EN

Politik
Ein Bauchladen voll Demokratie

Wie sich der Bremerhavener Manfred Richter in der Weltpolitik für Frieden engagiert

„Herr Bundeskanzler, nehmen Sie doch den Mahi Mahi.“ Kanzler Kohl, ohne Chance auf seinen geliebten Pfälzer Saumagen, nimmt diese kalifornische Goldmakrele – und rät Politfreunden fürderhin in kulinarischen Wahlkrisen: „Fragense den Rischter, der kennt sisch aus.“ San Francisco, September 1991: Helmut Kohl hat gerade ein deutsches Studiencenter eröffnet und Kohldampf. Mit am Tisch: FDP-Bundestagsabgeordneter Manfred Richter aus Bremerhaven. Der erzählt das „Döntje“ 28 Jahre später: „Kohl saß verzweifelt vor der pazifischen Speisekarte. Ich dachte, als Fischkopp komm ich mal aus der Ackerfurche.“ März 2019, Bremerhaven-Wulsdorf: Der 70-Jährige ist auf dem Absprung aus den Ackerfurchen vorm Haus und packt Koffer für Honduras und Paraguay. Wieder mal. Sein Auftrag, seit nun 17 Jahren: Demokratische Entwicklungshilfe. „Ich lebe meinen Traum“, sagt der globale „Handlungsreisende“ der internationalen Friedrich-Naumann-Stiftung für den Frieden.

Wer ihm zuhört, wird atemlos. Manfred Richter spricht rasant, druckreif, spurtet gestenreich durch seine kompakte Vita, schlägt mühelose Salti zwischen Anekdoten und messerscharfen Polit-Analysen und knüpft – einige Kohl-Scheel-Schmidt-Strauss-Genscher-Reagan-Bush-Begegnungen später – zielsicher am Satzbeginn an. Nicht ohne nebenbei aufzuspringen, zur Klampfe zu greifen und mit rauher Röhre Wahlkampf zu verspottdrosseln: „Ich verspreche viel und halte nix“. Applaus Umstehender, drei Akkorde, noch‘n Song...

Stopp. Wer bitte ist Manfred Richter?

Pauker, Politiker, Kabarettist, Kommunikationsgenie, Globetrotter... „Ich bin so eine Art Strippenzieher, ein Vernetzer“, sagt er von sich selbst. Der Mann, der 1948 in Kölln bei Pinneberg zur Welt und mit zwei nach Bremerhaven kam. Lehrer wurde. 1966 inspiriert von Reformer Walter Scheel in die FDP eintrat, ab 1978 Schulklassen gegen Bremisches Bürgerschafts- und ab 1987 gegen Bundes-Parlament tauschte, in Bonn das erste Bundestags-eigene Kabarett „Die Wasserwerker“ gründete – und die „Rampensau“ in sich entdeckte. Na und? „Jeder Jeck is‘ anners“, betont der leidenschaftliche Liberale.

Ein vierjähriges Intermezzo als Bremerhavener Oberbürgermeister in den 90-er Jahren überstand er nicht ohne Kollateralschäden mit der am Boden liegenden, trotz und wegen des Werftensterbens sich neu erfindenden Stadt. Nach einer Krankheitspause kehrte Richter zurück auf politisches Terrain, seit 2002 reist er als Berater junger demokratischer Organisationen ehrenamtlich in weltweite Krisengebiete. Das Bundesverdienstkreuz dafür freut ihn und lässt es in der heimischen Schublade. Der Mann, der als Schatzmeister der Naumann-Stiftung jährlich rund 60 Millionen Euro für deren Projekte verwaltet, jettet zwischendurch mal schnell über den Atlantik, um nur ja nicht seinen Gitarren-Auftritt mit Bremerhavens Kult-Kabarett „Die Müllfischer“ auf den Stadttheater-Brettern zu verpassen... und Stopp. Kurz mal Luftholen.

Stichwort Stiftung. Sitz in Potsdam. Richter hat dort noch einen Schreibtisch. Navigiert von dort aus seine politische Bildungsarbeit unter anderem in Montenegro, Bulgarien, Ungarn, Malaysia, Indonesien, Polen, Guatemala, Argentinien, Costa Rica, Südafrika, Kosovo, Kambodscha... Immer wieder, immer begrenzt auf zwei Wochen. „Mein Bauchladen“, sagt er, „geht von der Entwicklung eines Ziels über Tipps zu Selbstverwaltung, Marktwirtschaft, Fraktionsmanagement bis zur Wahl-Kampagne.“

Zum Beispiel: In Mazedonien half er beim Aufbau kommunaler Verwaltung. Hat in der Slowakei eine parlamentarische Geschäftsordnung entwickelt. Mandatsträgern in Bosnien-Herzegowina erklärt, wie man einen Haushaltsplan aufstellt. In Guatemala einen Koalitionsvertrag erarbeitet. „In Kapstadt hab ich vor sechs Jahren Bürgermeisterin Helen Zille in einer Elf-Parteien-Koalition beraten.“ Heute ist die Großnichte des Berliner Milieu-Malers Heinrich Zille Premierministerin der Provinz West-Kap. „Das zu begleiten war eine Herausforderung.“

Eine andere, in Costa Rica aus einer chaotischen Gruppe von Bürgerrechtlern, so erzählt er, „eine politische Partei zu bilden.“ Oder im kambodschanischen Dorf unter Zeltplanen am Boden hockenden Bauernfamilien zu erklären, wie das deutsche System mit Schule und ärztlicher Versorgung in Deutschland funktioniert. „Den Strom fürs Mikrofon hatten wir aus einer Autobatterie“, erzählt er. Und voll Begeisterung: „Diese Menschen haben unglaublich wach nachgefragt.“

Das liebt der einstige parlamentarische FDP-Geschäftsführer: Begeistert andere Menschen zu begeistern. Ge- fragt zu werden, eine Plattform zu haben für sein profundes Wissen. Courage fürs Reisen in die Krisengebiete brauche er nicht, denn: „Wir gehen erst in Bürgerkriegsregionen, wenn sich der Pulverdampf verzogen hat“, sagt er mit Blick in die stille Ufer-Idylle am Wulsdorfer Flüsschen Rohr vor seiner Terrasse. „Hier filme ich manchmal mit der Nachtkamera Füchse und Rehe.“

Atempause. „Wenn unsere Leute wie auf Sri Lanka ihres Lebens nicht mehr sicher sind, ziehen wir uns zurück.“ Dann kommt er später wieder. In den Kosovo zum Beispiel. Jedes Jahr verbringt Richter eine Weile dort, kennt die Verhältnisse aus dem Eff-Eff. „Es ist die jüngste Nation Europas, aber wer kann, geht. Das Land ist leer. Die politische Szene extrem rechts und extrem links, die Mitte ganz dünn. Wir begleiten jetzt die Koalitions-Optionen.“

Ganz schön wuchtig, so ein politischer „Bauchladen“. 

Was treibt ihn an, mit nun 70, gut die Hälfte des Jahres mit politisch schwerem Gepäck durch alle Welt zu zuckeln? Statt Zuhaus, mit seiner Margrit – seit 45 Jahren die Frau an seiner Seite – gemütlich zwischen seinen 25 000 Schallplatten-Titeln, Bibliothek und Bühnen-Auftritten das Rentnerdasein zu genießen; seit drei Jahren tourt er auch mit Polit-Kabarettist Michael Roick eulenspiegelnd durch die Republik. „Die Stiftungsprojekte machen mir wahnsinnigen Spaß.“ Er zückt einen dicken Bildband über Helmut Kohl, mit Widmung. „Das war ein brillanter Analytiker, mit enormem Gespür fürs Mögliche.“ Von dem großen CDU-Staatsmann habe er viel gelernt, auch zum Weitergeben. „Strategie ist ein Handwerk. Und ich hab den Werkzeugkasten dafür.“

 

Dieser Artikel wurde am 23. März 2019 in der Nordsee-Zeitung veröffentlicht.