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Max Weber – Der Entzauberer

Wenn einer von den heutigen Deutschen an dem Universalismus Goethes gemessen werden darf, geistig und seelisch, ohne zu verblassen, so ist es Max Weber", sagte Friedrich Naumann über seinen Freund, der vor genau 100 Jahren an den Folgen der "Spanischen Grippe" starb. Wer war dieser Max Weber, woher kam er, womit hat er sich beschäftigt? Und welche Spuren hat er hinterlassen? Unsere neue "Public History"-Broschüre versucht, diesen großen Denker, Forscher und Liberalen in Worte zu fassen und sein immenses Werk in die Geschichte des Liberalismus in Deutschland einzuordnen. 

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Herkunft und erste Jahre

Max Weber, der vom Philosophen Karl Jaspers später als „der größte Deutsche unseres Zeitalters“ bezeichnet werden sollte, wurde am
21. April 1864 in Erfurt geboren. Er war das erste von acht Kindern der Eheleute Dr. jur. Max Weber, seit 1862 Stadtrat in Erfurt, und Helene Fallenstein-Weber. Der Vater stammte aus einer westfälischen Industriellen- und Kaufmannsfamilie; die Mutter kam aus einer ursprünglich hugenottischen, stark vom Lehrerberuf geprägten Familie aus Heidelberg, war aber in Berlin geboren worden.

Max Weber jun. wurde in politisch turbulenten Zeiten geboren: Die liberale bürgerliche Bewegung von 1848 war gescheitert, die Verfassungsänderungen der 1848er Revolution waren bis 1858 durch die Politik der „Reaktion“ großenteils zurückgenommen. Österreich und Preußen konkurrierten um die Vorherrschaft, befanden sich allerdings im Geburtsjahr Max Webers gemeinsam im Krieg gegen Dänemark – dem ersten der drei sogenannten deutschen Einigungskriege im 19. Jahrhundert.

Die politische Situation im damals preußischen Erfurt war eher konservativ geprägt, als der liberal gesinnte – und ab 1870 auch bei den Nationalliberalen engagierte – Max Weber sen. 1862 den Posten als Stadtrat übernahm. Zwei Jahre danach sollten die Liberalen die Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung erobern. Von Seiten der Mutter wurde versucht, den Einfluss des Vaters durch die Betonung von Religiosität und sozialer Empfindung zu begleiten – mit erheblichen Auswirkungen auf die spätere Lehre Max Webers jun..

Schon die Geburt Max Webers war wegen seines über- durchschnittlich großen Kopfes schwierig gewesen. Und auch die Folgezeit – eigentlich die ganze Lebens-zeit – sollte von ständigen Gefährdungen durch Krankheit, physische und psychische Leiden gekennzeichnet sein. Mit zwei Jahren überlebte er eine Hirnhautentzündung, musste gleichzeitig den Tod seiner kleinen Schwester erleben. Der kleine Max Weber zog sich in sich zurück – Biografen berichten von der Selbstgenügsamkeit und der spielenden Versenkung, von nervösen Sonderbarkeiten und Ängstlichkeit.

Standesgemäße Erziehung

1869 siedelte die Familie Webers nach Berlin um, wo der Vater eine Anstellung als besoldeter Stadt- rat gefunden hatte, und ließ sich in Charlottenburg nieder. Ab 1870 besuchte Max Weber die Schule. Er interessierte sich besonders für historische Stoffe, fiel durch respektloses Verhalten auf und zeigte sich vom Schulbesuch gelangweilt. Das hatte zum einen mit einer immer stärker werdenden Leselust zu tun, die ihm schon in früher Jugend den klassischen Bildungskanon seiner Zeit näherbrachte und ihn darüber hinaus forschen ließ – ihn aber auch zu einem „altklugen Kind“ (so Dirk Kaesler) werden ließ. Zum anderen entstand durch die vom politisch denkenden Vater geschaffene Diskussionskultur im Hause Weber mit Gesprächskreisen, Salons, mit im Hause ein- und ausgehenden wichtigen Persönlichkeiten des politischen und gesellschaftlichen Lebens schon frühzeitig ein enger Kontakt mit der intellektuellen und politischen Gedankenwelt.

Nach dem Abitur 1882 nahm Max Weber unmittelbar nach seinem 18. Geburtstag offiziell sein Studium der Jurisprudenz, Nationalökonomie, der Geschichte und Philosophie an
der Universität in Heidelberg auf. Gleichzeitig trat er der Burschenschaft „Allemannia“ bei, wo er schnell Gefallen an den „Kneipabenden“ und auch dem Fechten fand. Er unter- brach dann aber 1883 sein Studium für den Militärdienst in Straßburg als „Einjährig-Freiwilliger“ – eine Sonderform des Wehrdienstes für einen ausgewählten Kreis junger Männer – und komplettierte damit seine „standesgemäße Erziehung zum deutschen Mann seiner Kreise“ (Kaesler).

 

Student — Doktor — Professor — und Ehemann

Nach dem Ende der Militärdienstzeit setzte Max Weber sein Jurastudium in Berlin fort und zog – nicht zuletzt aus Kosten- gründen – wieder in die elterliche Villa Helene in Charlottenburg ein. Zwischenzeitlich wechselte er nach Göttingen, um sich auf sein Referendarexamen vorzubereiten, das er dann im Mai 1886 am Oberlandesgericht Celle ablegte.

1889 – mit 24 Jahren – folgte die Promotion zum Thema „Die Entwicklung des Solidarhaftprinzips und des Sondervermögens der offenen Handelsgesellschaft aus den Haushalts- und Gewerbegemeinschaften in den italienischen Städten.“ Danach legte er in der vierjährigen Referendarzeit sein Zweites Staatsexamen ab und wurde 1890 in Berlin als Rechtsanwalt zugelassen.

Die Tatsache, dass Max Weber darunter litt, für seine Ausbildung – inklusive der vierjährigen Referendar- zeit – auf die finanzielle Unterstützung seiner Familie angewiesen zu sein, also ein „ausgehaltener Sohn“ zu sein, ist aus seinen Briefen überliefert. Umso mehr bemühte er sich, „zum eigenen Brot zu gelangen“. Aber umso mehr stieg in ihm auch das Gefühl auf, vor allem im Vergleich zum erfolgreichen, mehrere bedeutende Ämter gleichzeitig ausübenden Vater, ein Versager und ein Kostgänger zu sein.

Bei der Wahl seines weiteren Weges mag ihm ein Geschehnis im Rahmen seiner Disputation geholfen haben: Nachdem die Debatte über die Thesen be- endet war, habe sich ungeplant der damals höchst renommierte Althistoriker Theodor Mommsen erhoben und gesagt: „Wenn ich einmal in die Grube fahren muss, so würde ich keinem lieber sagen: ‘Sohn, da hast du meinen Speer, meinem Arm wird er zu schwer‘, als dem von mir hochgeschätzten Max Weber.“

Weber nahm die Starthilfe an und schlug die akademisch-universitäre Laufbahn ein. Seine Dissertation fand nach ihrer Veröffentlichung großen Widerhall. Davon ermutigt, habilitierte sich Max Weber 1892 an der Berliner Universität mit einer Arbeit über „Die römische Agrargeschichte in ihrer Bedeutung für das Staats- und Privatrecht“ und erwarb damit im Alter von gerade einmal 29 Jahren die Lehrbefugnis für Römisches (Staats- und Privat-)Recht und für Handelsrecht.

Der erste Schritt war getan: Ab 1892 vertrat Weber als Privatdozent – also unbesoldet – seinen „Doktorvater“, den erkrankten Levin Goldschmidt, und erhielt 1893 eine außer- ordentliche Professur für Handelsrecht und Deutsches Recht an der Universität Berlin.Mit Übernahme dieser ersten besoldeten Stelle sah Max Weber nun auch die Möglichkeit, seine privaten Verhältnisse zu regeln. Zu Beginn des Jahres 1893 schrieb er einen lesenswerten – hier aber zu weit führenden – Brief an die 22-jährige Marianne Schnitger, eine Nichte zweiten Grades seines Onkels Alfred Weber, und trug ihr die Ehe an. Sie nahm den Antrag an, auf den sie wohl schon lange Zeit gehofft hatte. Die Verlobung fand am Pfingstfest 1893, die Hochzeit dann am 20. September desselben Jahres statt.

Über diese Ehe, die kinderlos bleibt, ist viel geschrieben worden. Gesagt werden kann, dass diese Verbindung – auch wenn sie wohl eher als eine „Gefährtenehe“ zu beschreiben ist – dem aufstrebenden Wissenschaftler Max Weber die emotionale und gesellschaftliche Abstützung für seine Arbeit der nächsten Jahre und für den Rest seines Lebens gegeben hat. Überaus wichtig dürfte auch der intellektuelle Einfluss gewesen sein, den Marianne Weber als Frauenrechtlerin, Rechtshistorikerin und liberale Parlamentarierin auf
Max Weber hatte. Sie hielt die erste Rede als Frau im demokratisch neu gewählten Parlament vor der badischen verfassunggebenden Nationalversammlung in Karlsruhe am 15. Januar 1919.

Aufbruch — Durchbruch — Zusammenbruch

Schon die Dissertation Webers hatte, neben dem juristischen und vergleichend-historischen Charakter, einen deutlichen ökonomisch-soziologischen Einschlag gehabt. Erst recht seine Habilitationsschrift setzte diese inhaltlichen Schwerpunktsetzungen fort und trieb die Forschungen an den Schnittstellen von rechtlichen, sozioökonomischen und sozialpolitischen Fragestellungen voran. Ein weiterer Schritt war die Bearbeitung des Artikels „Agrarverhälltnisse im Altertum“ für das renommierte „Handwörterbuch der Staatswissenschaften“, der nach Erscheinen als „eine Skizze der gesamten Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Altertums“ rezipiert wurde.

Mit seinem Interesse an gesellschaftlichen Entwicklungen widmete sich Weber den Fragen der Zeit. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte mit rapider Industrialisierung, mit dem Ausbau der Verkehrsnetze und der fortschreitenden Urbanisierung viele Fragen aufgeworfen, wie das Zusammenleben der Menschen angesichts der rasanten Veränderungen gestaltet werden könnte und sollte. Vor allem die Soziale Frage rückte in den Vordergrund. Die Ideen von Marx und Engels wurden breit diskutiert und veränderten her- gebrachte Diskussionsstände. Die aufkeimende revolutionäre Arbeiterbewegung stellte mit Nachdruck neue Fragen. Die neuzeitliche Industriegesellschaft wurde zum Studienobjekt, und mit ihr Fragen zur kapitalistischen Entwicklung, zu den sozialen Problemen des modernen Kapitalismus und seinen Auswirkungen. Gleichzeitig richtete sich in dieser Hochzeit des Imperialismus und Kolonialismus und der damit verbundenen ersten großen Phase eines globalisierten Kapitalismus der Blick der Wirtschafts- und Sozialforscher der damaligen Zeit in andere Weltregionen.

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100 Jahre Max Weber: Sein Denken lebt fort

Max Weber 1917 auf der Lauensteginer Tagung

Es waren die Folgen einer weltweiten Pandemie, der Spanischen Grippe, die den großen Soziologen Max Weber vor 100 Jahren, am 14. Juni 1920, das Leben kosteten. Seine Todesumstände sind allerdings nicht die einzige Verbindung zur heutigen Situation in der Corona-Pandemie. Viele seiner Erkenntnisse wirken fort, viele der von ihm gestellten Fragen sind weiterhin aktuell, viele seiner Forschungen im Grund noch immer nicht vollendet.

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