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Russland
Putins schwache Konkurrenz

Unser Leiter des Stiftungsbüros in Moskau schreibt über die Wahlen in Russland

Dieser Artikel wurde am Montag, den 05. Februar 2018 im Weser Kurier veröffentlicht und ist online auch hier zu finden.

Im schlimmsten Fall beginnen die Veränderungen erst nach der verfassungsmäßig letzten Amtszeit Putins im Jahr 2024, schreibt Julius von Freytag-Loringhoven zu den kommenden Wahlen in Russland.

Unzählige Plakatwände im schneebedeckten Moskau, die zum Wählen aufrufen, sind Ausdruck der Angst vor niedriger Wahlbeteiligung am 18. März. Im autoritären Staat bleiben Wahlen ein wichtiges Instrument der Legitimierung der Macht. Nachdem es scheint, dass Wladimir Putin im Teufelskreis der selbst geschaffenen Alternativlosigkeit die Präsidentschaftswahlen bereits im Voraus gewonnen hat, stellt sich die Frage: Warum überhaupt an den Wahlen teilnehmen?

Putins lautestem Gegner, Alexej Nawalny, durch seine Korruptionsenthüllungen im ganzen Land bekannt, war die Teilnahme an der Wahl verwehrt worden. Ein Gesetz verbietet seit 2013 Vorbestraften, zu kandidieren. Er war 2012 wegen Veruntreuung verurteilt worden. Vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gerügt, sprach das Gericht ihn 2017 erneut schuldig. Seitdem tourt er, von Verhaftungen unterbrochen, durchs ganze Land und ruft zum Boykott der Präsidentschaftswahl auf.

Auch wenn sein Aufruf kein Respekt vor Wahlen zeigt – egal ob unfair oder gefälscht – politisiert er die Jugend wie kaum einer vor ihm. Das wird das Land noch lange prägen. Aber auch die zugelassenen Kandidaten bieten mehr Auswahl als im Scheinwettbewerb von 2012. Bei staatlicher Kontrolle des Fernsehens und Dauerberichten über die beeindruckenden Taten des Präsidenten, bleibt deren Sichtbarkeit jedoch begrenzt. Aber neue Gesichter wecken dennoch neue Hoffnungen.

Dem Kandidaten der Kommunisten, Pavel Grudinin, wurde das bereits zum Verhängnis. Als seine Umfragewerte stiegen, tauchten plötzlich Hetzvideos im Internet auf. Ein gutes Abschneiden des Sowchosen-Besitzers könnte zum Wandel der kommunistischen Partei in Richtung Sozialdemokratie beitragen.

Die zukünftige Richtung des Landes

Die liberale „Bürgerinitiative“ hat mit Ksenia Sobtschak eine Kandidatin gewonnen, die viele überrascht. Zuerst wegen ihrer TV-Vergangenheit und der Familienfreundschaft mit Putin verlacht, hat sie ihre Kampagne geschickt genutzt, um Öffentlichkeit für die verhinderte Teilnahme von Nawalny wie für Menschenrechtsverstöße im Nordkaukasus zu schaffen. Mit Grigory Jawlinsky, dem erneuten Kandidaten der Jabloko-Partei, kann man bürgerrechtsliberale Programmatik wählen.

Und wem vor allem Wirtschaftsreformen wichtig sind, dem steht der Unternehmerrechte-Ombudsmann Boris Titov von der wirtschaftsliberalen und kremlnahen Partei „Wachstum“ zur Wahl. Selbst wenn Teilnahme sinnlos scheint, kann sie zur zukünftigen Richtung des Landes beitragen. Im schlimmsten Fall beginnen die Veränderungen erst nach der verfassungsmäßig letzten Amtszeit Putins im Jahr 2024.

Julius von Freytag-Loringhoven ist Leiter des Stiftungsbüros in Moskau.