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Reichspogromnacht
Mit dem Tod der letzten Holocaust-Überlebenden darf nicht das Leugnen beginnen

Oliver Vrankovic trägt zum 80. Jahrestag der Reichspogromnacht die jüdischen Geschichten weiter
Neben den Geschichten erinnern auch Fotos der Überlebenden an die Shoah

Neben den Geschichten erinnern auch Fotos der Überlebenden an die Shoah

© Oliver Vrankovic

Oliver Vrankovic pflegt seit über zehn Jahren in Israel Juden, die in den 1930er Jahren aus dem nationalsozialistischen Deutschland fliehen mussten. Er trägt die Erinnerungen, auch an die Novemberpogrome, in Vorträgen weiter. Viele Holocaust-Überlebende erzählen ihm ihre Geschichten, um ein Vergessen und Verharmlosen zu verhindern. Was ihm bezüglich der Reichspogromnacht, die sich dieses Jahr zum 80. Mal jährt, aus diesen Geschichten in Erinnerung geblieben ist und warum für ihn die Shoah auch immer mit der Sicherheit Israels in Verbindung steht, erzählt er im Gespräch mit Carolin Wilewski. 

Am Freitag jährt sich die Reichspogromnacht zum 80. Mal, heute halten Sie zu diesem Thema in Berlin einen Vortrag unter dem Titel „Nie Wieder!“. Was verbindet Sie mit dem Thema?

Ich arbeite in Ramat Gan in Israel im Elternheim Pinkhas Rozen, einem Elternheim der Vereinigung der Israelis mitteleuropäischer Herkunft. Es wurde gegründet für deutsche und kulturdeutsche Juden, die in den 1930er Jahren vor den Nationalsozialisten in jüdische Gemeinwesen nach Palästina geflohen sind und dort zu Mitbegründern des jüdischen Staates wurden. Viele BewohnerInnen des Heims haben die Reichspogromnacht erlebt und mir davon erzählt. Aus demographischen Gründen hat sich das Heim vor einigen Jahren auch anderen Einwanderergruppen geöffnet, vor allem Juden aus Osteuropa, von denen viele den Holocaust miterlebt haben.

Wann haben Sie gemerkt, dass Sie die Lebensgeschichten der Juden, die die Shoah erlebt haben, weitergeben müssen?

Ich arbeite mit den letzten Zeugen der Judenverfolgung und Judenvernichtung. Viele BewohnerInnen des Heims und Holocaust-Überlebende, die ich außerhalb des Heims kenne, möchten, dass ihre Geschichte weitergeben wird, um ein Vergessen und Verharmlosen zu verhindern. Der Lebensabend vieler Holocaust-Überlebender, die ich kenne und kannte, war mitgeprägt von der Sorge, dass mit dem Ableben der letzten Zeugen die Leugnung beginnt. In diesem Sinne trage ich die Geschichten auf Wunsch der Menschen weiter. Oft teilen Menschen Erinnerungen mit mir, die sie Jahrzehnte lang tief in sich begraben hielten – weil sie möchten, dass diese Geschichten weiterleben. Dazu bin ich davon überzeugt, dass ein Verständnis für den Holocaust nur über das Erzählen von persönlichen Geschichten möglich ist. Zeugenberichte aus zweiter Hand sind sehr wichtig für das Verständnis der Shoa. Eli Wiesel sagte einmal: Jeder, der heute einem Zeugen zuhört, wird selbst ein Zeuge werden. Und das Verständnis für die Shoa ist die Grundlage dafür, etwas aus der Geschichte zu lernen.

Oliver Vrankovic mit Yehuda Maimon

Oliver Vrankovic mit Yehuda Maimon, dessen Geschichte als Widerstandskämpfer auch Teil des Vortrags ist

© Oliver Vrankovic

Was ist Ihnen von den Erinnerungen aus dieser Nacht und auch aus der damaligen Zeit am stärksten im Gedächtnis geblieben?

Jede Geschichte ist eine Facette des Grauens und zeigt dieses auf. Die Menschen legen die Schwerpunkte ihrer Erzählungen auf die für sie eindringlichsten Erinnerungen. Viele Zeitzeugen betonen die Abwertung und Diskriminierung. Besonders traumatisch ist vielen Zeugen der Reichspogromnacht das Gefühl in Erinnerung geblieben, ausgeliefert zu sein. Gerade die Misshandlung des Vaters miterleben zu müssen, hat sie geprägt. Der Mann spielte als Familienoberhaupt eine entscheidende Rolle in der jüdischen Familie. Dass diese stolzen Männer dann ins KZ verschleppt und Misshandlungen gegenüber völlig wehrlos waren und gebrochen zurückkamen, hat oft zur Entfremdung geführt. Man würde meinen, dass die schlimmsten Auswüchse dieses Horrors den Menschen am ehesten in Erinnerung geblieben sind, doch tatsächlich betonen sie besonders den Beginn; den Anfang der Abwertung und Herabstufung. Die Erschütterung ihrer Welt, in der sie sich als deutsche Juden in Deutschland integriert glaubten – viele hatten auch im Ersten Weltkrieg für Deutschland gekämpft – und die daraus resultierende Ohnmacht. Den Ausschluss und in diesem Zusammenhang nicht nur den vom Regime immer weiter forcierten Ausschluss, sondern auch durch die Mitbürger und Nachbarn, die sich abgewendet und gegen sie gewendet haben.

 

Vertrauensperson: Oliver Vrankovic mit Lilith Pavel

Vertrauensperson: Oliver Vrankovic mit Lilith Pavel

© Oliver Vrankovic

Inwiefern gehören die Erinnerung an die Shoah und das Eintreten für die Sicherheit Israels für Sie zusammen?

Der Zusammenhang wird quasi in jeder Biographie von Holocaust-Überlebenden in Israel deutlich. Die Überlebenden kämpften 1948 mit der Waffe in der Hand um ihr Überleben. 1967 waren sie von der Vernichtung bedroht, die die israelischen Streitkräfte abwenden konnten. 1973 wieder. Der eliminatorisch gesinnte Antisemitismus ist mit dem dritten Reich nicht verschwunden. Mein Vortrag heißt ,Nie wieder‘. Die Juden haben sich während des Holocaust vielfach gewehrt und in heroischen Aufständen die Vernichtungsmaschinerie ins Stocken gebracht. Heute haben die Juden einen Staat und eine Armee, die eliminatorisch gesinnte Antisemiten aufhalten kann. Zur Erinnerung an die Shoa gehört nicht nur das Eintreten für die Sicherheit Israels, sondern die unbedingte Solidarität mit dem Staat Israel und den israelischen Streitkräften. Als Nachfolgestaat des Dritten Reichs ist Deutschland verpflichtet, den antisemitischen Wahn heute nicht zu unterschätzen. Der Holocaust mahnt, diejenigen, die mit Vernichtung drohen, zu stoppen, bevor sie die Möglichkeit haben, ihre Drohungen umzusetzen. Deutschland darf die Augen nicht davor verschließen, dass die Ideologie, die der Vernichtung von sechs Millionen Juden zu Grunde lag, vom iranischen Regime geteilt wird. Wer es mit dem Imperativ ,Nie wieder‘ ernst meint, muss die Restaurierung der wirtschaftlichen Beziehungen zum Iran von dessen Haltung zu Israel abhängig machen. Die Kollaboration mit dem Iran zu beenden, wäre eine angemessene Form des Gedenkens.

Oliver Vrankovic spricht am 8.11.2018 um 19 Uhr bei einer Veranstaltung des Mideast Friedensforum Berlin in Kooperation mit der Jüdischen Gemeinde Berlin in der Fasanenstraße 79/80, Kleiner Saal.