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Premier Abe siegt über zerfallenes Oppositionslager

Steht nun die Revision der pazifistischen Verfassung an?
Fernando Frazão/Agência Brasil, Cerimônia de encerramento dos Jogos Olímpicos Rio 2016 1039534-21082016- mg 8618, CC BY 3.0 BR
Das Bündnis von Abes LDP und der Gerechtigkeitspartei verfügt nach den Wahlen über eine Zweidrittelmehrheit, die Verfassungsänderungen zulässt. © Fernando Frazão/Agência Brasil, Cerimônia de encerramento dos Jogos Olímpicos Rio 2016 1039534-21082016- mg 8618CC BY 3.0 BR

Eine zerstrittene Opposition und Provokationen aus Nordkorea: Japans Premier Abe hatte bei der Unterhauswahl leichtes Spiel. Nun kann er sich seinem Lieblingsprojekt widmen: der Revision der pazifistischen Verfassung.

Die Liberaldemokratische Partei (LDP) von Ministerpräsident Abe Shinzo hat die japanischen Unterhauswahlen am Sonntag erwartungsgemäß klar gewonnen. Die langjährige Koalition der großen LDP mit der kleineren buddhistischen Komeito-Partei (zu Deutsch: Gerechtigkeitspartei) verfügt nach dem vorläufigen Ergebnis – die Stimmauszählung ist infolge eines taifunbedingten Unwetters in einigen Landesteilen beeinträchtigt – über 312 der insgesamt 465 Sitze. Bei den vorhergehenden Wahlen im Dezember 2014 kamen beide Parteien noch auf 325 Parlamentarier. Trotz Verlusten scheint dem Bündnis auch diesmal eine Zweidrittelmehrheit sicher.

Eine Zweidrittelmehrheit braucht Abe, um seinem politischen Lebensziel, einer Revision der japanischen Verfassung näherzukommen. Namentlich Artikel 9 steht dabei im Visier. Er schreibt den pazifistischen Charakter des Landes fest. Zwar bräuchte es für eine Verfassungsänderung noch eine Volksabstimmung. Eine erste Hürde aber wäre mit einer Parlamentsabstimmung mit entsprechender Mehrheit genommen. Folgerichtig war im Wahlkampf auch die Sicherheitslage in der Region ein Hauptthema. Vor allem die beiden nordkoreanischen Raketentests über japanischem Territorium verschafften dem Premier willkommene Argumente für eine Neuausrichtung der Sicherheitspolitik. Südkorea hatte noch im Mai mit Moon Jae-in einen Präsidenten gewählt, der sich mit ganzer Kraft für ein Ende der Provokationen aus Pjöngjang einsetzt. Abe indes dürften genau diese Provokationen recht sein.

Veränderung der Parteienlandschaft

Der Premier hatte das Unterhaus Ende September vorzeitigt aufgelöst – in Japan keine Seltenheit, eher schon die Regel – und vorzeitige Neuwahlen für den 22. Oktober angesetzt. Der Zeitpunkt schien ihm günstig zu sein: Seine Popularitätswerte hatten sich nach einer Reihe von Skandalen, die ihn im Frühjahr stark in Bedrängnis gebracht hatten, wieder stabilisiert. Die Chancen, die parlamentarische Zweidrittelmehrheit seines Bündnisses mit der Komeito-Partei zu verteidigen, schienen günstig.

Hauptthema des nur drei Wochen dauernden Wahlkampfs war eine nahezu katalytische Veränderung der Parteienlandschaft, ausgelöst von der Governeurin der Präfektur Tokio, Koike Yuriko. Schon die Governeurswahlen im Juli 2016 hatte die ehemalige Nachrichtensprecherin gegen die mächtige LDP gewonnen. Am 25. September diesen Jahres gründete sie die „Partei der Hoffnung“, eine im Gegensatz zur rechten LDP eher moderat-konservative Partei. Das Kalkül: bürgerlichen Wählern, die mit Abes strammem Rechtskurs über Kreuz liegen, eine Alternative bieten und ihren Wahlerfolg in der Präfektur Tokio – einer Region, in der immerhin rund zehn Prozent der Japaner leben – bei den Unterhauswahlen in diesem Jahr wiederholen.

Keine Aufnahme en bloc

Das Projekt gewann an Fahrt, als Maehara Seiji, der ebenfalls erst im September gewählte Vorsitzende der oppositionellen Demokratischen Fortschrittspartei (DP), den DP-Kandidaten für ein Mandat im Unterhaus empfahl, statt auf dem Ticket der DP auf dem der Partei der Hoffnung anzutreten. Veranlasst zu diesem eher ungewöhnlichen Schritt hatte ihn die Sorge vor einer krachenden Niederlage seiner Partei. Zugleich meinte er eine realistische Chance zu erkennen, Abe im Verbund mit Koikes Parteineugründung nach insgesamt knapp sechs Jahren als Regierungschef endlich ablösen zu könnnen.

Die Partei der Hoffnung indes war nicht bereit, die DP-Kandidaten en bloc aufzunehmen. Den linken Flügel lehnte sie ab. Die Folge war eine Spaltung der DP: Der rechte Flügel fand eine neue politische Heimat in der Partei der Hoffnung, der linke gründete mit einigen bis dato unabhängigen Kandidaten Anfang Oktober eine weitere neue Partei: die Konstitutionell-Demokratische Partei (KDP). Deren Vorsitz übernahm Edano Yukio, ehemaliger Wirtschaftsminister und lange Jahre führender DP-Politiker.

Konzertierte Abe-Abwahl gescheitert

Wie das Wahlergebnis zeigt, war der Vorlauf schlichtweg zu kurz – das Projekt einer konzertierten Abe-Abwahl scheiterte. Zwar gewann das Oppositionslager im Vergleich zu 2014 leicht. Die Partei der Hoffnung kam dabei allerdings nur auf enttäuschende 49 Sitze, die KDP immerhin auf 54. Sie übernimmt fürderhin die Rolle der größten Oppositionspartei. Auch sind Abe und seine LDP offenkundig längst nicht so verbraucht, wie die Wahlkämpfer der neuen Parteien gedacht hatten: Die Liberaldemokraten konnten vor allem bei Jung- und Erstwählern punkten, die sich in Umfragen mit ihrer wirtschaftlichen Situation weitgehend zufrieden zeigten.

Neben den parteipolitischen Turbulenzen und den Provokationen des nordkoreanischen Nachbarn ging es im Wahlkampf vor allem um Wirtschaftspolitik: um die Erhöhung der Verbrauchssteuer – einer der deutschen Mehrwertsteuer vergleichbaren Abgabe – von acht auf zehn Prozent, um die Zukunft der Atomenergie, den demografischen Wandel sowie um kostenlose Kinderbetreuung.

Dr. Lars-André Richter leitet das Büro Korea der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit mit Sitz in Seoul.

Karin Ziegner studiert Ethnologie und Ostasienwissenschaften an der Universität Heidelberg und absolviert von August bis Oktober ein Praktikum im Büro der FNF Korea.