würde allerdings nur funktionieren, wenn der staatliche Zuschuss weiter kräftig erhöht wird – und dies, obwohl er heute schon rund 100 Mrd. Euro ausmacht, gut 30% des
Bundeshaushalts.

Wir stehen in Deutschland offenbar vor einer historischen Wegegabelung in drei Richtungen: weitgehend steuerfinanzierte Rente, massive Erhöhung der Sozialbeiträge oder Reform des Systems hin zur Nachhaltigkeit. Welchen Weg wir gehen, ist eine ordnungspolitische Entscheidung ersten Ranges. Wer nämlich eine der konstituierenden Grundsätze der Sozialen Marktwirtschaft darin sieht, dass die Menschen ihre Altersvorsorge in einer solidarischen Versicherung selbst in die Hand nehmen und nicht der Allgemeinheit zur Last fallen, der muss eine mutige Reform in Richtung Nachhaltigkeit fordern.

WEGE ZUR GENERATIONENGERECHTIGKEIT

Wie könnte eine solche Reform aussehen? Sie muss im Wesentlichen aus drei Elementen bestehen: (1) flexible Lebensarbeitszeit, (2) rentable Zusatzversicherung und (3) kontrollierte Zuwanderung.

Flexible Lebensarbeitszeit

Ein beitragsfinanziertes Rentensystem ohne Zuwanderung bietet im Wesentlichen drei Stellschrauben, an denen sich drehen lässt: Höhe der Rente, Höhe der Beiträge und Länge der Lebensarbeitszeit. Nimmt man es genau, geht es natürlich um die Relation Rente zu Lohn, die Höhe des Beitragssatzes zur Rentenversicherung und den Anteil der Länge des Lebens, der in aktiver Beschäftigung mit Beitragspflicht verbracht wird. Will man die Rente nicht unter und die Beiträge nicht über einen Anteil des Lohnes drücken, der als politisch akzeptabel gilt, bleibt nur die Erhöhung der Lebensarbeitszeit. Genau deshalb wurde ja schon in Deutschland der schrittweise Einstieg in die Rente mit 67 statt 65 eingeführt – mit einer Übergangszeit, die 2012 begonnen hat.

Diese erste Reform ging in die richtige Richtung, wird aber nicht genügen. Es bedarf weiterer Anpassungen, da die Rentenbezugsdauer wegen der (erfreulicherweise) weiter gestiegenen Lebenserwartung von Männern und Frauen deutlich zugenommen hat und wahrscheinlich weiter zunehmen wird. Nimmt man die Prognosen für 2040 als Benchmark für die Generation der Babyboomer, so wird die Lebenserwartung bei über 82 Jahren für Männer und über 86 Jahren bei Frauen liegen, so dass selbst bei einem Rentenalter von 67 Jahren im Durchschnitt Männer 15 und Frauen 19 Jahre Renten beziehen würden – bei der Größe der Generation zu viel, um das System zu stabilisieren, wenn von unverändertem Arbeitseinstieg nach Schule und Ausbildung ausgegangen wird.

Naheliegend wäre deshalb, die Rente mit 70 zu fordern oder ganz auf ein festes Renteneintrittsalter zu verzichten, so dass es den Arbeitnehmern selbst überlassen bliebe, zwischen höherer Rente und Weiterarbeit zu entscheiden. Zu erwarten ist jedenfalls, dass wegen der allfälligen Knappheit an Arbeitskräften, die heute schon deutlich zu erkennen ist, die Bereitschaft und Phantasie zur Weiterbeschäftigung Älterer seitens der Unternehmen deutlich zunehmen wird. Gleichzeitig werden sich die modernen Generationen von Arbeitnehmern im siebten Lebensjahrzehnt als physisch erheblich gesünder erweisen als dies frühere Generationen waren – dank des Strukturwandels weg von harter physischer Arbeit und hin zu Dienstleistungen, die sich zu großen Teilen in Büros mit guten Arbeitsbedingungen abspielen. Für jene (schrumpfenden) Gruppen von Arbeitnehmern, die noch immer verschleißende physische Arbeit leisten, könnten Sonderregelungen gefunden werden.

Naheliegend wäre deshalb, die Rente mit 70 zu fordern oder ganz auf ein festes Renteneintrittsalter zu verzichten, so dass es den Arbeitnehmern selbst überlassen bliebe, zwischen höherer Rente und Weiterarbeit zu entscheiden.

Paqué
Karl-Heinz Paqué

Rentable Zusatzversicherung

Ein beitragsfinanziertes Rentensystem kann durch kapitalgedeckte Zusatzversicherung oder durch Betriebsrenten ergänzt werden. Durch Steuervergünstigen und Zulagen lässt sich zusätzlich der Anreiz verstärken, diese Instrumente der individuellen Vorsorge zu nutzen. Genau dies geschah mit der Einführung der sogenannten Riester-Rente im Jahr 2000/2001, aber das Ergebnis wird gemeinhin als enttäuschend bewertet, wenngleich seither über 16 Mio. »Riester-Verträge« abgeschlossen wurden. Der zentrale Grund für die Frustration sind die niedrigen Nominal- und zum Teil negativen Realzinsen am Kapitalmarkt für annähernd sichere langfristige Anlagen, die Renditen der kapitalgedeckten Altersvorsorge massiv nach unten zogen.

Weithin wird damit gerechnet, dass sich an den niedrigen Renditen für annähernd sichere Anlagen in den kommenden Jahren und Jahrzehnten wenig ändern wird. Allerdings zeigt sich, dass bei Anlagen in Aktien und in Risikokapital auf Dauer höhere Renditen zu erzielen sind, ohne ungebührliche Risiken einzugehen. Dies belegt in vorbildlicher Weise das Anlageverhalten amerikanischer Universitätsfonds, die ihre Portfolios großer Vermögen professionell managen und über lange Zeiträume auch mit konservativem Anlageverhalten unverändert hohe Renditen erreichen. Es stellt sich deshalb die Frage, ob der Regulierungsrahmen in Deutschland für die private Anlage zur Alterssicherung nicht dringend reformbedürftig ist, um die Beteiligung an Aktien und Risikokapital zu erleichtern. Dies gilt im Übrigen auch für die Finanzierung von Betriebsrenten, die ja letztlich auch von den Renditen des Kapitalmarkts abhängen. Es geht also keineswegs nur um eine zusätzliche Altersvorsorge für Wohlhabende. Entscheidend ist allein, dass die Rendite des Risikos beim Sparen fürs Alter stärker zu Buche schlägt als bisher, aber das Risiko selbst durch kluges Portfoliomanagement minimiert wird. All dies würde im Übrigen den Markt für Risikokapital befördern und erweitern – ein überaus willkommener Nebeneffekt in einem Land, das an einer viel zu schwachen Gründeraktivität leidet.

Schließlich bleibt die Investition in Immobilien, eine klassische Form der Altersvorsorge – jedenfalls in jenen urbanen Ballungsräumen, wo die Menschen zunehmend Arbeit finden und die wirtschaftliche Entwicklung hohe Wertsteigerungen über lange Zeiträume verspricht. Das Problem dabei: Viele Arbeitnehmer können sich den Einstieg in den Markt nicht leisten, weil eben das Preisniveau der Immobilien sehr hoch ist. Da hilft nur: mehr Wohnungsbau, etwa durch unbürokratischen Ausweis von Bauland in städtischen Regionen und großzügige Freibeträge bei der Grunderwerbssteuer, aber ohne Mietbremse.

Kontrollierte Zuwanderung

Ein beitragsfinanziertes Rentensystem kann durch Zuwanderung von relativ jungen Arbeitnehmern stabilisiert werden. Denn bevor die Zuwanderer eines Tages selbst in Rente gehen, steht ihnen ein Arbeitsleben über Jahrzehnte bevor. Dies spricht für ein Einwanderungsgesetz, das vor allem qualifizierte Erwerbspersonen motiviert, in Deutschland auf lange Sicht zu arbeiten, ggf. die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen und eine Familie zu gründen. Weitere volkswirtschaftliche Vorteile liegen auf der Hand: die zunehmende Knappheit an Arbeitskräften wird aufgefangen; die beruflichen Fähigkeiten der ausscheidenden Babyboomer-Generation lassen sich an junge motivierte Ausländer durch professionelle Qualifikation weitergeben; ein neues unternehmerisches Potenzial wird erschlossen. Soll Zuwanderung in jeder dieser Hinsichten positive Wirkung zeigen, dann muss sie allerdings eine substanzielle Größenordnung erreichen – sagen wir, einige hunderttausende Menschen im Jahr, die sich in einem strikt geregelten Verfahren bewerben. Dies würde voraussetzen, dass sich die Nation explizit als Einwanderungsland versteht – ganz ähnlich wie Australien, Kanada und die Vereinigten Staaten. Es bleibt zu hoffen, dass die bevorstehenden Herausforderungen helfen, dieses neue Verständnis zu fördern.

Prof. Dr. Dr. h. c. Karl-Heinz Paqué ist Professor der Volkswirtschaftslehre an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Außerdem ist er Mitglied im Präsidium der FDP.