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Polen
Nach der Wahl ist vor der Wahl

Polen stimmt sich auf die Präsidentschaftswahlen ein. Die Opposition muss noch zu sich finden.
Wie ist es um die polnische Politik bestellt?

Wie ist es um die polnische Politik bestellt?

© Getty Images Editorial

Bei den Märschen zum Unabhängigkeitstag hat sich Polens wiedergewählte national-konservative Regierung von den rechtsradikalen Demonstranten distanziert und die Zusammensetzung des neuen Kabinetts verkündet. Die Regierung treibt ihre bisherige Agenda des Staatsumbaus weiter voran. Es gilt schließlich: Nach der Wahl ist vor der Wahl. Und im nächsten Jahr stehen die Präsidentschaftswahlen an.

Keine Frage: Sie ist auf ihre Art sehr prinzipientreu. Wer geglaubt hat, dass in Polen die Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) nach ihrem Wahlsieg im Oktober vom radikalen Wahlkampfmodus zu einem gemäßigten Vorgehen findet, dürfte sich getäuscht haben. Immerhin hat die Regierung auf symbolischer Ebene ein Signal gesetzt. Während beim 100. Unabhängigkeitstag Polens im letzten Jahr Präsident und Regierungsmitglieder bei einer Massendemonstration mitmarschierten, bei der hauptsächlich rechtsextremistische Gruppen zum Teil lautstark antisemitische Parolen riefen, hat sich das PiS-Establishment dieses Jahr von dem Marsch der Rechtsradikalen distanziert und eigene Zeremonien abgehalten.

Gleichzeitig gaben Parteichef Jarosław Kaczyński und Ministerpräsident Mateusz Morawiecki die Kabinettszusammensetzung bekannt, mit der sie heute in die eröffnende Sitzung des Sejms (Parlament) gehen. Die sieht keine großen Neuerungen vor, außer dass die kleinen Bündnispartner der PiS etwas geschwächt und der Ministerpräsident durch Zuweisung von europapolitischen Kompetenzen gestärkt werden.

Der Staatsumbau geht weiter: Nächstes Ziel ist das Verfassungstribunal

Die Zeichen stehen auf Kontinuität: Denn was substantielle Reformvorhaben angeht, so bleibt die Regierung auf ihrem bisherigen Kurs. Seit ihrem Regierungsantritt hat die Partei versucht, unabhängige politische Instanzen unter ihre Kontrolle zu bringen. Die öffentlichen Medien waren das erste Opfer. Dann versuchte man das Oberste Gericht zu kapern, indem durch eine Herabsetzung des Rentenalters unliebsame Richter entlassen und durch PiS-nahe ersetzt werden sollten. Dem hat der Europäische Gerichtshof zwar Hindernisse in den Weg gelegt, aber die PiS wird durch ihren Wahlsieg in dieser Legislaturperiode sowieso neue Richter bestimmen können.

Aber in der Zwischenzeit bleibt man auch andernorts nicht untätig. Der rechtsstaatlich bedenkliche Staatsumbau geht weiter. Das Verfassungstribunal (Verfassungsgericht) ist das nächste Angriffsziel. Das Tribunal hat schon einige Gesetze der PiS aufgehalten, was dieser ein Dorn im Auge ist. Dort müssen am 3. Dezember drei neue Richter benannt werden. Die PiS hat folgerichtig hierzu drei Kandidaten benannt, bei denen der Wunsch der Partei nach Politisierung des Gerichts (in ihrem Sinne) so deutlich wird wie selten zuvor. Zwei ehemalige Sejm-Abgeordnete der PiS sind dabei; die Juristin Krystyna Pawłowicz, die einen katholisch-konservativen Kurs in gesellschaftspolitischen Fragen verficht und sich durch recht kraftvolle Äußerungen auf Twitter einen Namen verschafft hat, und Stanisław Piotrowicz, der noch in den 80er Jahren unter den Kommunisten im Kriegsrecht als Staatsanwalt gearbeitet hatte – ein starkes Stück für eine Partei, die sich brüstet, erst wirklich mit dem Kommunismus in Polen Schluss gemacht zu haben. Und dann ist da die dritte Kandidatin, die ein „Geschenk“ an die Opposition ist: Elżbieta Chojna-Duch. Sie war unter der vorherigen bürgerlichen Regierung der Bürgerplattform (PO) stellvertretende Finanzministerin für den Koalitionspartner, die Bauernpartei (PSL). Einer der Gründe für die Abwahl der Regierung war 2015 ein Skandal um die systematische Hinterziehung der Umsatzsteuer in Polen, der damals das Land erschütterte, und die Regierung in Erklärungsnot brachte. Chojna-Duch trat dabei als Hauptzeugin der PiS im Untersuchungsausschuss auf und die PO behauptet bis heute, sie habe dort nicht die Wahrheit gesagt. Ihre Nominierung ist eine kontrovers diskutierte Entscheidung.

Präsidentschaftswahl vor der Tür

Warum geht es weiter im bisherigen Modus? Nun, nach der Wahl ist nicht einfach nach der Wahl. Es ist vor der Wahl. Im nächsten Jahr stehen die Präsidentschaftswahlen an. Fiele die Präsidentschaft an die Opposition, könnten wesentliche und vor allem verfassungsrechtlich bedenkliche Gesetze der PiS-Regierung durch ein Veto gestoppt werden, was die „Erfolge“ der PiS bei der „Gefügigmachung“ der Verfassungsgerichtsbarkeit empfindlich relativieren könnte.

Zur Zeit sieht es so aus, als ob die Chancen des amtierenden, aus der PiS kommenden Präsidenten Andrzej Duda, der sich stets als das „freundliche Gesicht der PiS“ präsentiert, äußerst gut sind. Das hat etwas mit dem Zustand der Opposition zu tun. Lange sah es aus, als ob die größte Oppositionspartei, die moderat-konservative PO, mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten und noch amtierenden Präsidenten des Europäischen Rates Donald Tusk einen parteiübergreifenden Idealkandidaten gefunden hätte. Der hat nun vor einigen Tagen einen Rückzieher gemacht und kandidiert nicht. Die PO hat nun mit mehreren Problemen zu kämpfen. Erstens: Wie findet sie zu einer Agenda, die ihr die verlorenen Wähler zurückbringt? In den vergangegen Jahren hat sie ihr Profil als bürgerliche Partei (ähnlich wie die CDU in Deutschland) bis zur Unkenntlichkeit aufgeweicht und sich in technokratischer Machtpolitik ergangen. Zweitens, und viel akuter: Wer kandidiert nach Tusks Absage? Die Spitzenkandidatin der Parlamentswahlen, Małgorzata Kidawa-Błońska, scheint zur Zeit die größte Chance auf eine Nominierung als Kandidatin zu haben. Doch ihr haftet das Image einer Verliererin in einem für sie recht pannenreich verlaufenen Wahlkampf an. Zudem hat sie sich kaum ein politisches Profil erarbeitet, was das grundsätzliche Problem der PO in dieser Richtung noch einmal verstärkt.

Inzwischen hat sich die Bauernpartei PSL zu Wort gemeldet. Sie ist, wie die PO, Teil derEuropäischen Volkspartei (EVP). Ihr Vorsitzender Władysław Kosiniak-Kamysz ist mit der Idee vorgeprescht, beide Parteien sollten zusammen einen Kandidaten per Mitglieder-Urwahl bestimmen – und brachte sich gleich selbst ins Spiel. Seine Partei hatte bei der Wahl besser abgeschnitten als erwartet. Er bietet sich als dezidiert konservativer, aber nach rechtsstaatlichen und demokratischen Prinzipien agierender Kandidat an, der der PiS den gemäßigten Teil ihres Elektorats abjagen könnte. Wie dieses Spiel ausgeht, ist noch offen. Es ist fraglich, ob die PO darauf eingeht, aber das wiederum gefährdet die Kampfkraft der Opposition insgesamt.

Jedenfalls kann die PiS im Augenblick recht frei von Ängsten vor der Opposition agieren. Alle Parteien – ob PO, PSL, die linken Parteien (von denen die Demokratische Linke und die Wiosna zurzeit mühsam über eine Fusion reden) und die liberale Nowoczesna haben alle heftige interne Diskussionen über ihre inhaltliche und/oder strategische Ausrichtung zu führen. Sie können nur Erfolg haben, wenn sie wenigstens einen Großteil ihrer Probleme vor Beginn der „heißen“ Phase der Präsidentschaftswahl geklärt haben und sich auf eine einigermaßen tragfähige gemeinsame Linie verständigt haben. Dafür bleibt nur noch wenig Zeit.